Wie testet man, ob eine Musik bei chronischen Schmerzen Wirkung zeigt?
Was wir anbieten, hat eine evidenzbasierte klinische Forschung als Basis. Wie bei Medikamenten, wo eines nicht für jede Krankheit passt, ist der Wirkungsgrad von Musik bei Alzheimer zum Beispiel ein ganz anderer als bei chronischen Schmerzen. Wir versuchen, den Patienten in seiner Langzeiterinnerung anzusprechen, einer Phase, wo die Musik entscheidend in der Entwicklung war. Das ist meist im Alter von 15 bis 22 Jahren, wo die Musik einer der wichtigsten Bestandteile des Lebens ist und sich am tiefsten in unser Gedächtnis einprägt.
Klinische Studien bei Medikamenten oder Therapien dauern oft 10, 15 Jahre. Wie konnten Sie in so kurzer Zeit relevante Ergebnisse sammeln?
Wir verwenden etliche Studien, die wir nicht selbst gemacht haben. Die sind noch valider. Wenn ich eine Studie habe, die an der New York University gemacht wurde, ist sie noch glaubwürdiger, als wenn wir sie selbst gemacht hätten. Damit können wir Jahrzehnte an Musik, Untersuchungen und Wissenschaft zusammenfügen und die Basis für unsere Therapien legen.
Wie funktioniert HealthTunes zum Beispiel bei Alzheimer-Patienten?
Wenn ein Patient in den 1960er-Jahren geboren wurde, haben wir eine Playlist, in der er sicherlich viel Musik findet, die ihn anspricht. Wenn er den Kopfhörer aufsetzt und mitsingt, ist dies der erste Schritt. Würden wir einen Gehirnscan bei ihm machen, könnten wir sehen, dass bei Demenz zunächst das Sprachzentrum und die normale Sprachmemory beeinträchtigt sind. Was das Gedächtnis betrifft, gibt es ein anderes Zentrum für Musik. Früher gab es den Irrglauben, dass das Gehirn mit zwanzig ausgereift ist und nichts mehr passiert. Heute wissen wir, dass es sich jede Sekunde verändert. Mit Sauerstoff und Neuvernetzung beginnen sich Dinge im Gehirn zu verbinden. Es gibt eine tolle Studie von Gottfried Schlaug von der Harvard University, wie Singen nach einem Schlaganfall hilft. Es gibt Leute, die nicht mehr reden können, wo die Hälfte des Gesichts gelähmt ist. Er hat gezeigt, wie man innerhalb von 3 bis 4 Wochen diesen Menschen beibringen kann, „I Feel Good“ zu singen, obwohl sie „I feel good“ noch nicht sagen könnten. Über diesen Vorgang kommt das Sprechen zurück. Das sind Dinge, die wie Wunder klingen, aber klinisch belegt sind.
Was ist das Ziel von HealthTunes?
Unternehmen wie Google, Amazon, JPMorgan wollen viel im Medizinbereich machen und neue Health-Initiativen starten. Wir versuchen, mit ihnen Kontakte zu knüpfen, um Musik als heilendes Element voranzutreiben. Auch die Pharmaindustrie braucht neue Möglichkeiten, wie sie Menschen wirklich helfen kann. Musik kann dabei eine Rolle spielen. Wir wollen offen für jede Kooperation sein, wir werden uns aber nie verkaufen. Wir bleiben non-profit.
Elon Musk arbeitet an einem Brain-Machine-Interface. Sind das Gebiete, wo Sie Einsatzmöglichkeiten sehen?
Ich bin da ein Nerd. Das Brain-Machine-Neural-Network ist etwas Faszinierendes. Die Gefahr ist nur: Es ist invasiv. Es gibt jetzt schon ein System namens OpenWater, die machen das nicht invasiv mit Infrarot. Das Ziel ist, in drei Jahren ein Buch ins Gehirn upzuloaden. Auch Gedanken, wenn jemand im Koma liegt, soll man einmal deuten können. Wir wissen, dass Komapatienten teilweise alles hören, aber nicht kommunizieren können. Wenn man bei jemandem nach einem Verkehrsunfall die Gehirnströme deuten und beeinflussen kann, dann kann das helfen. Aber wie alles hat es auch Risiken. Ein Messer kann man zum Schnitzel-Schneiden verwenden, man kann einen chirurgischen Eingriff damit machen, aber auch jemanden töten.
Wie weit ist HealthTunes als Methode?
Noch am Anfang. Es ist noch sehr viel Forschung notwendig. Als mein Vater mit Akupunktur begann, wurde er belächelt. Mittlerweile weiß jeder, wie gut sie helfen kann. Ich sehe Musik in der Medizin an einem ähnlichen Punkt, wobei ich glaube, dass wir schon weiter sind als Akupunktur in ihren Anfängen. Ich werde immer wieder gefragt, warum traurige Musik hilft, wenn wir traurig sind. Es gibt einige Philosophen wie Prof. North, die sagen: „Wenn wir etwas sehr Trauriges hören, denken wir daran, dass es jemanden gibt, der noch trauriger war als wir.“ Dadurch fühlen wir uns besser. Oder es gibt eine andere Meinung über das Prolaktin. Prolaktin ist ein Hormon, das u. a. beim Stillen erzeugt wird, eine Art Happy-Macher, ähnlich wie Dopamin. Wir sehen, dass sich bei trauriger Musik die Prolaktin-Ausschüttung erhöht. Was die Musik macht: Sie regt gewisse Hormonausschüttungen an, die uns dann in der Physiologie helfen –
bei Schmerzen, bei Depression, selbst bei Abhängigkeit. In Rehabilitationszentren haben wir gesehen, dass es gegen Sucht helfen kann, wenn Abhängige richtig mitmusizieren.
Was ist Ihre Botschaft?
Ich bin dankbar für jeden, der sich mit Musik-Medizin beschäftigt, und ich bin froh, dass sich mehr und mehr Ärzte und Wissenschaftler damit befassen. Es kommen immer mehr Partner, die mit uns kooperieren wollen. Sie sehen die Wirksamkeit der Musik und wie teambildend es funktioniert. Wir entwickeln gerade ein Corporate-Wellness-Programm. Viele Arbeitnehmer leiden an Stress, Burnout, haben Symptome während der Arbeitszeit. Wenn jemand mit chronischen Kopfschmerzen schlechter arbeitet, wird diese Person depressiv und auch der Arbeitgeber hat Nachteile. Wenn wir solchen Menschen am Arbeitsplatz durch Musik helfen können, hat das eine positive Schneeballwirkung und hilft nicht nur dem Menschen, sondern auch dem Unternehmen.