Es ist ein Ort der Kreativität, an den sich NEOS-Gründer Matthias Strolz immer häufiger zurückzieht. Das Atelier seiner Frau, der Malerin Irene Strolz-Taferner, in Wien-Mauer atmet jene Ruhe, die er in seiner aktiven Zeit als Parteivorsitzender meist vergeblich suchte. 16-Stunden-Tage, nervenaufreibende Verhandlungen, Ausschüsse, mediale Häme, Intrigen – all das hat der Vorarlberger schlagartig hinter sich gelassen. Die überraschende Ankündigung seines völligen Rückzugs aus der Politik im Mai dieses Jahres hat nicht nur seine Wähler ratlos zurückgelassen. Warum verlässt Strolz Partei und Politik? Tatsächlich hat er – völlig untypisch für die Politik – am Höhepunkt des Erfolges seiner Familie den Vorzug gegeben. Drei Papa-Tage hat er nun pro Woche, wo er sich um Kinder und den Haushalt kümmert. Er besucht Meditationsseminare, fastet in der Einsamkeit, kann endlich durchatmen – eine neue Lebensqualität für den Workaholic.
Im Doppel. Am liebsten sitzt Matthias Strolz im Liegestuhl im Atelier seiner Frau und sieht ihr beim Malen zu. Wir trafen den Ex-Politiker an seinem neuen Kraftplatz zum ersten gemeinsamen Interview mit ihr. Jahrelang hat sich seine Ehefrau aus dem Scheinwerferlicht gehalten. Nie wollten sie gemeinsam ein Interview geben. Für uns macht das Ehepaar Strolz eine Ausnahme.
Sie verbringen neuerdings viel Zeit gemeinsam im Atelier. Ist Ihr Mann strenger Kritiker oder Förderer?
Irene Strolz-Taferner: Ein Förderer. Der Grund, warum ich mich der Malerei als Beruf zugewandt habe, war, weil er mich darin bestärkt hat. Er sieht mein Wesen und ermutigt mich auf meine innere Stimme zu hören.
Wann haben Sie angefangen zu malen?
Strolz-Taferner: Bereits in der Kindheit und danach in Phasen. Ich habe mich über die Jahre entwickelt und das Malen seit drei Jahren wieder intensiviert.
Ist Malen ein klassischer Gegenentwurf zu dem hektischen Leben, das Sie bisher geführt haben?
Strolz-Taferner: Ja. Das brauche ich immer, um mich zu erden. Vieles ist turbulent da draußen, da sollen meine Bilder beruhigend wirken.
Matthias Strolz: Ich habe immer zu ihr gesagt: „Das musst du machen!“ Sie hat ja erst viel später an sich geglaubt. Vor zehn Jahren habe ich sie mal beobachtet, als sie gemalt hat, und ich sah, wie ihre Augen dabei leuchteten. In dieser Sekunde war es klar (zu seiner Frau gerichtet): Deine letzten Jobs als Städteplanerin oder im Marketing haben nie so deine Leidenschaft gefunden wie das Malen. Bei Frauen erlebt man das oft im beruflichen Alltag: Wenn Männer eine Stelle erhalten, klopfen sie sich wie Affen auf die Brust und sagen: „Endlich erkennt wer mein Talent!“ Frauen zweifeln da mehr und fragen: „Kann ich das wirklich?“
Kennen Sie überhaupt Zweifel, Herr Strolz?
Strolz: Ja, sicher. Aber nicht in der Dimension wie Irene.
Wann hatten Sie das letzte Mal Zweifel?
Strolz: Ich war gerade vier Tage auf einem Retreat, Selbsterfahrung.
Und von diesem Retreat haben Sie Zweifel mitgenommen?
Strolz: Erstens einmal eine Praxis, die ich jetzt jeden Morgen mache: Ich meditiere. Und wenn auch nur eine halbe Minute. Ich bin an sich im Morgengeschäft nicht gut, aber ich wollte eine Morgenpraxis. Ich bin eher ein Abendmensch und über Vorsätze bin ich sonst nie hinausgekommen. Jetzt habe ich etwas, wo ich hinaus in den Garten schaue auf das Laub, auf eine Topfpflanze oder heute zum Beispiel auf den Fuß unserer jüngsten Tochter und mir denke: „Was ist das nur für eine Anmut?“ Die Idee ist, dass ich aus dem Alltagsgeschäft zu Beginn des Tages aussteige und mich in ein spirituelles Feld hebe. Es ist eine Bekräftigung von dem, was mir wichtig ist: dass ich mir Kraft holen kann jenseits der intellektuellen Hemisphäre, die dann für den restlichen Tag meinen Job dominiert.
Ticken Sie beide ähnlich?
Strolz-Taferner: Ja, wir entwickeln uns glücklicherweise in eine sehr ähnliche Richtung. Wenn ich male, male ich auch aus meiner inneren Quelle.
Wie war Ihr erstes Kennenlernen?
Strolz: Lustig. Wir haben uns beim Tanzen kennengelernt, in einem Lokal in Wien beim Gang aufs Klo.
Strolz-Taferner: Ja, stimmt! (lacht) Der freche Hund kommt vorbei und zwickt mich in den großen Zeh. Es war heiß, ich hatte keine Sandalen an. Mich reizen Grenzgänger. Ich hab dann mit ihm getanzt und es hat gepasst, das hab ich gespürt.
Haben Sie ihn als Seelenverwandten erkannt?
Strolz-Taferner: Ja, das habe ich – bis heute noch.
Sind Sie heute weit von den Menschen entfernt, die Sie damals waren?
Strolz-Taferner: Ja. Vor allem die Mutterschaft hat mich sehr geprägt. Ich war lange bei den Kindern zuhause, ich habe das sehr gerne gemacht und es hat gut gepasst. Matthias war außen stark, ich innen.
Strolz: Ich hab mich oft gefragt, ob ich so ein guter Vater sein hätte können, wie Irene es als Mutter war. Ich glaube generell, dass es gescheit ist, wenn das erste halbe Jahr die Frau die Betreuung macht. Das hat mit dem Stillen zu tun und mit dem Umstand, dass sie das Kind vorher neun Monate lang ausgetragen hat. Später, glaube ich, können es Männer und Frauen an sich gleich gut, aber nicht alle. Die Frage, ob ich auch so eine gute erste Bezugsperson gewesen wäre, muss ich jetzt, wo ich die Papa-Tage habe bis Weihnachten, verneinen. Ich bin viel abgelenkter. Die Qualität, wie die Irene Fokus gehalten hat, war großartig. Im letzten Jahr hatten wir heftigste Diskussionen, wie das Arrangement in Zukunft aussehen wird. Und ich habe gemerkt, das Familiensystem braucht mich jetzt stärker als in den ersten Jahren. Die Kinder brauchen mich als Vater. Ich glaube, jetzt würde das Familienleben Schaden nehmen, wenn ich noch in der Politik wäre.
Ihr Vater war in der Textilbranche viel unterwegs, Ihre Mutter war Bergbäuerin. Wollen Sie bei Ihren Kindern die Fehler wiedergutmachen, die Ihr Vater bei Ihnen gemacht hat?
Strolz: Die Generation unserer Väter hat ganz anders getickt. Ich hatte eine wunderschöne Kindheit, meine Jugend habe ich eher ambivalent in Erinnerung. Wir haben viel gefeiert und getrunken. Es gab aber eine große Sprachlosigkeit. Ich konnte meinen Herzschmerz weder mit meinen Eltern besprechen noch mit meinen engsten Freunden. Für die Letzteren wollte man nicht als uncool gelten, bei Ersteren gab es diese Gesprächsbasis nicht.
Wenn man Ihren Lebenslauf betrachtet – Sie waren zunächst Landesschulsprecher, dann ÖH-Chef –, so sieht das eher nach einer Streberkarriere aus. War der Alkohol ein Ausbruch?
Strolz: Absolut. Ich bin in einem Gebirgstal aufgewachsen und du nimmst die Kultur an, die da vorhanden war. Wir waren die letzte Generation, wo Alkohol ganz groß in Mode war. Dann sind andere Drogen dazugekommen. Trinken war damals cool. Landesschulsprecher zu sein, war nichts Streberhaftes, ich bin halt ein Political Animal. Ich habe das in den Genen. Die Schule war mir viel zu eng, vor allem im Gymnasium. Ich habe öfter die Unterschrift meines Vaters gefälscht oder wir wurden beim Schwänzen erwischt. Als Landesschulsprecher war das super, weil endlich konnte ich mir selber Entschuldigungen schreiben. Ich bin dann der volle Seminar-Junkie geworden und in Österreich herumgereist, am Tag der offenen Tür habe ich Vorträge gehalten. Die Leute aus meiner Schule meinten, ich sei verrückt, weil ich mir so viel Arbeit antue. Wo ich in Strukturen gesteckt wurde, hat es mich beklemmt.
Wie war Ihre Kindheit?
Strolz-Taferner: Ich bin in Salzburg aufgewachsen und ins Musische gegangen, habe Violine gespielt. Heute spiele ich nicht mehr, höchstens zu Weihnachten. Ich war eine brave Schülerin. Nachher bin ich nach Wien studieren gegangen. Das war eine wildere Zeit.
Vor sechs Monaten saßen Sie noch im Nationalrat, vor wenigen Wochen präsentierten Sie im Wiener Szene-Lokal Flex Ihr Album „Lost in Space“ und ließen sich wie ein Rockstar feiern. Sie sagten auf der Bühne: „Wie klein und unbedeutend ist doch unsere Welt in den Weiten des Universums.“
Strolz: Wir sind ein Tropfen Zeit in einem Ozean. Wir sind Erdlinge, wir sind an Raum und Zeit gebunden, vergänglich und gebettet in einen großen Kosmos, der unbegreiflich ist.
Sie sagten auf der Bühne: „We are all connected!“ Aus Überzeugung?
Strolz: Ja, natürlich. Und immer mehr! Ich bin ja von meinem Doktorat her Systemiker, allein die systemischen Zusammenhänge legen nahe, dass wir keine Inseln sind. Aber wenn ich es dann auf eine spirituelle Ebene hebe, dann ist das für mich klar, dass wir hier an ein gemeinsames Schicksal gebunden und wir alle miteinander verbunden sind.
War das für Sie immer normal und akzeptabel, wenn er in so eine Richtung gedacht hat?
Strolz-Taferner: Ich hab ihn immer das, was er machen wollte, auch machen lassen. Ich bin froh, dass unsere Interessen hier in dieselbe Richtung zeigen. Ich praktiziere Yoga, ich meditiere und ich gehe oft in die Natur.
Strolz: Wir begreifen die Natur beide als Wunder! Ich glaube auch, dass uns die Kinder sehr zusammengeführt haben. Wir halten neben einem nervigen Alltagsgeschäft Kinder für Wunder. Es ist, als kämen sie tatsächlich von einem anderen Stern und hätten beschlossen zu uns zu kommen. Das ist unsere tiefe Erfahrung. In der Beobachtung unserer Kinder in den ersten Jahren war klar zu erkennen, dass sie die Dinge anders sehen und erleben als Erwachsene. Sie können die Zwischenwelten wahrnehmen, die wir als Erwachsene nicht mehr erkennen. So wie Menschen mitunter in ihren letzten Tagen beginnen, zwischen den Welten zu wechseln, so erlebe ich das auch bei Kindern. Dann haben sie einen unsichtbaren Freund, der für sie aber höchst real ist. Je mehr ich mich hineinarbeite in integrale Theorien, umso mehr bekommt das auch ein Unterfutter. Es gibt ja auch große Geister, die dazu Überlegungen haben.
Glauben Sie an Wiedergeburt?
Strolz: Ja. Wir sind als Menschen ans Fleisch gebunden, das macht uns aus. Aber ich glaube auch, dass es die körperlose Daseinsform gibt. Das, was die katholische Kirche als Seele bezeichnen würde. Das, was der Hinduismus und Buddhismus auch ganz klar schildern. Wie der Prozess stattfindet, dazu habe ich zu wenig Klarheit, das erscheint mir auch nicht als zentral.
Was war Ihr erstes spirituelles Erlebnis?
Strolz-Taferner: Ganz ausschlaggebend war für ihn der Vision Quest (ursprünglich eine spirituelle Praxis u. a. bei Indianern und Eskimos zur Erlangung übernatürlicher Kräfte durch die Suche nach einem persönlichen Schutzgeist. Die Suchenden begaben sich an entlegene Orte, um durch tagelanges Fasten und Schlafentzug Visionen zu erleben, Anm.).
Strolz: Ja, auch. Aber wenn du am Land in den 1980er-Jahren aufgewachsen bist, gab es viele Geistergeschichten von früher. In Europa ist ja die ganze spiritistische Tradition auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden, in anderen Teilen der Welt, besonders in Asien, ist das ja noch ganz archaisch. Überlebt haben die am Land beispielsweise als Warzenmännlein, der Warzen mit Ritualen entfernt hat, wo es drei Ärzte zuvor nicht geschafft haben. Vor 500 Jahren wäre er dafür auf den Scheiterhaufen gekommen. Wir haben also Inseln kultiviert, aber nicht in einer schamanischen Tradition. Als Kind war ich damit konfrontiert. Meine Eltern haben einmal in einem Haus gearbeitet, in dem zuvor ein Mann gewaltsam ums Leben kam. Und alle, nicht nur meine Eltern, waren davon überzeugt, dass es in diesem Haus spukt. Da wurden mir die wildesten Geschichten erzählt und ich hatte totale Angst. Einmal war ich allein auf einem Berg unterwegs und hab dort in einer Hütte übernachten müssen. Ich war mir sicher, dass vor der Tür ein Hexenzauber stattfindet, es hat gepoltert und gemurmelt. Ich war kalt durchgeschwitzt in dieser Nacht und habe gebetet, dass die Batterie meines Walkmans nicht ausgeht.
Kennen Sie das Gefühl der Angst heute noch?
Strolz: Mit 39 Jahren habe ich beschlossen, mich dem zu stellen. Ich finde das nicht sehr erwachsen, dass ich von völlig diffusen Ängsten heimgesucht werde. Ich habe viele Verfolgungsträume und Albträume gehabt. Und ich habe gewusst: Wenn ich in die Politik will, muss ich diese Ängste überwinden. Ich wollte ein Buch schreiben über Wege zu mir selbst und habe dafür über den Vision Quest recherchiert. Das hatte zur Folge, dass ich zunehmend begonnen habe an Synchronizitäten zu glauben. Mir wurde klar: Ich soll nicht darüber schreiben, sondern es machen. Ich habe von meiner Frau grünes Licht bekommen, sie hat mich ziehen lassen. Es war ja nicht sicher, wie sie mich zurückbekommt, und wir hatten ja auch schon unsere Kinder. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich das einfach machen muss. Da draußen im Wienerwald habe ich mich meinen Ängsten gestellt. Danach wusste ich: Ich bin ein Gärtner des Lebens, ich kultiviere soziale Felder. Das ist mir seit damals glasklar.