Eine gute Rede lebt nicht nur vom Inhalt, sondern auch von der Theatralik, der Gestik, dem Rhythmus. Am wichtigsten sind die Pausen. Jene Momente, wo der Vortragende schweigt. Wo im Saal Stille herrscht, und das Publikum dem Moment entgegenfiebert, in dem er seinen Satz vollendet. Dr. Wallace J. Nichols, der von seinen Freunden nur J. genannt wird, beherrscht dieses Spiel perfekt. Es herrscht Stille in der Trieste Stazione Marittima, der historischen Hafenstation der Adria-Metropole, die zum Kongresszentrum umfunktioniert wurde. Seit den Morgenstunden läuft hier der Kongress „Water for Unity“, den die Autorin Francesca Tuzzi veranstaltet. J. steht auf der Bühne, hinter ihm auf der Leinwand ein gigantisch großes Bild unseres Planeten, aufgenommen aus dem Weltall. Er nimmt eine blaue Murmel aus seiner Sakkotasche und hält sie vor sein Auge. Erst jetzt sagt er den Satz, der die Stille unterbrechen soll: „So sieht unsere Erde aus dem Weltall aus, aus Millionen von Kilometern Entfernung: ein blauer Planet, bedeckt mit Wasser.“ Pause. „Dieses Bild müssen wir uns erhalten, indem jeder seinen Beitrag dazu leistet.“
Der Weltreisende. Wasser, das ist Wallace J. Nichols’ Element. Seit er 2014 sein Buch „Blue Mind“ veröffentlichte, einen New York Times-Bestseller, der in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde, reist er rund um den Globus, um Menschen zu überzeugen, dass es uns im, auf, unter und in der Nähe von Wasser besser geht. Seine Botschaft mag simpel klingen, doch sie trifft den Nerv der Zeit. Und Nichols ist ein begnadeter Botschafter.
Vom Model zum Biologen. Früher modelte er für Elite, die legendäre Modelagentur von John Casablancas, den alle nur „The Starmaker“ nannten. Naomi Campbell, Linda Evangelista, Tyra Banks, Heidi Klum, sie alle waren wie J. bei Elite unter Vertrag. Wie man mit dem richtigen Auftreten, der souveränen Pose Menschen für sich begeistern kann, das hat er vor der Kamera und auf dem Laufsteg gelernt.
Doch dann entschied sich J. Biologie und Ökologie zu studieren und Meeresbiologe zu werden. „Mir wurde rasch bewusst, dass vor allem Forschung zu einem ganz wesentlichen Thema fehlt: unserer emotionalen Verbindung zur Natur und zum Wasser.“ So begann er sich auf Meeresschildkröten zu fokussieren und die emotionale Bindung dieser Tiere auf Artgenossen, aber auch auf den Menschen zu erforschen. Er versuchte, den britischen Neurologen und Schriftsteller Oliver Sacks zu überzeugen, ein Buch über diese neuen Aspekte des Wassers zu schreiben, doch dieser lehnte dankend ab und empfahl ihm ganz direkt: „Dieses Buch musst du selbst schreiben.“
„Wenn wir über den Wert von Wasser sprechen, eines Flusses oder des Meeres, dann geht es fast immer um die Blue Economy: Jobs, Fische, Meeresfrüchte, Sauerstoff, neue Pharmazeutika. Der Ozean wird auf eine Handvoll Marktvorteile reduziert“, kritisiert der Meeresbiologe. „Was sträflich ignoriert wird, sind kognitive, emotionale, psychologische und soziale Vorteile des Wassers. Jeder von uns hat diese in seinem Leben schon erlebt, dazu brauchen wir keine Wissenschaft.“
Wasser macht uns kreativer. Nichols begann also zu recherchieren und zu forschen. Selbst Autor von über 200 wissenschaftlichen Studien, verknüpfte der Vater zweier Töchter, der mit Frau Dana und seiner Familie an der Küste Kaliforniens lebt, wissenschaftliche Ergebnisse aus verschiedensten Genres rund um das Thema Wasser. Die Ergebnisse verblüfften selbst ihn. So wird Kreativität durch Wasser zum Beispiel signifikant gesteigert. Wenn man bedenkt, dass Stress Ursache für bis zu 60 Prozent aller Krankheiten ist, sorgt Wasser als Mittel der Stressreduktion für ein neues Wohlbefinden. Schwimmen, Baden, am Wasser liegen, all das reduziert signifikant jene Faktoren, die Stress verursachen.
Globale Bewegung. Also startete Nichols eine mittlerweile global agierende Bewegung, die er – wie sein Buch – „Blue Mind“ nannte. Er will die Botschaft in die Welt tragen, dass Wasser der Schlüssel für ein besseres, glücklicheres und gesünderes Leben ist. Jeder soll den unglaublichen Nutzen von Wasser für sich selbst verstehen lernen.