Pilze, Algen, Reis und Mais. Was nach den Zutaten für eine Schüssel Ramen klingt, soll die Zukunft nachhaltiger Materialinnovationen sein. In den letzten Jahren sind nämlich immer ausgefeiltere Textilien, umweltschonende Imprägnierungen oder täuschend echte Lederalternativen aus solchen Produkten entstanden.

Abfälle der Lebensmittelproduktion. Anstatt aus erdölbasiertem Polyester oder tierischen Materialien, die nicht selten mit Leid verbunden sind, könnte unsere Kleidung also bald aus Naturprodukten entstehen, die sonst auf unserem Speiseplan stehen. Aber Moment – genau hier liegt auch der große Haken. Denn in Zeiten von Ressourcenknappheit, Ernteausfällen und Co. sollten wir Lebensmittel definitiv essen statt tragen. Die Lösung für dieses modisch-kulinarische Dilemma? Diese innovativen Ansätze zu nehmen und sie aus den Abfällen herzustellen, die bei der Lebensmittelproduktion sowieso anfallen. Was sonst einfach im Müll landet, soll uns stattdessen lieber kleiden. Das ökologische Haar in der Suppe wäre damit also entfernt.
Mit gutem Beispiel voran. Statt ihre veganen Sneakers aus Plastik herzustellen, entschied sich das spanische Label The Rice Society für Reisspreu, Mais- und Apfelabfälle, Kaktusleder sowie GOTs-zertifizierte Bio-Baumwolle. Die Reisspreu, also die ungenießbare Hülle rund um die Reiskörner, die in jeder Schuhsohle zu finden ist, stammt dabei von einer Paella-Reisplantage, die nur 40 Kilometer entfernt von der hauseigenen Produktionsstätte in Elche, Spanien, liegt. So wird der Einsatz neuer Materialien minimiert und das Grundmaterial steht nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion.

Naturkautschuk. Dasselbe Prinzip verfolgt das amerikanische Unternehmen Natural Fiber Welding Inc. mit seinem täuschend echten Kunstleder „Mirum“. Es besteht aus einer Kombination aus natürlichen Materialien und recycelten landwirtschaftlichen Nebenprodukten. Das in Kalifornien hergestellte Material ist zu 100 Prozent frei von Plastik und fossilen Brennstoffen. Denn anstelle von chemischen Bindemitteln, die in den meisten Lederalternativen stecken, kommt bei Mirum Naturkautschuk zum Einsatz.

Holzkohle, Ton, Kokosfaser. Das Unternehmen setzt auf eine Vielfalt natürlicher Inhaltsstoffe wie biobasierter Holzkohle, Ton, Korkpulver, Reishülsen, Kokosfasern oder sogar recyceltes Denim. Zum niedrigen CO2-Fußabdruck kommt noch die Tatsache, dass Herstellung und Färbung ganz ohne Wasser auskommen.
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Collection: Jacket aus
Naturkautschuk"
Auch für gesundheits- und umweltschädliche Per- und polyfluorierte Chemikalien (PFCs), die in Textilimprägnierungen vorkommen, gibt es mittlerweile ein unbedenkliches Pendant aus dem Lebensmittelkreislauf: Das deutsche Label Raffauf entwickelte eine Art Wachs, das aus Getreideschalen stammt und bei der Öl- und Kleieherstellung entsteht. Es wird normalerweise entsorgt, weil es nicht essbar ist. Raffauf rettet es vor dem Müll, mischt es mit schadstofffreien Zusatzstoffen, verflüssigt es und trägt es als absolut umweltfreundliche Imprägnierung auf seine Jackenmodelle auf.
Fangfrische Textilien. Ein weiterer Hoffnungsträger in Sachen Biomaterialien sind Algen. Viele Algenarten sind zwar essbar und werden bereits als CO2-sparende Fleisch- und Fischalternative gehandelt, die Wasserpflanze ist aber so weit verbreitet und schnell nachwachsend, dass sich diese Verwendungszwecke kaum im Weg stehen. Das deutsche Unternehmen Smartfiber brachte bereits 2007 die innovative Textilfaser Seacell auf den Markt, die aus isländischen Braunalgen mit Hilfe eines chemiefreien, in sich geschlossenen Verfahrens hergestellt wird. Die fertigen Fasern sind ressourcenschonend, zu 100 Prozent biologisch abbaubar und sollen durch die Inhaltsstoffe der Algen sogar beruhigend auf die Haut wirken. Statt wie Kleidung aus Polyester jahrhundertelang den Planeten zu verschmutzen, lässt sich ein Kleidungsstück aus Algen einfach auf dem Komposthaufen entsorgen. Kein Wunder, dass das Verfahren bereits mit dem Europäischen Umweltpreis in der Kategorie „Nachhaltige Technologien“ ausgezeichnet wurde.
Saure Milch – toller Stoff. Man könnte noch viele weitere, spannende Beispiele nennen, denn derzeit scheinen Textilinnovationen aus Lebensmittelabfällen regelrecht aus dem Boden zu schießen. Das Outdoorlabel Vaude arbeitet zum Beispiel mit Filz der Firma QMilk, der aus Milch erzeugt wird, die nicht mehr als Lebensmittel genutzt werden darf. Und auch Farben lassen sich aus Lebensmittel-Abfall gewinnen: Outdoor-Hersteller Patagonia, der für solche nachhaltigen Innovationen berühmt ist, färbt gewisse Kleidungsstücke bereits mit Walnussschalen, Orangenschalen oder Roten Rüben. Ein kleiner, bitterer Nachgeschmack all dieser neuen Methoden: Aus der derzeitige Perspektive der globalen Modeindustrie ist dieser Bereich dennoch nicht mehr als eine Nische. Schätzungsweise 70 Prozent aller weltweit eingesetzten Kunststoffe für Textilien sind bis dato immer noch erdölbasiert. Ein Prozentsatz, der sich ändern soll – und muss. Denn Kleidung aus Lebensmittelresten ist erst ein Vorgeschmack auf die Modeindustrie der Zukunft, die der Umwelt hoffentlich nicht mehr sauer aufstößt.