Früher Morgen am Flughafen Mumbai. Eine angenehme, warme Brise kommt mir beim Verlassen des Flughafengebäudes entgegen. Alles ist noch sehr ruhig, nur wenige Menschen stehen vor dem Terminal. Ich frage bei einem Getränkestand, wo ich ein Taxi in die Stadt finden kann. „Taxi?“, fragt der Verkäufer ungläubig. Nein, ich solle doch ein Uber nehmen, und er schickt mich in den dritten Stock des gegenüberliegenden Parkhauses zum Uber-Treffpunkt.
Mumbai: Eine Stadt erwacht. Trotz der aufgehenden Sonne darf man sich während der Fahrt keine romantische Stimmung erhoffen. Mumbai ist Realität pur: Armut gegen die Wohlstandssymbole der globalisierten Welt. Wie viele Menschen hier leben, weiß man nicht genau, es sollen um die 20 Millionen sein. Täglich strömen viele Arbeitssuchende aus allen Teilen des Landes in die Mega-Metropole, um sich hier niederzulassen. Sie träumen von einem besseren Leben und treffen doch nur auf die ernüchternde Wirklichkeit. Vorbei an unzähligen kleinen Wellblechhütten fährt mich mein Uber-Driver recht zügig ins Zentrum. Straßenverkäufer bieten an allen Ecken und bei jeder Ampel ihre Waren feil, Frauen in bunten Saris überqueren auf dem Weg zu den Märkten die Straße, ein Ochsenkarren blockiert den Kreisverkehr – eine Stadt erwacht. Sehr schnell ändert sich das Szenario, wenn man in eine wohlhabende Gegend kommt. Moderne Glaspaläste ragen in stillem Wettstreit um Größe und Dominanz in den milchigen Himmel. Es scheint, als hätte man sich in eine andere Zeit beamen lassen. Versteckt hinter dicken Mauern und inmitten eines duftenden, orientalischen Gartens liegt das Four Seasons Mumbai. Ein modernes, elegantes Boutiquehotel, das ganz ohne Protz auskommt.
Die Sunsetbar auf der Dachterrasse offenbart einen atemberaubenden Blick über die Stadt und das Meer. Auch das Service im Haus ist top, ganz besonders das Spa, wo Behandlungen bis um ein Uhr früh möglich sind, wenn man sowieso unter Jetlag leidet.
Man kann in Mumbai stundenlang dem bunten Treiben zusehen und abends die farbenfroh verzierten Kutschen mit den fröhlichen Fahrgästen beobachten.Zum Gateway of India. Zu Mittag fahre ich zum Causeway, einem belebten Straßenmarkt. Allerlei Krimskrams, bunte Gewänder, Taschen, handgemachte Fächer, Schmuck – so ziemlich alles findet man hier. Es ist auch kein Problem, dass ich als Frau allein unterwegs bin. Niemand bettelt oder belästigt mich. Einen erfrischenden Halt mache ich im bekannten Café Leopold. Es spielt eine bedeutende Rolle in dem Roman „Shantaram“ des australischen Buchautors Gregory Roberts, eines ehemaligen heroinabhängigen Bankräubers, der aus dem Gefängnis ausbrach und nach Indien floh, wo er über ein Jahrzehnt lebte. Und so wenig seine persönliche Geschichte zu Indien passt, sein Roman zeichnet ein umfassendes und sehr reales Bild des Lebens in der chaotischen und überbevölkerten Metropole. In den Fokus der Weltöffentlichkeit gelangte Mumbai durch die Terroranschläge 2008, die 174 Menschenleben forderten. Heute ist es ein beliebter Treffpunkt für Touristen, aber auch für Filmleute aus Bollywood, die dort gerne nach westlichen Statisten Ausschau halten. Wenn man sich an den Essensständen und kleinen Geschäften vorbeigearbeitet hat, kommt man zum Gateway of India, einem großen Triumphbogen am Thane Creek, der zur Erinnerung an den ersten Besuch eines englischen Königs, Georg V. 1911, in Indien errichtet wurde. Man kann hier stundenlang dem bunten Treiben zusehen und abends die farbenfroh verzierten Kutschen mit fröhlichen Fahrgästen beobachten. Taj Mahal Palace. Gleich gegenüber des Gateway of India befindet sich das exklusive Taj Mahal Palace. Das Hotel wurde im Auftrag eines indischen Großindustriellen im Jahre 1903 errichtet, da ihm als Inder der Zugang zum besten Haus am Platz von der englischen Elite verwehrt wurde. So baute sich Jamshedji Tata sein eigenes Hotel, das damals alle anderen Luxushotels an Prunk und Ausstattung in den Schatten stellte. Um Mumbais Bedeutung als britische Kolonialstadt zu verstehen, sollte man auch den High Court im Colaba-Viertel besichtigen. Dieses imposante neugotische Gebäude wird auch heute noch als oberstes Gericht in Mumbai genutzt. Direkt davor, am Oval Maidan, einer parkähnlichen Grünfläche, zeigt sich die Megastadt von ihrer entspannten Seite. Es wird am weitläufigen Rasen Cricket gespielt, unter schattigen Bäumen dösen Straßenverkäufer, eine Schulklasse macht Turnübungen – eines von Mumbais vielen Gesichtern.
Über 100 Tonnen Müll produziert die 22-Millionen-Metropole Mumbai täglich. rund 80 % des Plastikmülls davon werden recycelt.Ein großer Industriezweig ist die Filmbranche. Bis zu drei Spielfilme werden in Bollywood pro Tag (!) produziert. Tausende Schauspieler, Techniker, Filmcrew-Mitarbeiter und Abertausende Statisten finden hier einen Job. Die meisten Produktionen sind Liebesfilme mit viel Musik und Tanzszenen. Eine weitere boomende Branche ist der Diamantenhandel. Im internationalen Diamantengeschäft führt kein Weg an Indien vorbei. Tausende Arbeiter schleifen hier Rohdiamanten, die man am Zaveri Bazar bei einem der großen Händler erwerben kann. Bollywood oder Slums? Am nächsten Tag plane ich eine Bollywood-Tour, um hinter die Kulissen der weltgrößten Filmproduktion zu blicken. Ich begann im Internet zu surfen. Über das Hotel eine Tour zu buchen fand ich langweilig – lieber eine kleine lokale Agentur unterstützen, war meine Devise. Neben den gängigen Bollywood-Touren fand ich auch eine Slum-Tour durch Asiens größten Slum, Dharavi, im Herzen der Stadt gelegen und berühmt geworden durch den Hollywoodfilm „Slumdog Millionaire“.
Mumbai ist Realität pur: Armut gegen die Wohlstands- symbole der globalisierten Welt.Armut schauen? Ich fragte mich: Ist es ethisch vertretbar, einen Slum als Tourist zu besuchen? Ist das „Armut-Schauen” oder ist es legitim, verstehen zu wollen, wie Menschen in ihrer – sicher nicht einfachen – Welt ihr Leben gestalten? Irgendetwas in mir schob alle Zweifel beiseite und kurz entschlossen änderte ich meine Pläne: Statt Bollywood sollte es nun ein Blick in den größten Slum Asiens werden. Die Agentur bestätigte mir die Buchung und ich sollte meinen Guide namens Kirtan vor einem Café bei der Mahim Railway Station treffen. Bald darauf saß ich im Uber und fuhr durch Mumbais belebte Straßen, was alleine schon ein Abenteuer ist. Wie es gelingt, dass sich Tausende Fahrzeuge scheinbar unkontrolliert und unter Missachtung aller gängigen Verkehrsregeln einen Weg durch den enormen Verkehr bahnen, ist mir bis heute ein Rätsel. Angesichts dieses Wahnsinns passiert verhältnismäßig wenig auf Mumbais Straßen. Nach aufregenden 30 Minuten war ich am Ziel angelangt. Vor dem Café, einer indischen Starbucks-Kopie, wartete schon Kirtan auf mich. Mitten in Dharavi. Der sympathische junge Mann studiert EDV in Mumbai und erzählte mir, dass er selbst in den Slums aufgewachsen sei. Es leben nicht nur die Ärmsten der Armen in Dharavi, sondern auch Angestellte, Anwälte, Lehrer, und die meisten schon in der zweiten oder dritten Generation, schilderte Kirtan das Leben vor Ort. So könnten wir während der Tour seinen Cousin Rahoul besuchen. Berührungsängste darf man in Dharavi keine haben. Unzählige Menschen drängen sich in den engen Gassen, um Gemüse oder andere Waren zu kaufen, Mopeds fahren hupend durch die Menge. Rund 10.000 kleine Firmen, darunter Handwerksbetriebe wie beispielsweise Gerbereien, Schneidereien und Töpfereien, gibt es in Dharavi. Beinahe 90 Prozent der Unternehmen machen ihr Geschäft mit Recycling.
Rahoul bietet Slumtouren an: „Die Menschen schämen sich nicht, zu zeigen, wie sie leben, das ist Ihre Heimat.“Wir begannen unseren Rundgang in der „Recycling Station“, wo Plastikmüll von den diversen Deponien gesammelt landet und dann sortiert und geschreddert wird. Über 100 Tonnen Müll produziert die 22-Millionen-Metropole Mumbai täglich, rund 80 % des Plastikmülls davon werden recycelt. Unbeirrt sitzen die Männer bei der Arbeit und fühlen sich durch unsere Anwesenheit gar nicht gestört. Riesige Säcke mit Plastikmüll stehen im ganzen Viertel – so weit das Auge reicht. Die Plastikflasche mit Wasser, die ich vom Hotel mit dabei hatte, fühlte sich danach gar nicht gut an. In Zukunft werde ich meine Trinkflasche auch bei Reisen mit dabei haben. Jeder noch so kleine Schritt ist Teil der Veränderung. Wir schauten in kleine Baracken, die zu Werkstätten umfunktioniert worden sind und wo Lenkräder, Autoteile und elektronische Geräte auseinandergenommen und in wiederverwertbare Einzelteile zerlegt werden. Es herrscht geschäftiges Treiben, keine Lethargie und keine Bettler, ein Mikrokosmos, der funktioniert. Es gibt Stände mit frisch gekochtem Essen, Schulen und Krankenhäuser, Moscheen und Tempel – alles mitten in Dharavi. Auf das Töpferviertel, wo wir nach zwei Stunden vorbeikamen, ist Kirtan sichtlich stolz, es ist eines der ältesten und reichsten Viertel im Slum.
Ein Slum als Mikrokosmos, der funktioniert: Es gibt Stände mit frisch gekochtem Essen, Schulen und Krankenhäuser, Moscheen und Tempel.In einer ruhigen Nebengasse hielt Kirtan vor einem kleinen einstöckigen Haus, das seinem Cousin gehört. Rahoul, ein junger, schlanker Mann in Jeans und Markenshirt gekleidet, erwartete uns bereits und bat mit einer einladenden Geste in das kleine Häuschen. Ich befand mich sogleich in einer kleinen, sauberen und komplett gekachelten Küche. Zwei Frauen saßen auf dem Boden, schnitten Gemüse und kochten Reis und Curry, zwischen ihnen krabbelten zwei Babys. Metalltöpfe stapelten sich neben dem Gaskocher und in der Ecke des Raumes, der rund 20 Quadratmeter maß, standen zwei Stühle, die anscheinend für meinen Besuch hergerichtet wurden. Sie reichten mir eine Tasse Chai und Rahoul fing an zu erzählen. Er hatte seit Kurzem seine eigene Agentur eröffnet, die sich auf Slumtouren spezialisierte. „Die Menschen schämen sich nicht, zu zeigen, wie sie leben, das ist ihre Heimat. Die Slums funktionieren gut und durch die Touristen ergeben sich neue Verdienstmöglichkeiten“, erklärte er mir. Zum Beispiel wolle er jetzt auch Touren mit einer Übernachtung im Slum anbieten. Aber als Abenteuercamp sieht er das nicht, eher als Verständnis für ein Leben, wie es sich viele in der westlichen Welt nicht vorstellen können. Mit seiner kleinen Agentur schafft er es, seine Familie zu ernähren und gleichzeitig Besuchern aus der ganzen Welt einen kleinen Einblick in ein anderes Indien zu ermöglichen, anders als die üblichen prospekttauglichen Luxushotels und Paläste. Die Lebensumstände sind sicherlich alles andere als leicht in Dharavi. Jedoch traf ich durchwegs auf Menschen, die versuchen, mit den wenigen Möglichkeiten, die sich ihnen bieten, etwas aus ihrem Leben zu machen. Menschen, die ihre Würde trotz widriger Umstände behalten haben, die stolz sind, die auch glücklich zu sein scheinen mit dem Wenigen, das sie haben. Kein trostloses „Slumdog“-Leben in der Schattenstadt, wie wir es aus dem Film kennen. Sicherlich wird es auch hier viele tragische Schicksale geben, ebenso wie an vielen anderen Ecken dieser großen Welt. Die Armut, die ich jedoch in Dharavi gesehen habe, hat mich zwar sehr berührt, nachdenklich gemacht, aber nicht schockiert. Zeit zum Nachdenken blieb mir genug auf meiner Reise. Goodbye, old Bombay. OOOM-TIPPS Flug. Beste Flugverbindung gibt es mit der Turkish Airline via Istanbul. Coronabedingt gibt es derzeit noch Einschränkungen bei Reisen nach Indien. turkishairlines.com Hotel Four Seasons. 1/136, Dr. E. Moses Road, 400 018 Worli, Mumbai, India fourseasons.com/mumbai Sollten Sie nicht im Four Seasons wohnen, dann unbedingt einen Sundowner in der Rooftop-Bar nehmen. Touren in Mumbai. Stadtrundfahrten, Bollywood oder Slum-Touren: Young Tours & Travel youngtoursandtravel.com