Der „Jedermann“ ist ein Stück vom Sein und Vergehen. Beschäftigt Sie der Tod?
Der Tod beschäftigt mich seit meiner Zeit als Schüler. Ich wuchs gegenüber vom Friedhof Ottakring auf und bin nachts gerne auf den Friedhof gegangen, weil das so aufregend war – ich war so jung und hatte das ganze Leben noch vor mir, konnte aber schon beobachten, wo das Leben letztlich hinführt. Ich habe viel gezeichnet und auch häufig Totenschädel. Später habe ich in der Klasse den „Totentanz“ von Goethe aufgesagt, was sozusagen die Initialzündung war, um mich später für die Schauspielerei zu entscheiden: Dieses Gedicht hat mein Leben verändert. Später bei Brandauer habe ich das gleiche Gedicht mitten auf dem Altausseer See aufgeführt, was zwischen uns sofort zu einer Verbindung führte.
Was kommt danach? Ein großes Nichts? Oder doch etwas?
Danach kommt das „Naturtheater von Oklahoma“ aus Kafkas „Amerika“. Ein Paradies, in dem alle willkommen sind, auch der Protagonist Karl: Alles, was er bisher getan hat, ist vergessen, niemand macht ihm daraus einen Vorwurf. Ein Ort ohne Vorwürfe. In der Bibel habe ich kein paradiesisches Bild gefunden – aber Kafka hat mir die Freiheit geschenkt, mich aufs Paradies zu freuen.
Der neue „Jedermann“ soll im Heute spielen. Wo finden Sie Jedermann in sich selbst?
Na, jeder hatte ja schon diesen Reflex, sich dem Materialismus auszuliefern. Man glaubt vielleicht, dass einen der Besitz irgendwie retten kann: Wenn man wenigstens ein Haus hat, hat man einen Ort, wo man zur Not hinkommen kann. Im Leben bin ich nicht so – aber dieses Gefühl borge ich mir gerne auf der Bühne aus: Das Bacchantische, das Mephistophelische. Selbst Werther ist letztlich so: zügellos. Das ist das, was ich auf der Bühne ausleben darf – und wofür ich gerne besetzt werde. Wie auch der Schnitzler aus den „Vorstadtweibern“. Der ist ja auch eine Art „Jedermann“. Das Zügellose ist gleichzeitig extrem zeitgenössisch: Wir können ja alle machen, was wir wollen, und verwechseln dabei Zügellosigkeit mit Individualismus.
Bei Michael Maertens, Ihrem direkten Vorgänger, hat man gesehen, wie schnell etwas im Leben vorbei sein kann. Haben Sie Bedingungen für die Übernahme der Rolle gestellt?
Ich habe keine Bedingungen für die Übernahme der Rolle gestellt. Um das einmal ganz klar zu sagen: Michi Maertens hat eine wirklich gute Performance gemacht – mit ihm hatte der ganze Vorgang, ein neues Ensemble für den „Jedermann“ aufzustellen, überhaupt nichts zu tun. Es ging um Politik. Ich habe natürlich keine „Bedingungen“ gestellt, denn wenn einem in Salzburg diese Rolle angeboten wird, dann nimmt man sie an: Es ist so, als würde einem ein religiöses Amt angeboten. Wenn man Papst werden soll, stellt man keine Bedingungen.
Wie ist Ihre Zusammenarbeit mit Robert Carsen, der aus der Oper kommt und doch sicherlich einen anderen Zugang zum „Jedermann“ hat als Sie?
Robert Carsen ist Kanadier und hat natürlich einen völlig anderen Zugang zu diesem Stück als jemand, der damit aufgewachsen ist. Aber weil er aus dem Musik-Theater kommt, arbeitet er ganz anders, mit einer genialen Detailtreue, die uns anfangs alle irritiert hat. Gleichzeitig hat er einen sehr internationalen Blick auf das Stück, was sehr interessant ist: Wir gehen jetzt aus dem kleinen Salzburg in die Welt.
Mit „Jedermann Reloaded“ und der Elektrohand Gottes spielen Sie seit 2013 alle Rollen als Monolog, Jedermann wird zum Rockstar. Mit „Jedermann Razelli Remix“ machen Sie daraus eine Clubversion. Was sehen Sie am Domplatz und auf der Burg Clam, wenn Sie Menschen von der Bühne in die Augen sehen? Welcher „Jedermann“ ist Ihnen näher?
Ganz ehrlich: Von der Bühne aus sehe ich die Augen des Publikums nicht, ich bin dann „blinded by the lights“. Mir ist keine Version „näher“ als eine andere: Es sind ja gerade diese unterschiedlichen Facetten, die den Beruf des Schauspielers so unglaublich spannend machen: Ich darf daraus etwas machen. Genau darum geht es.
Jedermann bereut am Ende. Was bereuen Sie?
Dass ich zu lange brav war. Dass ich lange Zeit die Regeln zu ernst genommen habe.
Sie gelten als exzentrischer Mensch. Oder zumindest als kein einfacher. Hat das seine Vorteile, weil man sich mehr erlauben kann?
Ich weiß nicht, wer das Maß einer solchen Behauptung ist. Es ist heutzutage auch nicht mehr so, dass man sich als Exzentriker „mehr erlauben“ darf – wir leben in ganz anderen Zeiten. „To think out of the box“ ist doch meine Aufgabe als Künstler. Aber ich bin nicht per se exzentrisch, also „außerhalb meines Zentrums“. Ich möchte irritieren und die Leute aus ihrem Zentrum herauslocken – das ist mein Job.
Die Meinungsumfragen prognostizieren einen Wahlsieg der FPÖ in Österreich. Was bedeutet das für Österreich, die Kunst – und persönlich für Sie?
Es geht tatsächlich um viel mehr als Landespolitik. Die Welt teilt sich immer mehr in rechts oder links auf, dazwischen gibt es kaum noch Differenzierungen. Es geht immer weniger um Facetten, nur noch um „gut“, „schlecht“, „vernünftig“ oder „böse“. Das das macht das Leben grundsätzlich weniger interessant, weil wir uns dadurch so sehr beschränken.
Warum haben Sie meist keine Schuhe an?
Weil ich gerne den Boden spüre.