Sie haben schon in jungen Jahren mit Klang experimentiert. Hatten Sie tatsächlich schon als Kind die Fähigkeit, in einen Raum zu gehen und seine Resonanzfrequenzen zu erkennen?
Ja, das hatte ich. Ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, was ich da tue. Ich war mir der Akustik meiner Umgebung immer sehr bewusst. Es war eigentlich ein Zufall, dass eine Frau ihr Klavier vor dem Gerichtsvollzieher verstecken musste. Sie war verschuldet und sie fragte, ob sie ihren Steinway in unserer Scheune verstecken könnte. So war ich plötzlich mit diesem außergewöhnlichen Instrument konfrontiert. Sie war eine sehr exzentrische Frau, und als Dank gab sie mir ein paar Wochen Klavierunterricht. Das Erste, was ich jemals auf dem Klavier spielte, war Mozarts Sonate in C. Es war also eine sehr intuitive Einführung in das Instrument. Ich war als Kind in der Lage, mich auf den Raum und die Form einzustellen.
Hatten Sie schon früh eine klare Vorstellung davon, was Sie eines Tages machen wollen?
Ich hatte immer irgendwelche verrückten Projekte, selbst als ich noch sehr jung war. Ich beschloss einfach, ein Streichquartett zu schreiben, als ich etwa zwölf Jahre alt war. Ich habe zunächst Musik studiert, dann bildende Kunst und anschließend Film an der Sorbonne in Paris. Es war ein sehr glückliches Zusammentreffen von visueller, akustischer und erzählerischer Arbeit.
Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass Sie als Filmmusikkomponist enden?
Ich wollte in der Lage sein, Filmmusik zu schreiben. Und das tue ich in gewisser Weise immer noch, denn ich schreibe Musik für meine eigenen Filme. Ich drehe gerade eine Video-Oper in den paläolithischen Höhlen Frankreichs, den berühmten bemalten Höhlen. Und ich habe mit Hilfe von Archäologen eine Beziehung zwischen den Malereien und den Resonanztönen, den Resonanzfrequenzen der Höhle entdeckt. Das zeigt, dass die Menschen dort vor vielleicht 15.000 Jahren im selben Raum gesungen haben, in dem sie auch malten. Und das wirklich Coole daran ist: Wenn man in einem Raum singt und ihn zum Schwingen bringt, wenn man eine Resonanzfrequenz in einem akustischen Raum hat, wird die Stimme komplett von der Stimme des Raums übernommen. Das ist sehr bewegend, dass diese Höhlen jetzt dieselben Töne erzeugen wie früher. Wir sind musikalisch in Kontakt mit der Kultur, über deren Musik wir nichts wissen, aber hier ist etwas, das wir zumindest über ihre Harmonie wissen können. Das wird eine Filmarbeit sein, die sowohl Musik als auch Malerei beinhaltet. Und ich werde mit den Pigmenten aus diesen Höhlen Resonanzbilder malen.
Ich entdeckte, dass jedes Gefäß auch eine Art kleiner architektonischer Klangraum ist mit eigenem Ton. Ich verband 32 davon zum „Vessel Orchestra“, mit dem Philip Glass musizierte.
Was hat Sie daran gereizt, die Natur des Klangs in bestimmten architektonischen Räumen zu erforschen und zum ersten Mal hörbar zu machen?
Ich konnte immer schon in einen Raum gehen und hören, welche Tonart der Raum singt. 2015 hatte ich tatsächlich eine Erleuchtung, als ich bei Robert Wilson (Regisseur, Theaterautor und Künstler) als Artist in Residence im Watermill Center in Long Island eingeladen war. Er hat eine Sammlung unglaublicher Gefäße unterschiedlichster Herkunft und Epochen. Als ich dort arbeitete, entdeckte ich, dass jedes Gefäß auch eine Art kleiner architektonischer Klangraum ist und dass ich in diese Gefäße singen kann und sie zurücksingen. Wenn man die richtige Note singt, dann singen sie zurück. Und dann entdeckte ich, dass ein Mikrofon im Gefäß die Resonanzfrequenz verstärkt, so dass man die Stimme des Gefäßes hören kann, ohne es besingen zu müssen. So kam es schließlich zu meiner Ausstellung in der Met im Jahr 2019, bei der ich die Sammlung der Met als akustisches Instrument nutzte.
Ihr Gefäßorchester bestand damals aus 32 Gefäßen. Sie haben in jedes Objekt ein Mikrofon eingebaut, dieses mit einer Tastatur verbunden, so dass jeder Ton der Objekte in Echtzeit gehört und damit musiziert werden konnte. Sie haben dazu eine Komposition geschrieben, die in einer Schleife lief.
Genau, den ganzen Tag über. Gefäße, die physisch perfekt miteinander harmonieren, die aber auch einen Querschnitt der Menschheit darstellen. Jedes Gefäß, das jemals in der Geschichte der Zivilisation hergestellt wurde, hat eine musikalische Note in sich. Jeden Freitagabend hatten wir ein Konzert, zu dem wir Musiker einluden, von Philip Glass bis Laurie Anderson. Das war eine sehr schöne Art, Objekte durch die akustische Linse zu betrachten und Musik mit der bildenden Kunst zu verbinden. Es war eine völlig neue Interpretation der Objekte, die normalerweise schweigend in Vitrinen liegen und nur von sehr wenigen Menschen gesehen und noch weniger beachtet werden. Plötzlich hatten sie eine Stimme, und was wir mit dieser Stimme sagen konnten, hing ganz von der Kultur und dem musikalischen Erbe des jeweiligen Musikers ab, der sie bespielte.
Musik ist für Sie ein Bindeglied zu Raum und Architektur?
Wenn Sie in ein Konzert gehen und diese Harmonie hören, die gespielt wird, wenn Sie die Schwingungen sehen könnten, die von all diesen Instrumenten oder von der Stimme ausgehen, würden Sie sehen, dass die Wellen, die zum Beispiel von einem Symphonieorchester ausgehen, die phänomenalste komplexe und wunderschöne Geometrie in drei Dimensionen ist. Und der Grund, warum es für uns so wunderbar klingt, ist, dass diese Geometrie eine kohärente, sich überschneidende, perfekte, unglaubliche dreidimensionale Bewegung und Vibration in der Luft ist. Musik ist Form, und sie ist ein Bindeglied zu jedem architektonischen, jedem skulpturalen und sogar jedem gemalten Raum. Und hier kommen wir zu den Resonanzbildern: Die Idee, dass wir, wenn wir Klänge erzeugen, auch Formen und Skulpturen schaffen, und dass man den Klang sogar malen kann.
Ich nutze Schalltrichter als Pinsel. Ich bespiele Pigmente auf der Leinwand über einen Lautsprecher mit Klängen. so entstehen die Bilder.
Wie sind die „Resonance Paintings“, die in der Galerie Ropac in Salzburg zu sehen sind, entstanden?
Ich habe zum ersten Mal erkannt, dass Musik eine so ausgeprägte Geometrie hat, als ich noch in Oxford war. Ich habe ein Stück mit einer irischen Trommel gespielt, eine Handvoll Mehl auf die Oberfläche der Trommel gestreut und konnte sehen, wie die Musik die schönsten geometrischen Muster erzeugt. Während des Lockdowns hatte ich endlich Zeit, diese Idee weiterzuentwickeln: Ich tauschte die Trommel gegen die Oberfläche einer Leinwand aus, ich nahm zuerst Holzkohle und schließlich Pigment und entdeckte, dass das musikalische Gehör, das mir die Fähigkeit verleiht, die Resonanz und die Harmonie eines Raumes zu finden, es mir auch ermöglichte, Klang zu nutzen, um Geometrie und Farbe zu schaffen, indem ich buchstäblich Schalltrichter als meinen Pinsel benutzte. Das war aufregend. Ich bespielte Pigmente auf der Leinwand über einen Lautsprecher mit Klängen. Plötzlich diese perfekte Geometrie physisch auf der Leinwand zu sehen, die ich mein ganzes Leben lang vor meinem geistigen Auge hatte, die durch Stimme oder Musik auf der Oberfläche der Leinwand entstanden ist, war erhebend. Der Lautsprecher bewegt die Luft und die Luft bewegt das Pigment in genau denselben Formen, weil es ein so leichtes, feines Pigment ist. Deshalb sind es Resonanzbilder, es sind wirklich Bilder, die buchstäblich mit Klang gemacht wurden. Ich berühre die Leinwand nie mit meinen Händen.
Sie wählten die Farbe Blau.
Das Blau ist Kobaltoxid, die Leinwand ist weiß. Jedes blau-weiße Gefäß, das jemals in der Geschichte der Menschheit gemacht wurde, entstand mit einer Musiknote darin. Angefangen hat es mit einem der Töpfe meiner Großmutter in Kent, England. Ich sah diesen Topf in ihrem Haus auf dem Regal stehen und ich fragte mich, wie er zu uns gekommen ist. Mir wurde klar, dass diese Keramik über das britische Empire, die Portugiesen, die Holländer und die Spanier zu uns gelangt war. Ja, sie kam über China, aber auch über Japan und Korea. Und in der Tat wurde sie ursprünglich im heutigen Iran erfunden. Aber mir ist klar, dass wenn man den Weg dieses Pigments verfolgt, auch dieser unglaublichen Geschichte des menschlichen Handels und des Imperialismus folgt, um schließlich zu erkennen, dass diese Anziehungskraft fast ansteckend wirkt.
Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Thaddaeus Ropac? Sie hatten 2013 Ihre erste Ausstellung in seiner Pariser Galerie.
Auf der Biennale von Lyon, als ich noch sehr jung war, hatte ich eine Ausstellung und als Teil davon zeigte ich den Küchenboden meiner Großmutter, ich zeigte ein Video von meiner Mutter, wie sie einen durchgehenden Ton singt, eine Skulptur einer Eisenbahn, die im Boden verschwindet. Und eine Resonanz-Performance mit zwei jungen Countertenören, die in der Ecke einer Baustelle stehen und diese riesige Betonnische zum Klingen bringen. Da kam Thaddaeus Ropac vorbei, hörte sich die Performance an und sagte nach ein paar Minuten: „Ich möchte gerne Ihr Werk kaufen.“ Ich fragte ihn: Welches?“ Er antwortete: „Die Jungs, die in der Ecke singen.“ Ich war überrascht und dachte: Wie verkaufe ich zwei Countertenöre? Meine Antwort war trotzdem sofort „Ja“, auch wenn ich erst sehr schnell herausfinden musste, wie ich ein angemessenes Aufführungsprotokoll anfertigen und dieses Werk konkret in die Sammlung eines so außergewöhnlichen Galeristen bringen kann. Wir haben uns ausgezeichnet verstanden. Die Tatsache, dass er ein immaterielles Werk von mir als erste Geste gekauft hat, sagt schon sehr viel über ihn aus. Er hat eine tiefe künstlerische Sensibilität, die mich eigentlich immer wieder dazu ermutigt hat, weiter, wilder und aufregender in dieses Abenteuer zu gehen.
Sie haben aus dem Küchenboden Ihrer Großmutter 2008 ein Kunstobjekt gemacht: Linoleum aus den 1960er-Jahren, auf dem man sieht, wo sie 40 Jahre lang ging, saß, wo der Kühlschrank stand. Das Werk zeigt die Wege ihres Lebens. Wie kamen Sie auf die Idee?
Ich habe den Boden 2003 abgenommen, als sie starb. Ich war damals 17 Jahre alt und noch kein Künstler, aber irgendwie wusste ich, dass dieses Objekt ein Zeugnis ihres Lebens zwischen diesen vier Wänden geworden war. Da sie 1913 geboren wurde, war die Küche ein Ort, auf den sie gesellschaftlich in gewisser Weise beschränkt war. Meine Großmutter hätte eine große Musikerin sein können. Ich machte eine ganze Ausstellung darüber, wie sie ihre erste Komposition mit 87 Jahren schrieb. Sie sagte zu mir, als ich 15 war: „Oliver, ich habe dieses Musikstück in meinem Kopf. Aber ich kann es nicht aufschreiben und ich kann es nicht auf dem Klavier spielen, weil ich es nie gelernt habe. Kann ich es dir vorsingen und würdest du es spielen?“ Das habe ich getan. Da war diese außergewöhnliche Frau, der ihr Vater verboten hatte, Musik zu lernen, weil er der Meinung war, dass Frauen zu Hause bleiben sollten. In der Mitte der Ausstellung stand ein automatisches Klavier, das ihre Komposition spielte, die ich so sehr liebe. Der Boden ist ein Objekt, das in gewisser Weise diese Resonanz hat in einem metaphorischen Sinn. Es ist etwas, mit dem sie so lange Zeit in Kontakt war, und es wurde ungewollt zu einem Porträt von ihr, einfach durch das Leben.
Fotos: Galeria Thaddaeus Ropac, Eva Herzog, Benjamin Westoby, John O. Rourke, Studio Oliver Beer, Adam Reich.