Es war bei unserem letzten gemeinsamen Mittagessen im Gramercy Park, kurz bevor Covid-19 unser aller Leben verändern sollte. Steven Heller, über drei Jahrzehnte Art Director bei der New York Times, und ich trafen Milton zum Lunch und diskutierten mit ihm über sein Lieblingsthema: Donald Trump und was aus unserem Land geworden ist. Milton war gegen Ende seines Lebens wahnsinnig enttäuscht über die politische Richtung, die Amerika genommen hat. Er polemisierte gegen Trump, den er in der ihm eigenen Ironie für einen „großen Designer“ hielt „und einen der kreativsten Präsidenten aller Zeiten. Er hat alles über Design, Motivation, Werbung und Showbusiness gelernt. Wir wachen jeden Tag von neuem auf und fragen uns: Was hat er heute wieder verbrochen?“ Ich diskutiere nicht besonders gerne über Trump, denn jeder von uns kennt seine Eskapaden und den alltäglichen Irrsinn zur Genüge. Doch Milton war es ein großes Anliegen. Er lief zur rhetorischen Höchstform auf, argumentierte leidenschaftlich, formulierte empathisch. Es war das letzte Mal, dass ich Milton Glaser sehen sollte.
Milton hielt Trump für einen „Großen Designer“. Und fragte sich täglich: Was hat er heute wieder verbrochen?
Auf Instagram habe ich von seinem Tod erfahren, ein großer Nachruf in der New York Times folgte fast in Echtzeit.
Milton Glaser hat weit über die Grenzen des Grafikdesigns hinaus Einfluss ausgeübt. Er hat Generationen geprägt, nicht nur was das Verständnis und den Zugang zu Design betrifft, sondern Haltung und Anstand. Auch meine Arbeit hat Milton Glaser beeinflusst. Für mich war er ein Mentor.
Mahnendes Gewissen. Ich habe Milton zum ersten Mal als Student getroffen und seither immer wieder, da wir in der gleichen Abteilung an der School of Visual Arts in New York unterrichtet haben. Er war eine kulturelle Naturkraft. Nicht nur weil sein Hauptberuf Grafikdesigner war. Er schuf ein Grafikdesign, das er ganz eng mit dem Leben und sich selbst, aber auch mit dem Leben der Menschheit verknüpfte und das ein großes moralisches Gewissen verkörpert. Ich erinnere mich an einen seiner Vorträge auf einer AIGA-Konferenz (American Institute of Graphic Arts), als er über die Pflichten des Designers sprach. Vor allem wenn man älter ist kann Kritik sehr schnell als Lästern mit erhobenem Zeigefinger missinterpretiert werden. Bei Milton war es anders: Man verstand ihn als mahnendes Gewissen. Es war keine Affektiertheit, kein Stursinn des Alters, sondern sein ehrlicher Weg, das Leben zu leben. Sein Vortrag war jener auf der Konferenz, über den mit Abstand am meisten diskutiert worden ist.
Miltons kultureller Einfluss war seit Jahrzehnten enorm und ist es bis heute. Die Gründung des New York Magazine war global wegweisend. Ohne das New York Magazine gäbe es den Falter in Österreich nicht, es gäbe auch kein Face. Die Idee eines Stadtmagazins, für das brillante Autoren schreiben, hat weltweit mit dem New York Magazine begonnen, und Milton war einer der Mitgründer. Dieses Magazin hat jede Kultur beeinflusst, nicht nur die amerikanische. Wenn man sich ansieht, wer aller für das New York Magazine geschrieben hat, von Tom Wolfe bis Nora Ephron, so zeugt das von höchstem Anspruch.
Er schuf ein Grafikdesign, das er ganz eng mit dem Leben und sich selbst verknüpfte und das ein großes moralisches Gewissen verkörpert. Sein kultureller Einfluss ist bis heute enorm.