Ihr großer internationaler Durchbruch war der oscarnominierte Weltkriegsfilm „Der Untergang“ über die letzten Tage Hitlers im Führerbunker. Wenn man sich die Karrieren von deutschsprachigen Stars wie Christoph Waltz, Stefan Ruzowitzky oder Ihre ansieht, punkten Deutsche und Österreicher im Ausland meist nur mit Nazi-Themen.
Es gibt diesen Schwerpunkt, das stimmt. „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ und „Die Blechtrommel“ waren auch beide oscarnominiert. Die Aufgabe für mich wäre dann, noch mal einen Film zu machen, der nichts mit der deutschen Vergangenheit zu tun hat und trotzdem nominiert wird. (lacht)
Das Dritte Reich hat Sie immer wieder künstlerisch beschäftigt, zum Beispiel im Film „Ein ganz gewöhnlicher Jude“, dem Monolog des Sohns eines Holocaust-Überlebenden. Was muss noch alles aufgearbeitet werden?
Mit dem Aufarbeiten sind wir Deutschen, wenn ich das sagen darf, schon etwas weiter als die Österreicher. Wenn man es sich weltweit anschaut, sind wir vermutlich auch die Anständigsten. Aber die Idee, dass das je vorbei und erledigt sein wird, ist fehlgedacht. Wir stehen für das schlimmste Verbrechen, das es in der Menschheit gab. Dieser Schuld wird sich keine Generation entziehen können. Wir werden immer das Volk der Täter sein. Das gefällt vielen in Deutschland mittlerweile nicht mehr. Aus meiner Sicht kommen wir da nicht raus. Nie.
Mit dem Aufarbeiten sind wir Deutschen schon etwas weiter als die Österreicher. Wenn man es sich weltweit anschaut, sind wir vermutlich auch die Anständigsten. Aber wir werden immer das Volk der Täter sein.
Die Gewaltspirale – wenn man sich die aktuellen Nachrichten anschaut – dreht sich immer weiter. Bei Ihrem Psychothriller „Das Experiment“ geht es in der Eskalation weit über Gewalt hinaus. Steckt das Böse in jedem von uns?
Das Böse steckt in allen von uns. Über erlernte Verhaltensweisen haben wir gelernt, es im Griff zu haben. Aber es braucht oft nur einen kleinen Anlass, um es rauskommen zu lassen. Wenn man sich im Kleinen den Straßenverkehr anschaut, wo normale, friedliche Menschen zu absurden, aggressiven Handlungen greifen, dann gibt das einen Vorgeschmack auf das, was in uns ist. In meiner Wahrnehmung ist es so, dass die Menschen an sich gut sind. Richtig böse Menschen sind selten, nicht nur, weil man gelernt hat, gewisse Werte zu befolgen, sondern weil es in uns drinnen ist. Aber es gibt eben auch dieses Böse.
Haben Sie die Mechanismen in Hollywood bei „Invasion“ mit Kidman und Craig unterschätzt?
Bei der Fertigstellung des Filmes wurden schließlich noch die Wachowski-Geschwister eingebunden. Bei „Invasion“ wusste ich von Anfang an, dass das Drehbuch noch nicht fertig war, aber die Voraussetzungen gut sind. Der Studioeffekt war, dass ich zu drehen gezwungen war, weil Nicole Kidman nur dieses Zeitfenster hatte. Auch das kann manchmal gut- und manchmal schiefgehen. In diesem Fall ist es aus meiner Sicht eher schiefgegangen. Es war trotzdem eine spannende Erfahrung. Die Idee der Wachowskis, das mit diesen Flashbacks und Flashforwards zu erzählen, hat mir nicht gefallen. Wenn ich mich auf die Hinterbeine gestellt hätte, hätte die Directors Guild (Anm.: amerikanische Gewerkschaft der Regisseure) das natürlich drehen können. Aber die Wahrheit ist: Ich wollte nicht. So, wie ich das gerne erzählt hätte, hat es nicht funktioniert. Insofern habe ich das dann ziehen lassen.
Das Böse steckt in allen von uns. Über erlernte Verhaltensweisen haben wir gelernt, es im Griff zu haben.
Sie haben sich 2013 an die Lebensgeschichte von Prinzessin Diana gewagt und ihr Leben mit Naomi Watts verfilmt. Viele haben vorab gemeint, dabei kann man nur scheitern, weil jeder Diana kennt und man sie nur in einem gewissen Licht sehen will. Gibt es Projekte, bei denen Sie nachträglich dachten: Das hätte ich lieber bleiben lassen sollen?
Nein. Es gibt keinen Film, keine Entscheidung, wo ich sagen würde, dass ich sie bereue. Man weiß vorher nie, was daraus wird. Meine Entscheidungen kommen stets aus dem, was die Engländer „Challenge“ nennen. Es muss immer eine Herausforderung sein, etwas Gefährliches, Schwieriges, etwas, das vielleicht in die Hose geht. Auch die Idee, Hitler in „Der Untergang“ zu inszenieren, hätte schwer in die Hose gehen können. Aber das sind dann eben Stoffe, die mich reizen. Bei „Invasion“ war interessant, dass es nicht gerade ein HBO-Hit (Home Box Office) war, aber es ist ein Dauerbrenner im Streaming. Das Rating steigt ständig. Dass ein Film nach zehn Jahren ein anderes Leben entwickelt und noch mal neu und anders wahrgenommen wird, finde ich sehr interessant. „Diana“ wurde in England niedergemacht, bedingt auch in Frankreich. Aber in Ländern wie Polen oder Dänemark war der Film in den Top 10.
All die Superheldenfilme wie Marvel sind die neuen Blockbuster, die Milliarden einspielen. Was für ein Wunsch liegt dahinter? Warum sieht man sich gerne einen Film an, wo jemand Superkräfte besitzt?
Im weitesten Sinne ist es das, was man Escapism nennt. Es kommt von „escape“ – flüchten, etwas nicht zu nahe an sich rankommen lassen. Marvel und DC Comics waren ganz stark in den 1950er- und 60er-Jahren als ein Reflex auf den Horror des Zweiten Weltkrieges und dann oft auch als Zitat an den Vietnamkrieg zu sehen und das, was die USA als imperialistische Kraft dort veranstaltet haben. Ich glaube, es ist eine Vermeidungs- und Rückzugsstrategie, was es so erfolgreich macht. Und es ist eine einfache, überschaubare Welt: Die Guten sind die Guten, die Bösen sind die Bösen. Es ist ein Universum, das man versteht, in dem man weiß, wo man hingehört. Bei „Game of Thrones“ ist das Interessante, dass die Guten auch böse werden und die Bösen gut. Insofern ist „Game of Thrones“ für mich auch zehnmal spannender als diese Superhero-Welten. Es entspricht mehr der echten Welt. Die, die nach außen hin Gutes tun, können sehr böse sein – und umgekehrt. Wir haben es in uns, das Böse steckt in uns.
Marvel ist eine einfache Welt: Die Guten sind die Guten, die Bösen sind die Bösen. Bei „Game of Thrones“ werden die Guten auch böse. Das ist für mich zehnmal spannender.
Sie haben ursprünglich Malerei und Grafik studiert und als Performance-Künstler erste Erfolge gefeiert, bevor Sie zum Film gewechselt sind.
Ich habe Ende der 1970er-, Anfang der 80er-Jahre entschieden, nicht mehr auf der Fläche zu malen und keine Grafiken mehr zu machen. Es gab einen Studienkollegen, der so gut war, dass ich wusste: So weit wie der werde ich nie kommen. Das war Albert Oehlen, heute einer der wichtigsten und teuersten Künstler der Welt. Ich habe mich danach mehr auf das Arbeiten im Performance-Bereich, auf Aktionen verlegt und dann auch die Gruppe M. Raskin Stichting Ens. gegründet. Das war damals für mich revolutionärer, mehr am Puls der Zeit. Wir haben angefangen, Shows auf Theater- und Performancefestivals zu machen. Das war richtig auf dem Weg abzuheben, doch ich habe auch begonnen, einen Spielfilm zu drehen. Bei dieser Parallelarbeit habe ich gemerkt, dass Film das ist, was mich am meisten interessiert und mir auch talentmäßig am nächsten war: das Geschichten-Erzählen, die narrative Arbeit.