Warum beschäftigen sich heute so viele Menschen, auch Politiker und Wirtschaftsgrößen, mit spirituellen Themen, wollen aber offiziell nicht damit in Verbindung gebracht werden?
Strolz: Auf mich kommen viele Leute zu und beginnen mir darüber zu berichten. Ich war dieses Jahr im November wieder fasten. Als ich 2014 fasten ging, machten die Leute noch Scherze darüber. In den folgenden Jahren sind immer mehr Abgeordnete auf mich zugekommen und haben mir heimlich erzählt, dass sie auch fasten waren. Es gibt viele, die spirituelle Praxis für sich kultivieren, aber nicht darüber reden, weil sie Angst haben stigmatisiert zu werden.
Haben Sie die seltsamen Sprüche der anderen getroffen?
Strolz: Die Häme war mir eher egal. Was mich getroffen hat, waren die Reaktionen auf dieses Kastanien-Gedicht (Strolz beschäftigte sich darin in poetischer Form mit dem Werden und Weichen von Kastanien, Anm.). Durch eine persönliche Bekanntschaft schickte ich das Gedicht damals der Chefin der Krone bunt. Darüber war vor allem die Qualitätspresse empört, ich bekam böse Leitartikel.
Wie war das für Sie?
Strolz-Taferner: Das war eines der gröbsten Dinge, mit denen ich umgehen lernen musste: Wenn ich das Gefühl hatte, er wird ungerecht behandelt. Das hat mich, glaube ich, härter als ihn getroffen, weil ich hilflos war.
Wenn er von der Arbeit nach Hause kommt, findet er dann gleich in die Rolle des Familienvaters?
Strolz-Taferner: Er kann extrem schnell switchen. Ich habe nie das Gefühl gehabt, mit ihm ein viertes Kind zuhause zu haben.
Ihr völliger Rückzug aus der Politik kam für viele überraschend. Welche Rolle spielten Sie als Ehefrau?
Strolz-Taferner: Wir waren immer im Austausch miteinander. Ich war immer nahe an der Politik dran, das habe ich auch gebraucht als Hausfrau und Mutter.
Strolz: Sie war mein wichtigster Coach!
War der Rückzug eine plötzliche Entscheidung?
Strolz: Es war meine Entscheidung. Die Familie hat eine große Rolle dabei gespielt. Der Punkt war, dass ich zu Jahresbeginn 2018 erkannte, dass – so die Landtagswahlen im ersten Halbjahr noch gut gingen – ich bei NEOS gut ersetzbar sein würde. Ich glaube an Berufung. Und ich glaube, dass meine Berufung abgelaufen ist. Denn sie war, unserer Republik gemeinsam mit Mitstreitern eine neue politische Kraft der Mitte zu stiften. Diese Mission ist nach knapp sieben Jahren erfolgreich erfüllt. In dieser Erkenntnis hat sofort die Vaterrolle bei mir aufgezeigt und gesagt: „Hier gibt es keinen Plan B.“ Wir hatten eine Familienkonferenz am Gardasee. Ich wollte dort meine Vaterrolle besprechen, und da kam von meiner Achtjährigen dieser eine Satz: „Papa, du hast keine Nerven für uns!“ Die Zehnjährige nickte, und die Zwölfjährige, die sehr einfühlsam ist, sagte: „Das war aber nicht immer so!“ In den letzten Jahren, warum auch immer, habe ich Nerven abgelegt. Die Perspektive für die Vaterrolle wäre nach unten gegangen. Das hätte nicht funktioniert, weder für die Familie noch für meine Frau und mich als Paar.
Waren Sie zu selten da?
Strolz: In den ersten zehn Jahren habe ich immer jeden Morgen die Zähne mit den Kindern geputzt. Das war zwar ein kleines Ritual, aber für mich extrem wichtig. Dann habe ich sie zum Kindergarten oder zur Tagesmutter gebracht. Das ist dann weggefallen, da habe ich etwas verloren in diesen letzten drei Jahren. Vielleicht gibt es auch einen Pool an Nerven, der nach sieben Jahren Parteiführung aufgebraucht ist. Ich sehe trotzdem, dass ich ein guter Vater war.
Wie hat sich Ihr Eheleben seitdem verändert?
Strolz-Taferner: Ich habe auf einmal mehr Luft zum Atmen. Ich muss das auch erst mal fassen, weil ich in so einem Rad drinnen war. Plötzlich habe ich Freiräume, meine Kunst zu machen. Im ersten Moment hat mich diese neue Freiheit überfordert.
Strolz: Vor allem gab es ein halbes Jahr, wo du nicht darüber sprechen durftest. Das war eine brutale Zumutung.
Strolz-Taferner: Ich will mich ja austauschen mit meinen Freundinnen und anderen Menschen. Wenn die dich fragen, wie es dir geht, und du kannst nicht mit ihnen reden, ist das schlimm.
Strolz: Irgendwann hat Irene die Stimme verloren und wir haben ein Buch über Psychosomatik gelesen. Da stand als Ursache: „Dir wird verboten über wichtige Dinge zu sprechen!“ Da habe ich ein schlechtes Gewissen bekommen. Wir haben vereinbart, dass sie mit zwei Personen reden darf. Drei Tage später war die Stimme wieder da.
War es für Sie ein Grund, mit der Politik aufzuhören, weil Sie nicht als Partner in eine Regierung kamen und in der Opposition nicht viel ausrichten können?
Strolz: Ich halte heute die Opposition für wichtiger als zu dem Zeitpunkt, als ich in die Politik gegangen bin. Die Regierung ist in ihrer Inszenierung so medienmächtig, dass diese oft leise Parlamentsarbeit untergeht. Wir arbeiten jeden Tag hart in der Kontrolle, in der Aufklärung, in Untersuchungsausschüssen. Die Regierung kann davon ausgehen, dass sie nicht tun und lassen kann, was sie will. Das ist wichtig. Weil hätte diese Regierung dieses Signal nicht, dann sind wir in drei Jahren in ungarischen Verhältnissen. Aber es stimmt: Ich wäre natürlich lieber einer, der gestaltet, als täglich kritisiert. Das stete Kritisieren ist für mich nicht ideal, sondern eher eine tägliche Dosis Selbstvergiftung, und du musst Routinen finden, damit die Vergiftungsdosis nicht letal wird.
Wie oft würden Sie heute noch gerne aufstehen und etwas sagen?
Strolz: Selten, da bin ich relativ diszipliniert. Ich kommentiere Tagespolitik nicht, ich will kein Balkon-Muppet sein. Ich verstehe den Befund schon, dass es schmerzt, wenn meine Stimme nicht mehr da ist, aber es muss NEOS stark sein und nicht eine einzelne Stimme. Wenn ich noch einmal Spitzenkandidat geworden wäre, hätte das auch geheißen, dass ich nach weiteren sieben Jahren meine älteren Töchter in einer WG besuchen könnte, weil die bis dahin ausgezogen sind. Ihre gesamte Kindheit und Jugend hätten sie mich nur als Parteichef erlebt. Ich habe gesehen, wie Eva Glawischnig (Chefin der österreichischen Grünen, die zum Glücksspielkonzern Novomatic abwanderte, Anm.) einen hohen körperlichen Preis bezahlen musste, weil sie den Zeitpunkt übersehen hat, an dem sie übergeben hätte sollen. Das war für mich ein Schock. Ich bin auch nicht unverwundbar.
Zehrt das Politiker-Dasein so sehr, dass man erst aufblüht, wenn es vorbei ist?
Strolz: Ich glaube, es kommt ein bisschen darauf an, wie man aus der Politik scheidet. Ich habe sicher einen der positivsten Politikausstiege in der Zweiten Republik gehabt. Ich kenne Spitzenpolitiker, die sind direkt aus dem Amt in ein tiefes Loch gefallen.
Wie viele Jobangebote haben Sie nach Ihrem Abgang bekommen?
Strolz: Es waren unzählige: von Konzernen, viele Anfragen von Start-ups. Aber ich will Portfolio-Unternehmer sein. Im Dezember werde ich einen unternehmerischen Rahmen gründen, ich werde Medienprojekte machen, Buchprojekte. Ich werde punktuell High-Level-Consulting und Executive Coaching machen. Ich will im Moment mit leichtem Gepäck unterwegs sein.
Was ist Ihre Berufung?
Strolz: Gärtner des Lebens zu sein. Ich kultiviere soziale Felder. Ich bin ein göttlicher Architekt – wir sind alle göttlich. Was dazu kommt ist, dass jene spirituelle Seite, die ich in der Politik nicht klingen lassen konnte, sich jetzt stärker in den Vordergrund schiebt.
In welcher Form geben Sie Spiritualität mehr Raum?
Strolz: Ich war im November fasten. Im Jänner bin ich drei Wochen in Indien. Ich versuche Dinge zu verbinden, den Dalai Lama zu treffen. Zum anderen mache ich eine internationale Ausbildung zum Social Architect. Ich sehe mich als Brücke zwischen der Wirtschaft, der Politik und den systemisch-integralen Feldern sowie der Spiritualität. In dieser Form werde ich auch im Frühjahr mit der Initiative „Achtsames Österreich“ das Thema Mindfulness ins österreichische Parlament zurücktragen.
Als Klubobmann haben Sie fast 15.000 Euro brutto im Monat verdient. Haben Sie manchmal Existenzängste?
Strolz: Natürlich gab es einen Punkt, wo ich mir dachte: Jetzt musst du rechnen, wie viel Geld du überhaupt brauchst. Ich bin ja Unternehmer, der hat immer Geld und Schulden, in unserem Fall einen Franken-Kredit. Bei unserer Burnrate als Familie haben mir die Ohren gewackelt, obwohl wir nicht sehr materialistisch ausgerichtet sind. Gleichzeitig war mir klar, dass ich die vollen sechs Monate Nachzahlung, die mir zustehen würden, nicht annehmen werde. Bis Anfang Dezember will ich auf eigenen Beinen stehen. Ich habe nie schlaflose Nächte, aber durchaus Diskussionen mit meiner Frau. Wie es später geldmäßig ausschauen wird, weiß ich selbst noch nicht.
Passieren Ereignisse, weil sie passieren sollen?
Strolz: Ja, das glaube ich. Ich glaube an Berufung. Da wird man oftmals seltsam angesehen, aber eigentlich sind das uralte Konzepte. Schon Aristoteles sagte: „Deine Berufung liegt dort, wo deine Talente die Bedürfnisse der Zeit treffen.“ Ich glaube an Synchronizitäten. Ich bin ein Fan von Otto Scharmers Theorie U. Wie kommt das Neue in die Welt? Nicht linear, sondern durch eine Kurve. Das ist kein Esoterikgewäsch. Er spricht von Open Mind, Open Heart, Open Will. Die Flussrichtung ist vorgegeben. Es sind so viele Sachen auf mich zugekommen, dass es mir fast den Kopf weggeblasen hat. Ich bin quasi absichtslos auf diesem Fluss des Lebens gebettet, im Urvertrauen, dass ich nicht untergehen kann. Ich glaube, dass jeder der Pilot seines Lebens sein kann und sollte.
Was spüren Sie, wenn Sie auf Menschen treffen?
Strolz: Ich kombiniere Verstand und Körper, ich kann total gut Räume spüren. Ich habe ja die allermeisten meiner Reden spontan gehalten. Ich kann das downloaden aus dem Kollektiv und aus dem Raum. Das ist ein großes Geschenk. Ich merke, dass ich da noch ganz andere Fähigkeiten besitze, die ich mir bisher noch nicht zugestanden habe. Das wird eine spannende Reise.
Welche Fähigkeiten?
Strolz: Ich glaube, dass es vieles zwischen Himmel und Erde gibt, was wir nicht verstehen, was wir wissenschaftlich noch nicht vermessen können. Ich glaube, dass wir viel Energie noch nicht messen können, aber natürlich ist sie da.
Was wollen Sie der Nachwelt hinterlassen?
Strolz: Das Größte ist natürlich Leben. Ich bin Vater dreier Töchter, das heißt der Fluss des Lebens und der Liebe wird eine Fortsetzung haben. Das Leben, das wir erschaffen haben und begleiten, ist das Größte.
Führen Sie jetzt ein richtig gutes Leben?
Strolz: Ja, schon. Ich glaube, für ein gutes Leben ist „Nein“ eine ganz zentrale Vokabel. Das Leben behandelt mich unter dem Strich sehr gut. Das heißt nicht, dass ich frei von Narben bin. Ich glaube, jeder von uns hat seinen Rucksack zu tragen.