Prolog. Ich war 18 und verstand die Welt nicht mehr. Ein unscharfes Bild auf einem Plattencover? Wer tut so was? Es war ein Stapel Vinyl-Schallplatten, die ich durchsah, mit Alben von Queen, Mike &The Mechanics, Van Halen – und doch blieb ich an dem blauen Cover mit dem Foto hängen, auf dem man nichts erkennen konnte. Ich nahm das Album mit nach Hause und hörte es fortan Dutzende Male an. Die Band hieß Wire Train, kam aus Kalifornien und klang irgendwie wie diese Iren, die wie unsere Wiener U-Bahn hießen. Aber frischer, nicht so pathetisch. Ich staunte nicht schlecht, als ich las, dass dieses Album in Wien aufgenommen wurde. Die Achtzigerjahre waren eine verrückte Zeit. Deutschsprachige Künstler hatten damals meist nur ein Ziel: die USA. Einmal dort aufnehmen, auf der Bühne stehen, Erfolg haben. Amerika war das gelobte Land. Nur eine Handvoll Künstler hat es tatsächlich bis über den Teich geschafft: Falco, Nena, Opus, viel später auch Parov Stelar. Doch was in aller Welt brachte US-Künstler dazu, den umgekehrten Weg zu gehen? Zu einer Zeit, als es Falco mit „Rock Me Amadeus“ als erster Österreicher schaffte, die Nummer 1 der US-Billboard-Charts zu werden.
Wire Train galten Mitte der 1980er-Jahre eine Zeit lang als Amerikas Antwort auf U2. In Wien erlebte die Band Liebe, Dramen und verrückte Nächte mit Falco.
Zu Besuch bei Kevin Hunter. „Hans, my buddy“, sagt Kevin Hunter, lehnt sich zurück und richtet seine schwarze Brille mit den quadratischen Gläsern zurecht. Er sitzt im Heimstudio seines Hauses in Mount Washington, einem Stadtteil von Los Angeles, neben ihm eine Martin & Co. Westerngitarre, dahinter ein Keyboard. Kevin Hunter war der Sänger von Wire Train und für viele der melodiösen Kompositionen verantwortlich. Als die Band 1985 in Wien ihr wichtigstes von insgesamt sechs Alben aufnahm, „Between Two Words“, war er Mitte 20. Heute ist er 62. Er trägt ein schwarzes T-Shirt und streicht durch seinen gepflegten Peter-Rapp-Bart: „Hans vertrug eine Menge“, erinnert er sich heute an seine Begegnungen mit Falco. „Wir sahen uns immer wieder im U4. Seinen ‚Kommissar‘ liebte ich.“ Hunter geht auf die Terrasse seines Hauses mit Blick auf Glassell Park. Schon in der 1970er-Jahren nahmen ihn seine Eltern zum Formel-1-Grand-Prix nach Monaco mit: „Mein Vater, der Produktionsdesigner war, kannte Niki Lauda durch das Filmgeschäft. Lauda wurde zu einer mystischen Figur für mich.“ Sechs Jahre, bis er 15 war, lebte Hunter, der Amerikaner, mit seiner Familie in Paris. Er versteht die europäische Kultur. Zurück in Kalifornien begann er an der San Francisco State University Film, konzeptionelles Design und Psychologie zu studieren, doch seine Leidenschaft gehörte immer der Musik.
Schuld war André Heller. Dass Wire Train in Wien landeten, war ihrem Produzenten Peter Maunu zu verdanken – und einem ungewöhnlichen Zufall: „Ich traf André Heller in Los Angeles“, erinnert sich Maunu im OOOM-Gespräch an eine Begegnung, die in vielfältiger Weise sein Leben verändern sollte. „Ich war eng mit Frank Zappas Schlagzeuger Terry Bozzio und Peter Wolf befreundet, wir haben in San Francisco viel Jazz gespielt. Eines Tages kam Peter, der Hellers Keyboarder war, mit ihm zu einer unserer Proben. Im September 1981 fragte mich Peter Wolf schließlich, ob ich als Gitarrist die Heller-Tournee spielen möchte, und da ich noch nie in Europa war, sagte ich sofort zu.“ Maunu überlegt kurz, dann sagt er ehrlich: „Heller, der zu einer Art Melancholie und Unruhe neigte, brach schließlich die Tournee ab. Doch ich lernte damals meine Frau Irmi kennen, die aus Wien stammt, wir verliebten uns und sie ging mit in die USA.“
Heller, Wire Train, Franz Morak, Ludwig Hirsch. Es sollte nicht Maunus letzte Begegnung mit André Heller gewesen sein: Er wollte ihn für sein Album „Stimmenhören“. Maunu flog also zurück nach Wien und prägte durch sein Gitarrenspiel Hellers größte Hits, darunter das Dylan-Cover „Für immer jung“ mit Wolfgang Ambros und die Ballade „Wie mei Herzschlag“: „Ambros hatte diese Working-Class-Art und eine unglaubliche Qualität in der Stimme, Heller war mehr der Chansonnier. Es war ein richtig gutes Duett.“ Im Dezember 1982 heiratete Peter Maunu Irmi in Wien, blieb einige Zeit in der Stadt und wurde zum gefragten Studiomusiker, der auf den Alben von Franz Morak und Ludwig Hirsch spielte: „Ich habe Wien geliebt. Es war eine großartige Zeit, viel entspannter als in den USA.“
Die Band: Eine Klasse für sich. Wire Train galten Mitte der 1980er-Jahre eine Zeit lang als Amerikas Antwort auf U2. Sie waren jung und exzellente Musiker. Produzent Maunu lernte die Band durch Brian McLeod kennen, der nach seiner Zeit bei Wire Train zu einem der gefragtesten Schlagzeuger der USA werden sollte. Er spielte später nicht nur in der Band von Sheryl Crow, sondern auch mit Madonna, Tears for Fears, Seal, Pink, Christina Aguilera, Tina Turner und Roger Waters. Gitarrist Jeffrey Trott, der später einstieg, schrieb Hits wie „If It Makes You Happy” für Sheryl Crow oder Joe Cockers „I‘ll Be Your Doctor“.