Er nennt Scheiße einfach Scheiße. Vorarlberger sind keine Diplomaten. Diese Eigenschaft hat Stefan Sagmeister auch in New York nicht abgelegt. Das macht ihn ausgesprochen sympathisch. „Die Geschichte der Album- Covers ist so viel reicher und außergewöhnlicher als die der Filmposter“, sagte er dem Dezeen Magazine. „Menschen mögen das Star Wars-Poster, weil sie den Film mögen. Aber das Poster selbst ist letztendlich ein Stück Scheiße.“ Wo er Recht hat, hat er Recht.
Er sagt alle sieben Jahre Goodbye. Ein normaler Grafikdesigner, der alle sieben Jahre einfach für ein ganzes Jahr untertaucht, verliert nicht nur seine ganze Klientel, sondern verschwindet unweigerlich in der Versenkung. Stefan Sagmeister sperrt alle sieben Jahre sein Büro zu, macht ein Sabbatical und lässt sich an unterschiedlichsten Orten der Welt inspirieren. Das Paradoxe: Wenn er zurückkommt, warten doppelt so viele Aufträge auf ihn — und doppelt so viele Ideen.
Er sucht sich seine Klienten sehr gut aus. Lou Reed, David Byrne und die Rolling Stones als Kunden zu haben und mit ihnen und für sie Design zu entwickeln, macht sicher deutlich mehr Spaß als selbiges für Justin Bieber, Miley Cyrus und One Direction zu tun. Aber auch bei Firmenkunden hat Sagmeister eine gute Hand. Aishti ist eben ein deutlich cooleres Label als kik.
Er hat ein Gespür für gesellschaftliche Trends. Was treibt einen Designer dazu, eine „Happy Show“ für Museen zu entwickeln? Und was tausende Menschen in Wien, sie auch noch anzusehen? Ganz einfach: Die Ausstellung ist einfach gut — und am Puls der Zeit. Wenn in Paris Bomben explodieren und der IS ganze Landstriche erobert, sehnen sich die Menschen nach dem simpelsten und naheliegendsten: Glück. Und weil jeder besonders glücklich ist, wenn er auch was tun darf — Interaktivität nennt man so etwas — lässt Sagmeister die Besucher in die Pedale eines Fahrrads treten, damit eine Neonleuchtschrift erscheint, Knöpfe drücken, Karten mit Aufgaben ziehen und Glückssymbole auf Papier zeichnen.
Er führt doch tatsächlich ein Glückstagebuch. Was Stefan Sagmeister auch bei Frauen, die mit Grafikdesign nichts am Hut haben, besonders beliebt macht: Er führt ernsthaft ein Glückstagebuch und benotet jeden Tag darin von 1 (ganz schlimm) bis 10 (ganz toll).
Sagmeister, this is hilfiger. Where is my fucking lion?
Er ist ein Einzelkämpfer geblieben. Klar doch, da gibt es Jessica, seine Partnerin, und den einen oder anderen Mitarbeiter. Aber jemand mit seinen Fähigkeiten könnte eine Company mit 200 Mitarbeitern leiten und sich trotzdem vor Aufträgen kaum erwehren: „Tatsache ist“, sagt Sagmeister: „Ich kenne keine einzige große Designfirma, die ich respektiere, außer vielleicht IDEO.“ Große Klienten, so Sagmeister, würden immer große Agenturen wollen, weil es ihnen ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. Aber wo bleibt die Qualität? Und nur, um mehr zu verdienen? „Geld macht mich nicht glücklich“, sagt er. Zusatz: „Solange ich mir weder über mein Zuhause noch über das Essen Sorgen machen muss.“ Der Psychologe Danny Gilbert aus Harvard würde argumentieren, zitiert Sagmeister dann gerne, wenn du in den USA unter 80.000 Dollar pro Jahr verdienst — also ein armer Schlucker bist — spielt Geld eine ganz andere Rolle für dich, als wenn du darüber liegst. Dann macht es keinen Einfluss mehr auf dein Wohlbefinden, ob du 800.000 oder 800 Millionen Dollar im Jahr verdienst.“ Wie beruhigend.
Er ist ein zäher Brocken. Wer als Jüngster von sechs Geschwistern aufgewachsen ist, hat von klein auf gelernt, sich durchzusetzen. Nach einem Gastspiel in der Maschinenbau-HTL ging er zunächst nach Wien. Nach der Aufnahme an der Angewandten konzentrierte er sich u. a. auf das Design von Theaterplakaten. Weil sich schon damals seine Qualität zeigte, suchte er um ein Fulbright-Stipendium an, das ihm tatsächlich ein zweijähriges Auslandsstudium in New York ermöglichte. Doch bevor er dort blieb, ging er erstmals nach Hongkong.
Er lässt sich in seiner Arbeit nicht irritieren. „Design muss funktionieren“, sagte schon Donald Judd, „Kunst nicht.“ Auch wenn, wie bei dem Cover für das Rolling Stones-Album „Bridges to Babylon“, ganze Industrien dranhängen, lässt sich Sagmeister nicht antreiben: „Tommy Hilfiger präsentierte damals die Tour zum Album der Stones. Mick Jagger hatte sich für meine Idee entschieden, einen Löwen mit menschlichem Gesicht für das Cover zu nehmen. Das zu entwickeln, dauerte ein wenig. Eines Morgens erhielt ich um sechs Uhr früh einen Anruf: ‚Sagmeister, this is Hilfiger. Where is my fucking lion?‘“
Er schielt nicht nach der Konkurrenz. „Was ich nie mache, ist meine Konkurrenz bewusst zu studieren. Inspiration von außen ist viel interessanter.“ Speziell auf Reisen arbeitet Stefan Sagmeister immer an neuen Ideen. Musik und Literatur sind seine wichtigsten Inspirationsquellen. Der erklärte Vinylfan versuchte sich früher selbst als Musiker, wenn auch mit — sagen wir mal freundlich — durchwachsenem Erfolg: „Ich war ein schlechter Musiker in noch schlechteren Bands.“
Er hat nicht vergessen, woher er kommt. „Ich fühle mich immer noch als Österreicher“, sagt Sagmeister — anders als sein Landsmann Arnold Schwarzenegger nicht nur bei Interviews im ORF. „Ich bin ein österreichischer Designer, der in New York lebt.“ Sechs bis sieben Mal pro Jahr kommt er zurück ins Ländle, wo er mit 15 und der Jugendzeitung „Alphorn“ den Grundstein für seine Karriere legte.
Er macht einfach exzellente Arbeit. Sagmeister ist in dem, was er macht, einfach extrem gut. „Wir haben uns von Anfang an immer die Frage gestellt: Machen wir so gute Arbeit, wie wir können?“ Er macht sie.