Haben Sie im Kriegsgebiet besonderen Schutz erhalten?
Während der ersten großen Schlacht in Falludscha, ca. 50 Kilometer von Bagdad entfernt, flog in der Nacht eine Granate nach der anderen. Ich war in meinem Trailer und habe mich unter meinem Bett versteckt. Später entdeckte ich einen Zettel an meiner Tür: „Wenn du irgendetwas brauchst, werde ich dir helfen und dich beschützen.“ Es war nur eine nachdenkliche, liebenswerte Notiz eines Kollegen, aber es war sehr tröstlich zu wissen, dass es Leute gibt, die auf mich aufpassen. Mein Chef wurde von seinem Vorgesetzten stark unter Druck gesetzt, mich nach Bagdad zurückzuschicken. Aber ich sagte: „Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu sein!“ Und er antwortete darauf: „Gut, dann werde ich dir meine volle Rückendeckung geben!“ Ich hatte eine dicke Haut und war missionsorientiert, das war hilfreich.
In Ihren zahlreichen Reden vor Staats- als auch Bildungseinrichtungen sprechen Sie oft von dem Vorsatz: „Turning the other into a brother“ – den Fremden in einen Bruder verwandeln. Wie haben Sie denn die Iraker damals wahrgenommen? War es eine Strategie des Einfühlens oder haben Sie versucht, eine gewisse Distanz zu bewahren?
Ich wünschte, es wäre Ersteres gewesen. Es war für uns zu Kriegsbeginn 2003 schwer zu verstehen, warum der Aufstand ständig zunahm. Wir dachten wirklich, die Iraker würden uns mit offenen Armen empfangen und uns Blumen auf die Straßen werfen. Als Analystin für Aufstandsbekämpfung versuchte ich zu verstehen, welche Faktoren dafür verantwortlich waren. Waren sie religiös motiviert oder ehemalige Saddam-Loyalisten? Wurden sie aus dem Ausland oder aus dem Inland finanziert? Wie wurden sie koordiniert? Es wurde nicht versucht, Einfühlungsvermögen zu entwickeln. Mit dieser Sichtweise war es sehr viel mehr ein „Wir gegen sie“. Jedes Mal, wenn wir jemanden von unserer Target-Liste strichen, gab es hundert weitere, die den Platz füllten. Mir wurde klar, dass unsere Strategie nicht funktionierte. Da fing es an, mir dieses Gefühl der Hilflosigkeit zu geben. All diese verschwendeten Ressourcen und alle diese Menschen, die auf beiden Seiten getötet wurden – wo war das Licht am Ende des Tunnels? Wo war das Gefühl des Fortschritts? Was habe ich dort gemacht, wenn ich zu nichts Positivem beigetragen habe? Da wusste ich, dass ich etwas verändern wollte. Ich wollte die Iraker als Menschen kennenlernen und Beziehungen zu ihnen aufzubauen. Für mich war es wahnsinnig transformativ, von der ursprünglichen Feinseligkeit zu einer Beziehung zu ihnen überzugehen.
Jedes Mal, wenn wir jemanden von unserer Target-Liste strichen, kamen 100 weitere nach. Mir wurde klar, dass unsere Strategie nicht funktionierte.
Sie sprechen oft von einem einschneidenden Erlebnis, das Sie am Fluss Euphrat hatten.
Anfang 2004 befand ich mich während eines großen Kampfes zwischen US-Marines und irakischen Aufständischen auf einer Militärbasis außerhalb von Falludscha. Wochen später saß ich am Fluss Euphrat, der außerhalb der Stadt lag. Er war so still und ruhig im Gegensatz zum Kriegsgebiet und den Bomben. Hier war dieser Fluss des Lebens, diese unaufhaltsame Kraft, die inmitten von all dieser Zerstörung fließt. Die Frage, die sich mir stellte, war: Wofür werde ich mich entscheiden? In diesem Moment wusste ich, dass ich mich mit meinem ganzen Wesen für den Fluss entscheiden wollte. Ich konnte nichts anderes tun, als den Fluss, das Leben und den Frieden zu wählen. Ich ging zu meinem Chef und sagte, ich wolle keine Aufstandsbekämpfung mehr machen, ich müsse etwas Gutes für den Irak tun, etwas beitragen, und ohne mit der Wimper zu zucken sagte er: „Okay, lass uns das für dich tun!“ Ich bewarb mich für eine andere Position und bekam ein Menschenrechts-Ressort. Dort begann ich dann, mit irakischen politischen Parteien zu arbeiten. So wurde ich zur Verbindungsperson für das Büro des irakischen Premierministers und konzentrierte mich auf die ersten demokratischen Wahlen in der Geschichte des Irak.