Hatten Sie einen Plan B?
Nein. Ich hatte quasi dem Teufel die Hand zum Gruße gereicht. Anonymität gab es keine mehr. Ich konnte nach der „Venusfalle“ nicht einfach irgendwo mal schnell als Kellnerin aushelfen – was mir ja früher Spaß gemacht hat. Dazu war ich plötzlich zu bekannt. Ich hab früher als Zahnarztassistentin und als Kellnerin gearbeitet, ich hab als – ich hasse dieses Wort – Model gearbeitet, ich war aber auch kein klassisches Model. Ich habe gutes Kleingeld mit Zahnpasten und Limonaden verdient.
Sie haben Effi Briest gespielt, drei Jahre die Buhlschaft im Berliner „Jedermann“, also starke, klassische Rollen. Trotzdem denken viele Leute beim Namen Sonja Kirchberger automatisch an Ihre erotische Rollen. Warum?
Ich weiß es wirklich nicht, ich weiß aber auch, dass es mich heute nicht mehr stört. Wenn du über 50 bist, und du wirst mit Erotik und Attraktivität in Verbindung gebracht, dann stört es dich nicht mehr – ganz im Gegenteil. Mit 30 dachte ich mir: „Ich hab ja noch so viele andere Seiten – und keiner sieht die!“ Ich habe tolle Rollen gespielt, aber auch so viel Nonsens gedreht, dass ich gar nicht weiß, wo ich ihn verstecken soll.
Sie gingen dann in die USA.
Nach dem großen Erfolg der „Venusfalle“ zog ich für drei Jahre nach Los Angeles. Ich habe an der UCLA Comedy und Drama gemacht. Dort sieht man Erfolg und Misserfolg ganz entspannt.
Fehlt uns in Österreich und Deutschland eine Kultur des Scheiterns?
Absolut. Bei uns ist man sofort der Loser. Menschen, die etwas riskieren, sind meine Helden. Damit ist nicht Donald Trump gemeint, der ist mehr ein Zwischenfall. Ich schätze Menschen, die alles probieren, auf die Fresse fallen, mit einer blutigen Nase aufstehen und wieder alles riskieren. Das sind meine Vorbilder. Ich habe mit meinem Restaurant auch alles riskiert – ich habe alle meine Ersparnisse dafür genommen. Der Weg des geringsten Widerstands war es nicht. Dann hätte ich ja gleich sagen können: Gut, ich rutsche von der einen Serie in die andere.
Bei „Leaving Las Vegas“ mit Nicolas Cage war ich unter den letzten fünf für die Hauptrolle, heute weiss ich, dass es richtig war, es nicht geworden zu sein, ich hätte die Rolle nie so gut spielen können.
Welche Rolle, die Sie gern gespielt hätten, haben Sie nicht bekommen?
Bei „Leaving Las Vegas“ (Anm.: mit Nicolas Cage) war ich unter den letzten fünf Frauen für die Hauptrolle, da merkte ich: Das wird sehr eng. Ich muss ganz ehrlich sagen, mir fällt der Name der Kollegin heute gar nicht mehr ein, die das dann gespielt hat (Anm.: Elisabeth Shue), aber so gut wie sie das machte, hätte ich es definitiv nicht spielen können. In solchen Situationen kann ich mir auch selbst sagen: Es war richtig, dass du es nicht geworden bist, auch wenn es damals sehr wehgetan hat. Ich habe oft in meinem Leben Dinge nicht bekommen, ganz oft. Damit musst du leben. Du musst auch gönnen können.
Glauben Sie an Bestimmung? Passieren Dinge in Ihrem Leben, weil sie passieren müssen?
Ich glaube an Ursache und Wirkung. Ich glaube wirklich, dass du in deinem Jetzt die Zukunft baust und dass dir die Zukunft noch nicht gehört. Das ist wie mit deinen Kindern, mit ihrer Erziehung, da hast du jeden Tag Premiere. Und jeden Tag kannst du einen Riesenfehler machen.
Waren Sie Ihrer älteren Tochter Janina eine andere Mutter als Ihrem Sohn Lee Oscar?
Alles war anders.
Hat es Janina schwerer gehabt?
Definitiv.
Sind das Fehler, die Sie heute bereuen?
Nein, ich würde es wieder so machen, und das sage ich auch meiner Tochter, mit der ich einen ganz offenen Dialog führe. Kinder neigen ja dazu, die Eltern zu glorifizieren – bis zum 30. Lebensjahr. Dann gehen sie in Therapie und holen die Eltern runter vom Podest, dann kann man sich neu begegnen – all das wollte ich bei meiner Tochter verhindern. Ich hätte meine Karriere gar nicht so aufbauen können, hätte mich Janinas Großmutter damals nicht so unterstützt, weil ich das Geld für ein Kindermädchen und alles andere, was zu Lee Oscars Alltag viele Jahre später gehörte, gar nicht hatte.
Wie oft haben Sie Ihre Tochter damals gesehen?
So oft wie möglich. Wenn Sie freischaffend sind, haben Sie manchmal sehr wenig Zeit, und dann hat man wieder zwei, drei Monate jeden Tag Zeit und kann eine ganz normale Mutter sein. Sie hat definitiv große Einbußen erlebt, was die Zeit mit mir betrifft. Mein Sohn hatte diese Einbußen nicht. Mein Sohn ist meist mit mir mitgereist.
Wie ist heute das Verhältnis zwischen Ihren beiden Kindern?
Sehr, sehr gut. Janina hat sehr viel Demut, und mein Sohn sagt: Die Welt gehört mir. Beides mag ich sehr. Aber beide haben einen völlig anderen Zugang zur Welt, ich weiß nicht, ob das jetzt Erziehung war, die Zeit, die ich mit meinen Kindern verbringen konnte, oder ob sie das auch selber mitbringen. Kinder kommen ja nicht ganz leer auf die Welt.
Ihr Sohn musste von der ersten Sekunde seines Lebens an kämpfen.
Definitiv. Wenn du so wie er die ersten zwei Monate um dein Leben kämpfst und nicht an der warmen Brust deiner Mutter nuckeln kannst, sondern künstlich ernährt und in künstlichen Tiefschlaf gelegt wirst,
wenn du einfach müde bist von Schmerzen und Stress und trotzdem kämpfst, dann hast du einen anderen Charakter. Das sind andere Menschen. Solche Frühchen haben größere Egos, weil sie sich alles erkämpfen müssen. Der Körper erinnert sich an alles, wenn er alleine gelassen wird und nur die Geräusche des Inkubators erlebt, der ja irre laut ist, und Berührung nur mit Schmerz in Verbindung gebracht wird.