Aus der Dunkelheit erhebt sich ein Eisberg, hell, scheinbar erleuchtet, von majestätischer Größe. Das Licht gleitet sanft über die karge, unwirtliche Landschaft, die ihn umgibt. Die Kälte. Sie ist förmlich zu spüren. Auch die Einsamkeit, die eine seltsame Faszination ausübt. „Towards No Earth Pole“ ist ein Film, für den sich Julian Charrière über zwei Jahre lang an einige der abgelegensten Orte der Welt begeben hat: an die Polarregionen, nach Island, zu den Gletschern Grönlands. Es waren Reisen an die Grenzen unserer Zivilisation, aber auch an die eigenen Grenzen. Unter extremen Klimabedingungen, bei Kälte von zum Teil mehr als minus 30 Grad, Stürmen, die fast Orkanstärke erreichten, irgendwo am Ende der Welt, stellte der Schweizer Künstler seine Kamera auf. „Ich setze mich gerne extremen Situationen aus“, erzählt Charrière über seine künstlerische Herangehensweise. „man lernt viel, wenn bei minus 30 Grad in einem Zelt schläft“.
Lugano im Kanton Tessin, drittgrößter Finanzplatz der Schweiz, an der Mündung des Flusses Cassarate in den Luganersee gelegen. Hierher bat die Luxusmarke La Prairie, um Charrières Werk vorzustellen. Die Einzelausstellung „Towards No Earthly Pole“ ist bis 15. März 2020 im MASILugano, dem Museo d’arte della Svizzera italiana, zu sehen.
Ich setzte mich gerne extremen Situationen aus. Man lernt viel, wenn man bei minus 30° in einem Zelt schläft.
Innerhalb der zeitgenössischen Kunstszene hat sich Julian Charrière von Beginn an als „künstlerischer Erforscher“ positioniert. Er erschafft Kunst in Form von Skulpturen, Performances, Fotografien und Filmen. „Kunst und Forschung sind sehr ähnlich, weil auch ein Künstler die gleich Systematik wie ein Forscher benützt“ so Charrière über seine Arbeit.
Klimakrise in der Kunst. Er zeigt darin unerwartete Perspektiven und widmet sich den zentralen Fragen unserer Zeit. Ob entlegene Plätze in Kasachstan, am Bikini Atoll oder auf Gletschern: Julian Charrière deutet mit unkonventionellen Methoden auf das untrennbare Band zwischen menschlicher Zivilisation und der Umwelt hin. Er zeigt in seine Werken vor allem die Zerbrechlichkeit unseres Ökosystems durch die schonungslose Auswirkung menschlicher Aktivitäten auf unseren Planeten und die Natur. Ob er sich als Aktivist sieht? „Nein“, so Charrière emotionslos: „Ich sehe mich nicht als Umweltaktivist aber ich mag Kunst, die sich auch mit den Fragen unserer Zeit beschäftigt. Wir Kunstschaffenden sind dabei freier als Wissenschaftler, und vermitteln dadurch hoffentlich eine emotionalere Verbindung zur Umweltthematik.“
Ich sehe mich nicht als Umweltaktivist aber ich mag Kunst, die sich auch mit den Fragen unserer Zeit beschäftigt.
Bikini Atoll – das verstrahlte Paradies. So nahm Charrière die schon 70 Jahre zurücklegenden Kernwaffentests auf dem Bikini Atoll im Pazifischen Ozean zum Ausgangspunkt für eine Installation. Er umrundete den halben Kontinent um zur verstrahlten Inselgruppe zu gelangen und die vom Menschen geprägte Natur des Ortes kritisch in Szene zu setzten. Die Inselgruppe ist bis heute noch immer nicht bewohnt, obwohl den Einwohnern damals versprochen wurde, bald auf das Atoll zurückkehren zu können. In Tauchgängen dokumentierte er Schiffwracks, die die Amerikaner zur Erprobung der Atombomben ab 1946 hinterließen. Die Bilder belichtete er doppelt, das paradiesische Strandidyll beherbergt noch immer radioaktiv verstrahlten Sand. Dazu umhüllte er symbolisch 67 radioaktiv verseuchte Kokosnüsse mit Blei. Charrière zeigt schonungslos Welten, die den meisten verborgen bleiben, weil sie zerstört, vergiftet und aus unserem Bewusstsein verdrängt worden sind.
Tauben, die Vorfahren des iPhone. Für die Architekturbiennale in Venedig besprühte er und sein Künstlerkollege Julius von Bismarck Tauben mit natürlich löslichen Farben und schickte sie so frisch verkleidet in die Freiheit. Tauben wurden lange als Kommunikationsmittel eingesetzt und symbolisieren nun gebrauchte, nicht mehr benutzte iPhones, die das Stadtbild prägen. Dazu präsentierte er gleichzeitig imposante Säulen aus Lithiumsalz, einem Salz, das für den Bau von Akkus und Batterien verwendet wird. Charrière will verstören. Seine Kunst fordert die Reflexion, die Interaktion, und sei es nur mit sich selbst.
La Prairie unterstützte von Beginn an Julian Charrière bei der Umsetzung seines Projekts «Towards No Earthly Pole». Eine Multichannel-Installation mit dem Titel „Light upon an Imaginary Space“ war erstmals in der Collectors’ Lounge von La Prairie bei der Art Basel in Hongkong zu sehen. Zwei Jahre später geht die Kooperation in die nächste Runde: Mit der Vorstellung des Werks in Spielfilmlänge im MASILugano. Sehenswert.