Sie stritt mit Filmfirmen, kam zu Dreharbeiten Stunden zu spät, trank Whiskey bis zum Abwinken, nahm abwechselnd Schlaf- und Aufputschmittel, konnte oft ihren Text nicht und posierte zu alledem noch nackt für Fotografen – im prüden Amerika der 1950er-Jahre ein handfester Skandal. Doch stand sie einmal vor der Kamera, spielte sie so hinreißend, dass sie zur bekanntesten und meistfotografierten Frau der Welt wurde.
Marilyn Monroe, davon sind viele bis heute überzeugt, hätte diese Weltkarriere niemals machen und zu einem der größten Filmstars aller Zeiten aufsteigen können, ohne jenen Lehrer und Mentor, der ihr alles beibrachte, was sie vor der Kamera ausmachte: Lee Strasberg.
Method Acting. Der Theaterregisseur aus dem ehemaligen Österreich-Ungarn, der schon als Kind mit seiner Familie in die USA emigrierte, entwickelte mit Method Acting eine revolutionäre Schauspielmethode, bei der sich Schauspieler mit Erinnerungen an eigene Erlebnisse in eine Rolle versetzen. Dadurch entsteht ein Höchstmaß der Identifikation des Schauspielers mit der Rolle. Lee Strasberg gliederte den Schauspielunterricht in Entspannungs- und Erinnerungsübungen. Um zu einem innerlichen Erleben der gespielten Situationen zu kommen, waren Erinnerungen an eigene Erlebnisse für Strasberg zentral. Die Emotionen dürften dabei nicht flüchtig sein, sondern müssten wiederholbar gemacht werden. Dies solle in einem Wechselspiel zwischen bewusster Vorbereitung und unbewusster Spontanität entstehen.
Von Marilyn bis James Dean. Strasbergs Methode revolutionierte Hollywood und prägt bis heute Generationen von Schauspielern. Zu seinen Schülern gehörten neben Marilyn Monroe auch James Dean, Dustin Hoffman, Paul Newman, Robert De Niro oder Dennis Hopper.
Noch heute wird sein Vermächtnis an einer der renommiertesten Schauspielschulen der Welt vermittelt, dem Lee Strasberg Theatre and Film Institute in New York, das er 1969 gegründet hat. In der 15. Straße nahe dem Union Square Park steht das rostfarbene Backsteinhaus mit seinen roten Türen, das für Generationen von Schauspielern zum zweiten Zuhause wurde: Julia Roberts, Scarlett Johansson, Angelina Jolie, Christoph Waltz, Adam Sandler, James Spader, Uma Thurman oder Julianne Moore besuchten alle die legendäre Schule, die von Lee Strabergs Schwägerin Victoria Krane geleitet wird. Strasbergs dritte Ehefrau Anna sitzt nach wie vor in ihrem Büro im Erdgeschoß, gleich neben dem Marilyn Monroe Theatre.
Am Empfang herrscht reges Treiben. Ständig geht die Tür auf und zu, Gruppen junger Studenten kommen und gehen. An den Wänden hängen alte Filmplakate von Schülern Strasbergs. Regelmäßig kehren sie an das Institut zurück, halten Vorträge und geben ihr Wissen an die nächste Generation der Schauspieler weiter. Al Pacino war am 13. November da, Claire Danes am 20. April, Sally Field am 5. Mai.
Ein Leben für Strasberg. Victoria Krane, Präsidentin des Lee Strasberg Theatre and Film Institute, bittet in ihr Büro. Es ist voller Erinnerungen an den großen Regisseur und sein Wirken. Hinter ihrem Schreibtisch hängt ein schwarzes Filmplakat des Klassikers „Der Pate II“ mit Al Pacino, daneben ein Poster von Pacinos „Der Kaufmann von Venedig“. An der Pinnwand finden sich Schwarz-Weiß-Abzüge von Strasberg, auf einem trägt er eine Kippa, am anderen sitzt er auf einer Parkbank, dazu zahlreiche Bilder ihres Sohnes, der selbst Schauspieler ist. Auf einem Farbfoto im Glasrahmen steht Krane neben Strasberg, den sie um einen guten Kopf überragt. Über dem Fenster hängen ein Dutzend Teller mit Marilyn-Monroe-Bildern, zum Teil Porträts, zum Teil die Diva im Bikini in lasziver Pose. Krane trägt einen schwarzen Hosenanzug, sie setzt sich in ihren Lederstuhl und beginnt zu erzählen, leidenschaftlich, begeistert, noch immer fasziniert von der Aufgabe, die sie hat: das Erbe eines Mannes weiter zu tragen, den seine Schüler heute noch als Genie verehren.