Die blonden Haare der beiden Männer wirkten irgendwie verstörend, auch ihre Haut und ihre Augen waren auffällig hell. Sie waren Brüder und litten an derselben Krankheit: Albinismus, einem Gendefekt, der sich durch Pigmentmangel auszeichnet. Nun wollten Johnny und Edgar Winter Musikkarriere machen. Und während jeder empfahl, die beiden Bluesmusiker möglichst zu verstecken, damit sich Fans nicht durch ihr Aussehen vom Plattenkauf abhalten lassen, entschied Paula Scher, damals Art Director bei CBS Records, genau auf diese Karte zu setzen. Richard Avedon, einer der bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts, fotografierte die Winter-Brüder nach ihren Vorgaben. Das Ergebnis steht heute als Kunstwerk mit der Objektnummer 196.2015 im Museum of Modern Art in New York – ebenso wie 19 weitere Werke von ihr.
Paula Scher ist eine Ikone des Grafikdesigns. Es gibt keine andere Frau in der Geschichte dieses Genres, die unser Verständnis für visuelle Kommunikation, Typografie und Design so maßgeblich verändert hat wie sie.
Scher stammt aus Washington, D.C. und hatte anfangs keinen blassen Schimmer, was Design überhaupt ist: „Ich hatte keine Ahnung, was ein Designer eigentlich macht“, erzählt Scher im OOOM-Gespräch. „Aber ich interessierte mich schon damals für Kunst.“ Also studierte sie an der Tyler School of Art in Philadelphia: „Ich war in fast jedem Fach schlecht, bis wir im zweiten Studienjahr zum Grafikdesign kamen. Ich wusste sofort: Das ist meins! Design und Illustration faszinierten mich.“
Dazu braucht man Talent.
Die Anfänge in der Designbranche verliefen zäh: „Damals waren Frauen bestenfalls Sekretärinnen oder Lehrerinnen, aber sicher keine Grafikdesigner. Ich lernte nie Schreibmaschineschreiben, weil ich alles werden wollte – nur keine Sekretärin.“ Als sie ihrer Mutter schließlich gestand, dass sie nach New York ziehen und Designerin werden will, warnte sie diese eindringlich: „Sie sagte zu mir: Mach das bloß nicht – dazu braucht man Talent!“
In New York hielt sie sich zunächst mit Illustrationen über Wasser, bis sie einen Job beim Verlag Random House bekam: „Ich durfte das Innenleben von Kinderbüchern gestalten. Als mein Boss die Firma verließ, wollte er mich nicht zurücklassen, damit mich sein Nachfolger vielleicht feuert. Also vermittelte er mich an einen Freund bei CBS Records, der dort das Promotion Department leitete. So kam ich in die Musikindustrie.“
Von The Boss bis Billy Joel.
Beim Musikgiganten CBS – mit einem kurzen Gastspiel bei Atlantic Records – war Scher fast ein Jahrzehnt und entwarf in dieser Zeit über 1.500 Schallplattencover, darunter für Stars wie Bruce Springsteen oder Leonard Bernstein. Welches ihre besten Cover waren? „Ach, die waren alle schlecht!“, lacht Scher. „Nein, auf einige bin ich heute noch stolz. Ich begann mit großen Typografien auf dem Cover und war die Erste, die so etwas in den 1970er-Jahren machte. Man nannte das später ‚Postmodernism‘. Ich entwickelte eine Serie von Cover für den Jazzmusiker Bob James, bei denen ich Objekte in überdimensionaler Größe abbildete, zum Beispiel ein Hot Dog oder eine Münze. Für Wilbert Longmire nahm ich riesige Spiegeleier. Und ich liebe noch immer die Cover, die ich für Johnny & Edgar Winter entwarf, aber auch für Muddy Waters.“
Bei weniger bekannten Künstlern war es jedenfalls einfacher, spannende Ideen durchzusetzen: „Meine besten Arbeiten konnte ich nie für Stars machen. Wenn ich ein Cover für Billy Joel entwarf – und ich machte etliche für ihn –, wusste ich genau, was ich designen musste, damit er und seine Plattenfirma happy waren. Das war eine rein wirtschaftliche Entscheidung: Was verkauft sich am besten? Es war ein Horror, wer alles damals ein Albumcover freigeben musste. Da waren die Künstler und Manager, dann aber auch oft die Frauen der Manager, die sich einmischten. Bei einer Band mit fünf Mitgliedern waren es alle Musiker, ihre Manager, ihre Frauen und dann noch ihre Freundinnen, die mitreden wollten. Das gab es alles – und es war mühsam. Am einfachsten war es, Cover für tote Künstler zu machen, für Jazzmusiker und Klassikstars. Darum hat sich die Plattenfirma meist nicht gekümmert, und so konnte ich meine besten Ideen dafür entwickeln.“