Die Bilder, die in der Thomas Erben Gallery in New York hängen, scheinen zwei künstlerische Welten zu vereinen. Zum einen zeigen sie Gemälde alter Meister, Gesichter, verewigt in Öl, die zum Teil hundert Jahre und älter sind. Zum anderen werden die Leinwände durch geometrische Formen in pastelligen, gedeckten oder grellen Farben durchbrochen, denen Zahlen zugrunde liegen, die ihnen als Kunstwerk eine neue Dimensionen geben.
Unsere Welt in Zahlen. Stefan Sagmeister ist in seinem Werk bekannt für unkonventionelle Sichtweisen. Der Vorarlberger mit Wohnsitz New York zählt seit seinen Arbeiten für die Rolling Stones, David Byrne und Time Warner zu den bedeutendsten und einflussreichsten Grafikdesignern der Welt. Seine Ausstellung „Beauty“ war in Museen rund um den Erdball zu sehen. Als Corona über unsere Welt hereinbrach, verharrte er nur kurz in Schockstarre. Irritiert von Katastrophenmeldungen und negativen Superlativen, die eine aus den Fugen geratene Welt dokumentieren sollten, begann Sagmeister Fakten zu sammeln, die eine andere Sprache sprechen. „Unsere Sichtweise ist getrübt“, erzählt er im OOOM-Gespräch aus New York. „Was wir in Medien oder sozialen Netzwerken erleben hat einen kurzfristigen Fokus, was unsere Welt ausmacht sind jedoch die langfristigen Fakten und Perspektiven.“ Diese, so der Bregenzer, sprechen eine klare Sprache: „Noch nie ging es unserer Welt besser als heute. Es gibt weniger Krieg, Hunger und Analphabetismus, weniger Menschen sterben bei Naturkatastrophen, mehr Menschen leben in Demokratien, die Lebenserwartung ist gestiegen. Und so entsetzlich Corona für uns ist und speziell auch für den betroffenen Einzelnen: An der Spanischen Grippe starben 45 Millionen Menschen.“
Wo stehen wir heute? Die Idee zu „Beautiful Numbers“, wo er über 100 Daten in seine eigene Designsprache übersetze, kam ihm als Designer in Residence an der American Academy in Rom: „Es gab jeden Tag fantastische Mittag- und Abendessen mit Künstlern, Schriftstellern, Architekte, Archäologen. Ein Anwalt am Europäischen Gerichtshof behauptete, dass das, was wir jetzt in Ungarn, Polen und der Türkei, aber auch in Brasilien und den USA erleben, das Ende der liberalen Demokratie sei“. Das wollte Sagmeister nicht glauben und begann zu recherchieren: „Ich fragte mich: Wo stehen wir heute tatsächlich?“ Vor zweihundert Jahren, so fand Sagmeister heraus, gab es nur eine einzige Demokratie: die USA. Im Jahr 1921 waren es bereits 18 demokratische Länder, heute haben wir 96: „Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in einer Demokratie. Wir erleben nicht das Ende der liberalen Demokratie, wir leben im absoluten goldenen Zeitalter.“
Sagmeister suchte für sein Projekt alte Bilder, die jeweils jene Zeit widerspiegelten, die er bei seinen Daten als Vergleich hinzuzog, im Fall der Demokratie ein 200 Jahre altes Ölgemälde. Entstanden sind 15 Bilder aus historischen Gemälden, drei 3-D-Collagen aus Öl, drei Stickereien und sieben Drucke. Der Run auf Sagmeisters Bilder, der für Illy gerade Tassen der „Art Collection“ designte, war jedenfalls groß. Fast alle Exponate wurden verkauft – zu Preisen von bis zu 20.000 US-Dollar.