Sie schrieben Ihre Biografie in drei Akten – obwohl Sie sagen, dass Sie den dritten jetzt erst leben?
Ich begann das Buch mit 60 zu schreiben und das war – angenommen ich werde 90 – der Abschluss des 2. Akts. Dritte Akte sind wichtig. Man kann die ersten beiden etwas konfus leben, aber der dritte muss Sinn ergeben, so dass alles wie ein Puzzlespiel zusammenfällt. Das liegt an den acht Jahren, die ich in Frankreich gelebt habe, denn da lernte ich etwas sehr Wichtiges: Frauen werden nicht weggeworfen, wenn sie nicht mehr jung und schön sind, im Gegenteil. Die Franzosen, wie überhaupt alle Europäer, haben große Loyalität ihren Ikonen gegenüber. Das sieht man an den Simone Signorets, den Annie Girardots und den Jeanne Moreaus. Und deshalb weiß ich, dass ich mehr als zwei Akte in mir habe.
Wie hat Ihre Tochter Vanessa Vadim darauf reagiert, als sie in Ihrem Buch darüber lesen musste, dass Sie mit ihrem Vater Roger Vadim nicht nur flotte Dreier hatten, sondern dafür auch noch selbst die Frauen anschleppten?
Ich hätte es niemals geschrieben, ohne mich vorher mit ihr abzusprechen. Meine Kinder und ich führen seit Jahren Konversationen über all die Dinge in meinem Leben, auf die ich nicht sonderlich stolz bin. Und nicht nur meine Kinder, sondern auch meine Stiefkinder, meine gesamte Familie. Alle – inklusive meiner zwei damals noch lebenden Ex-Ehemänner – bekamen das Manuskript zu lesen, und ich nahm alle Änderungen vor, um die sie mich baten. Ich gebe ja niemandem die Schuld an irgendetwas, was mir passiert ist. Ich habe kein Skandalbuch geschrieben. Ich wollte zeigen, wie weit eine Frau in ihrem Selbstbetrug gehen kann, ohne dass ich damit jemanden verletze.
Würden Sie heute wieder jung sein wollen?
Um kein Geld der Welt, ganz gleich, wie viel Sie mir bieten! Ich war mit 20 älter als ich es heute bin, mit 30 war ich Methusalem. Ich habe keine Zukunft für mich gesehen. Deshalb habe ich mit 49 gedacht, dass ich nie mehr kreativ sein könnte. Ich bin in ein sehr tiefes Loch gefallen. Erst nach 60 habe ich meine Leidenschaft wiedergefunden und wurde wieder jung. Mit 65 bekam ich auf einmal all die Kraft einer 18-Jährigen zurück.
Seit sechs Jahren spielen Sie eine der beiden Hauptrollen in der TV-Serie „Grace and Frankie“. Da geht es um Frauen, die das beliebte Hollywoodalter von 30 längst mehr als doppelt überschritten haben.
Ältere Frauen sind die am schnellsten wachsende Bevölkerungsschicht der Welt. Wir leben heute im Durchschnitt fünf Jahre länger und für Themen, die uns interessieren und betreffen, gibt es sowohl im Film als auch im Fernsehen einen großen Markt. Das ist der Zeitgeist, Frauenthemen waren lange genug im Verborgenen. Wir werden in Zukunft mehr Storys über ältere Frauen, die Sex haben, sehen, denn viele ältere Frauen haben Sex. Ich bin über 80, daher kann ich da mitreden.
Sex im Alter ist anders, besonders wenn der Mann auch älter ist. Junge Menschen müssen sich darüber informieren, dass sich der Sex mit dem Körper verändert. Spontan geht da gar nichts mehr, denn da sind Pillen im Spiel und Cremes. Aber die Planung kann auch sehr erotisch sein. Und für eine Frau wird der Sex nur besser, denn wir wissen, was wir wollen, und haben keine Angst davor, das auch laut zu sagen.
In den USA verzieh man Ihnen Jahrzehnte lang nicht Ihr Vietnam-Engagement. Man nannte Sie Hanoi-Jane. Fühlten Sie sich ungerecht behandelt?
Nein, denn ich habe viel Unterstützung, und zwar auch von Vietnamveteranen. Sie spielen darauf an, dass ich aufgrund meiner eigenen Fehler zu einem Aushängeschild für unpatriotisches Verhalten geworden bin. Dieser Mythos ist größer als ich und er hilft, eine sehr engstirnige, rechtsradikale Weltanschauung zu promoten. Das andere Lager braucht meinen Mythos. Aber das hat nichts mit mir zu tun, sondern nur mit ihren eigenen Agenden und der Tatsache, dass wir Amerikaner den Vietnamkrieg nie verarbeitet haben.
Ein männlicher Reporter stellte Ihnen die Frage, was Sie für die Welt tun würden, wenn Sie ein Mann wären. Wie seltsam ist es, dass diese Frage immer noch gestellt wird?
Ja. Darauf kann ich nur sagen, dass wir Frauen besser keine Angst vor der Power haben, die angeblich nur die Männer besitzen. Und genauso sollten Männer keine Angst vor Herz und Mitgefühl haben, das angeblich nur wir Frauen besitzen. Wenn ich ein vollständiger, fertiger Mensch wäre – etwas, worauf ich hoffe! –, dann würde ich alles Menschenmögliche tun, damit wir endlich Frieden anstatt des Krieges hätten. Keiner ist für immer die Nummer-1-Supermacht. Kein einzelner Mensch und keine Nation. Jeder erlebt seinen Niedergang. Da wäre es besser, Freunde zu schaffen, damit man beim Absturz auf einem netten, weichen Boden landet. Ich liebe mein Land, aber ich mache mir immer wieder große Sorgen um Amerika, schon seit den 1960ern.
Sie haben den Vietnamkrieg kritisiert, wie sehr waren Sie gegen den Irak- und Afghanistankrieg?
Wie jeder weiß, war mein Vater Henry Fonda. Das bedeutet, dass ich mit einem Mann aufwuchs, der Tom Joad in „Die Früchte des Zorns“, der junge Abraham Lincoln und Clarence Darrow war. Legendäre Figuren, die sich immer für die Unterlegenen einsetzten. Männer, die Tyrannen und Raufbolde hassten. Dieser Hass ist Teil meiner DNA. Ich kann Tyrannen und Raufbolde nicht ausstehen. Und ich finde, wir als USA sind sehr oft Tyrann und Raufbold. Das gefällt mir gar nicht. Saddam Hussein war ein Tyrann und mit ihm musste man irgendwie fertig werden. Aber wir hätten nicht ein ganzes Land besetzen müssen, es gibt andere Methoden. Denn auf unsere Weise müssen nach wie vor zu viele Amerikaner, Afghanen und Iraker sterben.
Wann ist das politische Bewusstsein in Ihnen erwacht?
Ich war 1968 in Frankreich und schwanger. Schwangere Frauen sind wie Schwämme, die alles in sich aufsaugen. In Amerika war der Teufel los, die Antikriegsbewegung auf ihrem Höhepunkt. Ich musste heimfahren. Für die nächsten 30 Jahre wurde ich zur politischen Aktivistin. Aber mir fehlte die Erkenntnis. Ich kapierte lange nicht, dass das Grundproblem unserer Gesellschaft im Patriarchat zu suchen ist. Ich war Feministin, aber ich stand nicht dazu. Denn wäre ich dazu gestanden, hätte ich entweder keinen meiner Ehemänner heiraten dürfen, oder sie wenigstens viel schneller wieder verlassen müssen, als ich es tatsächlich tat. Stattdessen erging es mir wie vielen Frauen: Ich fühlte mich erst als ganzer Mensch, als ich einen starken Mann an der Seite hatte, zu dem ich aufschauen konnte. Und diese Unfähigkeit, das Patriarchat zu verstehen, führte auch zu meinem Unverständnis, warum fünf Regierungen den Vietnamkrieg fortführten, während in den Pentagon Papers längst stand, dass er nicht zu gewinnen war. Auf einmal wurde mir klar, warum sie die Truppen nicht zurückzogen: Das wäre frühzeitige – nicht Ejakulation – sondern Evakuierung gewesen, unmännlich und soft.
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Weltprobleme?
Derzeit gibt es drei: die Pandemie, die immer schlimmer werdende Klimakrise und das Rassenproblem, die weiße Vorherrschaft. Dennoch leben wir in einer Zeit der Hoffnung, nachdem Joe Biden zum Präsidenten gewählt wurde – wofür ich mich sehr stark einsetzte. Er ist ein Mann, der zuhört, der immer weiterlernt und der Taten, nicht Worte sprechen lässt. Wir müssen zuerst die Klimakrise in Angriff nehmen und die fossilen Energien bis 2030 um die Hälfte reduzieren. Dieses Thema wird mich bis zu meinem Tod begleiten. Und sobald wir wieder in großen Gruppen zusammenkommen können, werde ich meine Fire Drill Fridays (Anm.: Fondas Protestmärsche) organisieren. Derzeit gibt es sie online. Bürgerlicher Ungehorsam ist heute wichtiger denn je.