Venedig, diese einzigartige Stadt, die Jahrhunderte alte Geschichte voll Glanz und Seuchen, unermesslichem Reichtum und Freude am Schönen, scheint sich in den Steinen, in den Häusern und Palazzi Jahr für Jahr gesammelt zu haben, um etwas Unnachahmlichem und Außergewöhnlichem eine Form zu geben, die eigens dafür geschaffen zu sein scheint, uns zum Staunen zu bringen.
Venedig, Stadt am Meer. Einem Meer, dem es seine Größe und seinen Reichtum verdankt, wie eine Göttin der Antike aus dem Wasser geboren. Venedig zeigt uns noch heute mit seinen von vielen Fensteröffnungen durchbrochenen Fassaden, die aus den Kanälen aufzutauchen scheinen, dass die Lagune mit ihren heimtückischen Wasserwegen, die nur die Venezianer kannten, die Stadt so sehr beschützte, dass sie einfach nur Schönheit anstelle von Befestigungsanlagen zur Schau stellen konnte.
Der Sitz des Dogen. Dass Venedig niemanden fürchten musste und dies offen zur Schau stellte, beweist der Dogenpalast: Das Gebäude, das wir heute sehen, wurde im Wesentlichen im 14. Jahrhundert erbaut, doch seine Fassaden unterscheiden sich gänzlich von anderen Gebäuden dieser Zeit. In jener Epoche fürchteten die Adeligen den Feind und errichteten Bauten mit wuchtigen, häufig mit Türmen verstärkten Mauern. Nicht in Venedig, die deshalb auch „La Serenissima“ (die Heitere, Unbeschwerte) genannt wird. Der Doge lebte in einem zur Stadt hin „offenen” Palast mit einem langen Säulengang, einer darüber gelegenen wie Spitzenarbeit wirkenden Loggia, sodass dieses Gebäude leicht von Jedermann betreten werden konnte.
Magie, wenn es schneit. So wie in jeder Stadt hat jede Jahreszeit ihre Besonderheiten, die eine eigene charakteristische Stimmung hervorbringen, doch in Venedig wird dieser Eindruck noch verstärkt. Da ist der Winter mit seinen bei Sonnenschein eisigen und schneidenden Farbtönen oder der unglaublichen Magie der seltenen Tage, an denen es schneit. Da ist der Frühling mit seiner prickelnden Luft, dem Duft der erblühenden Gärten (deren es viele gibt, obwohl es nicht so scheint, da die meisten hinter hohen Mauern verborgen sind) und der großen traditionellen Feste wie jenes von San Marco oder dem Fest der Sensa. Da ist der Sommer, heiß und voll von Touristen, aber ideal für einen Badetag am historischen Strand des Lido oder für ausgedehnte Spaziergänge nach Sonnenuntergang durch die Gassen und Plätze der Stadt. Last but not least der Herbst, die vielleicht beste Jahreszeit für eine „intime” Annäherung an diese Stadt, jetzt ohne Massentourismus und sonnigen Tagen die an Gemälde von Francesco Guardi oder Canaletto erinnern. Oder gegen November die Nebeltage, die alles in ein milchiges Licht tauchen und eine märchenhafte Stimmung zaubern, die man nur schwer vergisst.
Die Touristen. In Venedig gab es sie schon immer, seit Jahrhunderten waren sie für die Venezianer, die vom Handel lebten, mehr als willkommen. Auch heute gibt es sie: viele, sehr viele, vielleicht zu viele. Trotzdem gelingt es der Stadt, ihre Geheimnisse zu wahren. Es gibt Orte die ein „Tor der Zeit” sein können, die uns in eine andere Wirklichkeit zu projizieren vermögen, in eine Vergangenheit, von der wir glaubten, es gäbe sie nicht mehr. In eine menschliche Dimension, die so selten geworden ist, dass wir sie beinahe vergessen haben. Sie zu finden ist nicht schwer: Es genügt, außerhalb der Touristenpfade durch Calli und Campielli mit dem neugierigen Blick desjenigen zu gehen, der lernen und entdecken möchte.
Die „magischen Orte” in einer Stadt wie dieser scheinen wirklich unendlich zu sein. Um meiner Meinung nach faszinierende und malerische Plätze aufzuzeigen, ist es vorher nötig, zu erklären, wie die Stadt organisiert ist: Venedig ist durch den Canal Grande in zwei Teile geteilt und jeder Teil seinerseits in drei Sestieri (Stadtviertel). Die sechs Sestieri nennen sich San Marco, Dorsoduro, Santa Croce, San Polo, Cannaregio und Castello. Jeder Stadtteil hat seine charakteristischen, manchmal ausgeprägten Eigenschaften.
Das Tor zu Venedig. Beginnen wir beim Sestiere San Marco mit seinem gleichnamigen wohl berühmtesten Platz, der für jeden Besucher das Ziel ist, oder besser gesagt, das obligatorische Ziel. Es scheint unglaublich, aber obwohl ich Tausende Male über diesen Platz gegangen bin, bin ich jedes Mal überwältigt, wenn ich sehe, wie sich die Sonne in den goldenen Mosaiken der Basilika widerspiegelt oder die Glocken des Campanile läuten. Dieser Platz kann als das Tor zu Venedig bezeichnet werden, indem es wie auf einer Bühne von der Lagune her von zwei Säulen flankiert wird, auf denen die beiden Stadtpatrone – einer in Form des Markuslöwen, der andere in der Statue des Hl. Theodors – thronen.
In Zusammenhang mit der Basilika und ihren Tausenden antiken Details möchte ich von einer Begebenheit erzählen, die mir vor nicht allzu langer Zeit passiert ist: Ich kam aus dem Dogenpalast in der Nähe der Porta della Carta und stoße auf eine Familie von Touristen, die auf einem Mauervorsprung sitzend und mit dem Rücken an einer Marmorgruppe lehnend ihre Jause einnimmt und mit den Absätzen ihrer Schuhe auf einer Marmortafel unter ihnen hin und her tippt. Höflich fragte ich, ob sie wüssten, woran sie ihre Rücken lehnten und worauf sie mit ihren Schuhen herumtippten. Verlegen verneinten sie.