50.000 Freiwillige. Landau weiß, wovon er spricht. Vor 21 Jahren übernahm er die Leitung der Caritas Wien, verdreifachte die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter auf 4.500, startete das Mobile Hospiz und machte die „Gruft“ zur wichtigsten Obdachloseneinrichtung der Stadt. Seit dreieinhalb Jahren leitet er als Präsident die Geschicke der Caritas Österreich. Mittlerweile engagieren sich mehr als 50.000 Freiwillige bei der Caritas: „Immer mehr Menschen wollen mitmachen und ihren Beitrag zum Zusammenhalt in der Gesellschaft leisten.“ Speziell für junge Menschen ist, so eine neue Jugendstudie, Solidarität ein ganz zentraler Schlüsselbegriff. „Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft, aus der sich niemand davonstehlen darf.“
Kirchenaustritte. Landau ist als Topmanager der Kirche für den Erfolg verantwortlich, auch wenn er nicht müde wird zu betonen, dass dies ein Teamerfolg aller ist. Gerade in Zeiten wie diesen, wo ein unberechenbarer Narziss über die größte Supermacht der Welt herrscht und immer mehr Menschen nach Sinn in ihrem Leben suchen, sollte sich eigentlich die katholische Kirche vor einem Zustrom nicht erwehren können. Doch stattdessen treten jährlich über 100.000 Menschen aus der Kirche in Österreich aus. „Die Kirche hat vielleicht zu lange auf Fragen geantwortet, die ihr niemand gestellt hat, und solche ignoriert, die wichtig waren. Wir arbeiten Tag für Tag mit wohnungslosen Menschen, mit arbeitslosen Menschen, mit Menschen auf der Flucht, mit Menschen mit Behinderungen oder Menschen am Ende der Lebens in der Hospizarbeit, und ich glaube, genau dort gehören wir auch hin: an die Ränder der Gesellschaft und des Lebens. Dort, wo es für andere Menschen brüchig wird, aber eben mit dem doppelten Auftrag. Auf der einen Seite dem Auftrag der konkreten Hilfe von Mensch zu Mensch, aber auch mit dem Auftrag, mitzuwirken an einer zukunftstauglicheren Gesellschaft, in der möglichst alle Menschen eine Chance auf ein Leben in Würde und auf ein Leben mit positiver Perspektive und Hoffnung führen können.“
Hilfe für alle. Deshalb engagiert sich die Caritas in Österreich ebenso wie in den Hunger- und Krisengebieten der Welt: „Wir dürfen nicht die eine Not gegen die andere Not ausspielen. In Österreich gibt es so viele Menschen, die verzweifelt Arbeit suchen. Die Menschen benötigen leistbaren Wohnraum, Heizen, Energie, den Zugang zu Bildung für Kinder aus sozial schwachen Familien – es gibt genügend Themen in Österreich. Wir sind da wie dort gefordert.“
Landau hat erst spät zu seinem Glauben gefunden. Er ist mit 20 Jahren getauft worden, wollte eigentlich Biochemiker werden und hat erst mit 28 Jahren sein Theologiestudium begonnen. „Ich hatte kein Erweckungserlebnis, keine Erleuchtung oder Erscheinung. Als Naturwissenschaftler hat man eine klare Vorstellung davon, was eine Wissenschaft ist, und Theologie ist keine. Ich hab dann eigentlich Theologie zum Studieren angefangen, um mir klarer zu werden, ob das für mich der richtige Lebensweg ist, aber durchaus in der Voreingenommenheit, dass das wahrscheinlich ziemlich langweilig und auch zum Teil Unfug sein wird. Doch es war vom Studium her wider Erwarten spannend und interessant.“ Da seine Eltern unterschiedliche religiöse Bekenntnisse hatten – Landaus Vater Erwin war Jude, der 1939 aus Österreich flüchten musste und erst 1947 nach einem Aufenthalt in Shanghai nach Österreich zurückkehrte, seine Mutter Eva Katholikin – wollten sie ihm die Entscheidung überlassen: „Zu Hause war der prägendere Glaube der unserer Mutter, auch das gemeinsame Gebet vor dem Schlafengehen gehörte dazu.“ Als Landau seinem Vater gestand, Theologie zu studieren, reagierte dieser verblüfft: „Wieso? Du hast doch schon etwas Anständiges gelernt.“ Seine Mutter war anfangs „durch den Wind, weil Mütter vermutlich immer irgendwie die Hoffnung haben, einmal Großmutter zu werden. Diese Perspektive schien dann weniger wahrscheinlich.“
Doch er ging seinen Weg, denn Michael Landau ist fest überzeugt, dass jeder Mensch dort, wo er steht, einen Auftrag hat im Sinne des Veränderns der Welt.
Da kommt auch der aktuelle Papst Franziskus wie gerufen: „Mir scheint, dass dieses aktuelle Pontifikat ein ausgesprochener Glücksfall ist. Der Papst ermutigt uns ganz stark hineinzugehen in die Welt, sich einzulassen auf die Wirklichkeit, sich dabei keine Sorge zu machen, auch vor den Beulen und Schrammen nicht, die man sich holt. Das, glaube ich, ist genau die richtige Botschaft.“
Und auch gegen die kontinuierlichen Austritte hätte Landau einen Ansatz: „Ich würde mir wünschen, dass in der Kirche ein Stückchen mehr an Lebensfreude und Lebensfreundlichkeit spürbar wird.“
Entspanntere Diskussion. Was Landau vom Zölibat hält? „Das könnte man ohne Weiteres abschaffen, das ist jetzt keine Glaubensfrage sondern eine Disziplinfrage. Ich sage immer: Ein Rosenkrieg im Hause Pfarrer ist vermutlich auch nicht das, was eine Gemeinde sehr animiert. Ich glaube, diese Fragen sollte man zum Teil viel entspannter diskutieren, als sie heute diskutiert werden.“
Deswegen konzentriert sich der smarte Gottesmann lieber weiter auf seine Afrikamission: „Es geht zunächst zwar um die unmittelbare Lebens- und Überlebenshilfe, etwa in der Situation der Dürre, aber es geht auch um Perspektiven, daher sind wir ja auch als Caritas in Afrika mit Projekten nachhaltiger Landwirtschaft engagiert. Wir müssen Strukturen aufbauen und wir sind im Bereich Bildung engagiert, weil wir überzeugt sind, dass das Wege sind, die unerlässlich sind für eine gute Zukunft.“
10 Euro für ein Menschenleben: www.caritas.at