Auszeichnung Obamas. Neben dieser künstlerischen Größe war er auch das, was man als „decent“ bezeichnet. Anständig. Ein der Moral verpflichteter Mensch, der ein gutes Leben führen wollte und für den die Arbeit ein Teil davon war. Milton Glaser war wohl der einzige Designer überhaupt, der je die „Presidential Medal of Arts“ Amerikas bekommen hat. Das Abzeichen war ihm relativ egal, aber dass er es von Barack Obama bekommen hat, das war einer der großen Momente in seinem Leben.
Was die Politik betrifft war er kein Optimist. Dass Amerika von Donald Trump geführt wurde hat ihm bis zuletzt sehr zugesetzt. Ansonsten war er sehr optimistisch, weil er ja auch einen Weg gefunden hat – und ich glaube, das war sein zweiter Stolz – bis zum Ende seines Lebens am Design interessiert zu bleiben. Mit 90 Jahren gab es nicht mehr viele, die täglich ins Studio gegangen sind und meinten, sie möchten jetzt noch unbedingt etwas gestalten. Milton machte Pläne, auch jenseits der 90. Er kaufte sich sogar noch ein neues Apartment in New York.
Er fand einen Weg bis zum Ende seines Lebens an Design interessiert zu bleiben. Mit 90 Jahren gibt es nicht viele, die täglich noch ins Studio gehen um etwas zu gestalten.
Milton Glaser hat mich mein ganzes Leben begleitet. Als Student und als ich um ein Praktikum bei ihm ansuchte. Sein Partner Walter Bernard sagte damals zu mir, sie würden mich gerne nehmen, jedoch glaube er, ich sei schlicht zu gut. Er meinte, ich wäre besser dran, wenn ich ein paar Freelance-Jobs machen würde, da könnte ich wahrscheinlich mehr lernen als bei ihnen. Wenn ich seinen Rat jedoch ignorieren möchte, dann freue er sich und ich könne sofort anfangen. Ich habe auf Bernard gehört und begann meinen eigenen Weg zu gehen. Diese Einstellung war das moralische Rückgrat von Milton Glasers Studio. Jeder andere hätte sich gedacht: „Großartig, ein junger, talentierter Grafiker, der für uns gratis arbeiten möchte: das nutzen wir aus.“ Bei Milton Glaser war es anders: Ihm war das Wohl eines jungen Designers wichtiger als der eigene Vorteil.
Mein eigenes Studio in New York war gerade einmal eineinhalb Jahre alt, als mein Bruder Martin zu Besuch aus Bregenz kam. Er hatte eigene Damengeschäfte in Vorarlberg unter der Marke Sagmeister. Als er gerade im Studio war, rief Milton Glaser an, er habe ein paar neue Sachen von mir gesehen und ich soll doch mal rüberkommen zum Lunch. Mein Bruder fragte: „Wer war das jetzt?“ Und ich erklärte ihm: „Ein berühmter Designer, der mich zum Lunch eingeladen hat.“ Mein Bruder konnte es nicht fassen. Die „berühmtere“ Konkurrenz ruft dich an, gratuliert zur guten Arbeit und will mit dir Mittagessen gehen – und das in einer Stadt, die für Konkurrenz, Wettbewerb und Ellbogeneinsatz bekannt ist? Auch für mich war das beeindruckend. Diese Einstellung, zwar letztendlich am Markt Konkurrenten zu sein, aber gleichzeitig einander zu schätzen und sogar befreundet zu sein, ist von der Generation von Milton Glaser und Seymor Chwast übergegangen auf Leute wie Paula Scher, Michael Bierut und mich. Diesen Ton in unserer Branche hat Milton gesetzt. Es sind Persönlichkeiten wie er, die vieles verändert haben.
Wenn ich heute an Milton Glaser denke, denke ich in erster Linie an Moral. Er war bei AIGA eingeladen über Design zu sprechen und hielt stattdessen einen Vortrag über Redlichkeit: Dass man Verpackungen gestaltet, wo man den Inhalt größer erscheinen lässt, das ginge gar nicht. Als Grafikdesigner wäre es unsere Pflicht, solche Tricksereien abzulehnen. Ein richtiger Grafiker mache Dinge dieser Art nicht – und gestaltet sie auch nicht. Milton hatte die moralische Autorität, der wir alle gefolgt sind. Weil er uns allen bewiesen hat, dass es möglich ist, redlich und trotzdem erfolgreich zu sein. Milton Glaser war nicht nur als Designer ein Gigant. Er war es vor allem auch als Mensch.
Stefan Sagmeister