Lila Schwarzenberg und ich sitzen in einem Café, direkt am Hafen einer griechischen Insel. Das Café, das früher als Lagerhalle diente, ist ein riesiger, hoher Raum, mit viel dunklem Holz. Angenehm kühl und leise ist es hier, denn die meisten Gäste sitzen draußen auf der Terrasse des Cafés. Durch zwei Fenster sieht man, in grellem Weiß und Hellblau, den Hafen, das Meer und den Himmel. Trotz Mittagshitze herrscht ein emsiges Treiben auf der Hauptstraße. Wir bestellen Kaffee. Würde ich Lila nicht kennen, fiele mir zuerst ihre gerade Haltung und ihr direkter Blick auf. Doch ich kenne sie, seit sie ein Teenager war, und weiß, dass diese äußere Haltung im Gleichklang mit ihrer inneren Haltung ist.
Seit wann kommst du auf diese Insel?
Ich komme seit meiner Kindheit hierher, weil ein Onkel von mir eine Griechin heiratete. Die Insel ist dadurch ein Zuhause für mich geworden.
Du bist in der Steiermark und in Wien aufgewachsen. Als Kind wolltest du viel lieber ein Bub sein, nicht wahr?
Das stimmt. Die Buben-Welt war einem damals als Mädchen eher verschlossen, Fußballteams für Mädels – so etwas gab es nicht. Alles, was mich interessiert hat, haben die Buben gemacht. Ob es damit etwas zu tun hatte, dass Buben in meiner Familie gefühlt wichtiger waren als Mädchen, das weiß ich nicht, aber vielleicht war das auch mit ein Grund. Als Kind hab ich nur gesehen: All das, was ich machen wollte, haben Buben gemacht. Und ich war gleich gut wie sie. Ich war gleich gut im Fußballspielen, gleich gut im Schifahren, gleich gut im Raufen.
Kleider wolltest du demnach auch nie tragen?
Nein. Die Mädchenwelt hat mich einfach überhaupt nicht interessiert. Null. Ich wollte kurze Haare haben und Fußball-Dressen anziehen. Und das durfte ich. Man müsste wahrscheinlich psychologisch tief eintauchen, warum das so war. Meine Eltern haben es nicht allzu ernst genommen und kein Thema daraus gemacht. Ich bin dankbar, dass sie es zugelassen haben. Natürlich gab es ein paar Ausnahmen, wo sie mich gezwungen haben einen Rock anzuziehen.
Wann hast du dich verändert?
Mit dem Umzug nach Wien und dem Start in einer Mädchenschule. Plötzlich hatte ich Freundinnen, die ich interessant fand. Das war eine neue Welt.
Wir sprachen vor ein paar Tagen über die diversen Möglichkeiten für junge Menschen, was ihre geschlechtliche Orientierung betrifft. Wie stehst du dazu?
Damit muss man sehr, sehr vorsichtig sein. Ich glaube, die Welt geht manchmal zu schnell mit Dingen um, die dann nicht mehr zu ändern sind. Ich weiß nicht, ob es für die Jugend nicht eher verwirrend als befreiend ist, wenn sie alle diese Möglichkeiten der Labels haben kann.
Du bist in einer Familie aufgewachsen, in der Männer einen höheren Status haben als Frauen. Konntest du dich gegen dieses Patriarchat wehren?
Schwer. Meine Mutter war schon eine Feministin, die immer sehr darauf gepocht hat, dass Frauen die gleichen Rechte haben wie Männer. Sie war eine der wenigen Frauen aus ihrer aristokratischen Generation, die studiert hatte und ihren Beruf ausübte. Da war sie schon ein Vorbild. Das hat sie durchgesetzt und mein Vater hat das akzeptiert. Andererseits – das klingt jetzt komisch –, im Familiensystem war meine Mutter dann nicht ganz so modern. Es war einfach eine Tradition, dass gewisse Sachen über die männliche Seite gespielt werden.
Wie hat sich das in der Wahl deiner Partner gezeigt?
Du, ich glaube, in gewisser Weise heiratet man immer irgendwo Teile des Vaters mit, ob man will oder nicht. Ich finde schon Ähnlichkeiten, obwohl, Peter (Anm.: Drehbuchautor Peter Morgan – „The Crown“, „Bohemian Rhapsody“, „Rush“ –, mit dem sie von 1997 bis 2014 verheiratet war) ist ein sehr moderner Mann.
Du bist Mutter von fünf Kindern. Wie hast du die Balance zwischen Familie und Beruf geschafft?
Für viele Jahre war absolut meine Familie Priorität. Das wollte ich und das war mir immer wichtig. Meinen Fuß in der Türe, was die Arbeitswelt und Film betraf, wollte ich aber auch haben, denn ich wollte den Anschluss nicht verlieren. Viele Jahre war ich Vollzeit-Mutter und habe das total geliebt. Ich hätte es noch mehr genossen, wenn ich nicht oft diesen gesellschaftlichen Druck gehabt hätte, nur für die Familie da zu sein, sei nicht genug.
Hattest du diesen Druck tatsächlich? Wie kam das?
Das weiß ich nicht, aber ich hätte ihn gerne nicht gehabt. Ich war eine leidenschaftliche Mutter. Und ich hätte gerne gehört: Das ist o. k., das ist genug. Denn das ist ein Riesenjob. Es ist der wichtigste Job auf der Welt. Man bereitet die neue Generation vor. Wenn man das Privileg hat, nicht arbeiten zu müssen, dann kann man seinen Kindern die gesamte Aufmerksamkeit schenken, wenn man will. Und sich nicht denken: „That‘s not enough. Ich bin nur eine halbe Frau.“ Alleine diese Frage, wenn man erzählt, dass man Mutter ist – „Und, was machst du sonst noch?“ –, habe ich oft gehört.
Seit wann arbeitest du wieder?
Seit mein jüngstes Kind 6 Jahre alt und in der Schule ist. Ich will aber ausdrücklich betonen, arbeiten kann ich nur, da ich Hilfe habe. Außerdem waren meine Kinder in Schulen und Kindergärten, in denen sie bis 5 Uhr in Nachmittagsbetreuung bleiben konnten. Ich arbeite bis 4 Uhr und habe jemanden, der mir den Haushalt abnimmt. Und trotzdem, trotz alledem habe ich immer das Gefühl, dass ich entweder den Kindern oder dem Beruf nicht genug gegeben habe. Es ist viel, vor allem, wenn man alleinerziehende Mutter ist. Wenn, wie bei uns, der Vater in einem anderen Land lebt.
Letztes Jahr kam der Dokumentarfilm „Mein Vater, der Fürst“ heraus, bei dem du gemeinsam mit Lukas Sturm Regie führtest. Er handelt von der Beziehung zwischen dir und deinem Vater, Karel Schwarzenberg, früher Außenminister der Tschechischen Republik. Die Entstehung des Filmes dauerte über Jahre. Was hat sich in eurer Beziehung durch diese Zusammenarbeit verändert?
Wie ich am Ende des Films sage: „Es gibt noch immer diese Distanz zwischen uns und Schwierigkeiten, zueinanderzufinden.“ Das ist noch immer alles da. Aber es hat natürlich viel bewirkt, diese Reise gemeinsam zu unternehmen. Wir kennen uns alleine deshalb, weil wir uns die Zeit füreinander genommen haben, ein bisschen besser. Es hat uns nähergebracht. Er war erstaunt und erfreut über den Erfolg des Filmes vor allem dann, wenn gute Kritiken von Menschen kamen, die er schätzt.
Wie war es für dich, mit dem Bewusstsein, eine Prinzessin zu sein, aufzuwachsen?
Ich hab mich eher geniert dafür und wollte so sein wie die Kinder in meiner Klasse. Ich erinnere mich, dass ein Bursche am Schikurs eine Krone für mich bastelte, weil er sich wunderte, dass ich immer ohne Krone daherkomme. Was damit kommt, das muss man schon sagen, ist eine gewisse Selbstverständlichkeit. Ich kann mit jedem und jeder Person umgehen und ich kann mich überall einfügen. Mir ist klar, wie privilegiert ich bin. Ich muss mich dafür weder genieren, noch muss ich es negieren, noch bedeutet es etwas Besonderes. Aber das bin ich. And it’s okay.
Man stellt es sich sehr glamourös vor, in einem Schloss aufzuwachsen.
Bei meinen Eltern waren oft Abendessen mit Gästen aus aller Welt. Es war sehr international mit Namen aus Politik und Kultur. Als Kind gab es das Hotel Palais Schwarzenberg in Wien noch, und nachdem wir im Palais – beziehungsweise nebenan – aufwuchsen, sahen wir oft glamouröse Gäste im Hotel und es wurden dort auch viele Bälle gegeben. Es war eine riesige Aufregung, als dort ein James-Bond-Film gedreht wurde. Und ich fand es natürlich cool, als mit Falco das Musikvideo „Amadeus“ im Kuppelsaal des Schlosses gedreht wurde. Ich erinnere mich auch an Charlie Sheen und Kiefer Sutherland, die im Schlosspark fechten übten, da sie in Wien „Die drei Musketiere“ drehten.
Für mich war der erste Platz, an dem ich als Kind und Jugendliche ein internationales, glamouröses Publikum sah, Salzburg. Es war während der Festspiele, bei denen mein Vater (Anm.: der legendäre „Jedermann“ Walther Reyer) in verschiedenen Stücken mitwirkte.
Meine Mutter ging immer zu den Festspielen. Ich liebe Theater, aber zur klassischen Musik und Oper habe ich keinen Zugang. Ich weiß nicht, warum, aber ich war noch nie dort. Das ist wirklich eine Kultur-Lücke. Denn den „Jedermann“ würde ich sehr gerne sehen. Wahrscheinlich war ich gerade wieder einmal auf einer griechischen Insel!
Fotos: Pavlos Nastas für OOOM