Sie standen in Florenz in Verdis „I due Foscari“ mit Plácido Domingo auf der Bühne, den Sie in OOOM den besten Sänger unserer Zeit nannten, noch vor Pavarotti und Carreras.
Dass ich mit Plácido in Florenz gesungen habe, ist wie ein wahr gewordener Traum. Es ist etwas, was ich nie im Leben für möglich gehalten hätte, noch dazu in einer wunderbaren Produktion. Ich liebe die Qualität von Pavarottis Stimme, seine Leichtigkeit, aber musikalisch denke ich, dass Domingo an der Spitze ist. Niemand kann ihm musikalisch das Wasser reichen. Und Carreras hat das ganze Repertoire gesungen und Dinge, die andere nicht so gut singen konnten.
Was ist das Besondere an Domingo?
Die Art, wie er singt, wie er sich vorbereitet, wie er performt. Ich war mehr als überrascht. Plácido probt nicht viel. Wir hatten vielleicht drei Proben mit ihm. Aber er hat diese einzigartige Energie, wenn er auf die Bühne kommt, dass alle nur auf ihn schauen und sehen wollen, was er tut, wie er klingt, was er sagt. Er ist der König darin, er hatte schon immer dieses Charisma und das ist etwas, dem ich als junger Tenor nacheifern möchte. Er ist ein wahrhaftiger Künstler.
Bevor Sie Klassik studierten, waren Sie Techno-DJ.
Ich war auf dem College, um ein klassischer Musiker oder Sänger zu werden, aber wollte ich in die Oper? Nicht unbedingt. Ich wollte einfach eine klassische Musikausbildung machen. Nach dem College hörte ich für eine Weile mit dem Singen auf, ich machte einige andere Dinge, promotete Veranstaltungen, legte als DJ in New York auf. Ich spielte hauptsächlich Techno und House, also elektronische Musik, manchmal auch Hip-Hop und RnB. Ich vermisste aber diese Verbindung zur Musik, die ich immer hatte. Jeden Tag wurde sie stärker und mit 25 Jahren wusste ich: Ich will das machen, das ist mein Lebensinhalt.
Wie lange haben Sie geübt?
Vier, fünf, sechs Stunden am Tag – da habe ich wirklich die Veränderung und die Entwicklung meiner Stimme und auch meiner Musikalität bemerkt.
Sie erzählten im letzten
OOOM-Interview (21/2023), dass Sie mit Ihrer Familie nach Berlin ziehen wollen.
Die Mietpreise sind seitdem derart gestiegen, dass wir noch warten. Wir haben es sowieso nicht eilig umzuziehen. Die Eltern meiner Verlobten Adreea haben ihr gerade ein Haus etwa eineinhalb Stunden außerhalb von Bukarest überschrieben, sie stammt ja aus Rumänien. Wir arbeiten daran, das ganze Haus umzubauen und zu renovieren. Es ist wirklich schön, fast wie ein Bauernhof. Es ist so friedlich und ein toller Rückzugsort. Wir werden vorerst in unserem Landhaus in Rumänien leben. Es ist jetzt unser Zuhause.
Sie sind den ganzen Sommer über in Salzburg?
Wir sind seit dem 19. Juni hier, es kommt mir bereits wie eine Ewigkeit vor. Die Festspiele haben uns eine schöne Wohnung in der Altstadt besorgt. Ich bin etwa fünf, sechs Minuten zu Fuß vom Festspielhaus entfernt. Wir werden hier wirklich großartig behandelt und ich hoffe, dass ich wiederkommen und hier noch mehr singen werde.
Die Salzburger Festspiele waren für viele Opernsänger ein Booster. Asmik Grigorians Karriere ging von Salzburg aus in einen raketenhaften Höhenflug über.
Die Festspiele haben eine unglaubliche Geschichte. Es ist wahrscheinlich das älteste Festival in Europa, und so ziemlich jeder große Künstler ist hier aufgetreten. Es ist ein Privileg, die Bühne mit solchen Leuten, den Besten der Besten, teilen zu dürfen.
Wie sieht Ihr Fahrplan für den Rest des Jahre aus? Wir richten diese Saison mit der großen Veröffentlichung meines nächsten Albums von Puccini aus, er starb 1924, also vor einem Jahrhundert. Es ist wie eine Hommage an Puccini, das Album wird „The Great Puccini“ heißen.
Ein „Puccini’s Greatest Hits”-Album sozusagen?
Ja, genau. Die größten Hits und es ist eine Erinnerung an den großen Mario Lanza. Es wird Ende August erscheinen und ich glaube, es wird gleich in Salzburg vorgestellt. Das bedeutet, dass dieses Jahr wirklich vollgepackt ist mit Puccini. Wir haben „Madame Butterfly“ und „Il tabarro“ in Berlin, wir haben mein Met-Debüt von „La Rondine“ und „Madame Butterfly“, die ich auch mit Asmik bei ihrem Met-Debüt singen darf. Ich gebe auch zwei Konzerte in China, und dann habe ich mein großes Debüt, Massenets „Werther“, in Baden-Baden, dann eine Vorstellung von „La Bohème“ in Dortmund. Es ist interessant, was die da machen. Sie zeigen nachmittags das Rock-Musical „Rent“ und dann abends „La Bohème“, auf deren Grundlage „Rent“ basiert.
Sie sind in New York aufgewachsen. Wie besonders ist es, an der New Yorker Met zu debütieren?
Das ist eine weitere Sache, von der ich nie gedacht hätte, dass sie jemals passieren würde, als ich in New York aufs College ging. Das ist eine sehr aufregende Sache für mich, aber auch für all meine Freunde und meine Familie, die mich sonst nie zu hören bekommen, weil ich irgendwo auf der Welt singe. Das ist ihre Chance, und ich muss das Beste geben.
Sie wurden in Chile geboren und mit sieben Monaten von einer New Yorker Familie adoptiert. Was wissen Sie von Ihrer Vergangenheit?
Ich habe ein paar Dokumente. Da es sich um eine Adoption handelte, habe ich nicht viele Informationen und mir wurde gesagt, dass die Akte für lange Zeit versiegelt ist. Aber ich habe ein Foto von meiner Mutter und jenem Mann, von dem wir glauben, dass er mein Vater ist, sowie ihre Namen. Das sind alle Informationen, die ich erhalten habe.
Sie haben Ihre leiblichen Eltern nie kontaktiert?
Bisher nicht.
Wird der Tag kommen, an dem Sie nach ihnen suchen werden?
Ich habe Interesse, aber andere Dinge sind mir zurzeit wichtiger. Es wäre wunderbar für mich zu wissen, woher ich komme. Jetzt, wo ich ein kleines Mädchen, eine Tochter habe, ist das für mich noch faszinierender. Ich habe mir überlegt, eine Reise zu ihnen zu machen, wenn ich Zeit habe, diese ganze Sache zu klären.
Wie sieht ein normaler Tag in Ihrem Leben aus? Haben Sie hier in Salzburg Zeit für Ihre Familie?
Was ich mache, fühlt sich nicht wie Arbeit an. Ich wache auf und denke mir: „Oh, ich muss diese Dinge noch lernen“, aber ich will sie ja auch lernen. Ich möchte daran arbeiten. Im Moment stelle ich die Liste der Petrarca-Sonette für mein Konzert zusammen, und aus diesem Material lerne ich immer etwas. Es lehrt mich etwas über meine Technik, die ich ausbauen möchte, meine Musikalität und mein künstlerisches Können.
Kommen Sie Ihre Eltern auch in Salzburg besuchen?
Ja. Sie lassen mich nie in Ruhe (lacht). Meine Eltern sind im Ruhestand, sie haben Zeit. Sie lieben es, und sie bekommen so meine Tochter und meine Verlobte zu sehen.
Haben Sie schon vorher mit Asmik Grigorian gesungen?
Nein, ich sollte mein Debüt als Turiddu in „Cavalleria rusticana“ mit ihr im Juni an der Wiener Staatsoper haben. Aber wir wollten mit dieser Rolle noch warten. In Wien wird nicht viel geprobt, vor allem nicht für eine Wiederaufnahme. Viele Sänger überstürzen ihre Karriere, ich habe es nicht eilig. Ich will das für lange Zeit machen und ich will es genießen. Man muss sich wohlfühlen, wenn man so ein großes Debüt gibt, und das war noch nicht der Fall.
Was fehlt noch? La Scala?
La Scala, Paris, ich würde gerne in Moskau singen, auch in Chicago. Aber wie gesagt: Ich habe alle Zeit der Welt.
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Fotos: Roland Unger für OOOM
Zusatzfotos: Lorenzo Michelini für OOOM