Wer ist Sagmeister? In einem Schallplattenladen in Stuttgart entdeckte Wilker immer wieder Designs, bei denen er sich dachte: „Die sind ja total irre! Und als ich auf die Credits schaute, stand da immer derselbe Name: Stefan Sagmeister. Da wusste ich: Wenn ich wo ein Praktikum mache, dann nur bei diesem Typen. Es stellte sich heraus, dass er Österreicher war, aber da es damals noch keine großen Webseiten gab oder E-Mails, schickte ich ihm einfach per Post mein Portfolio.“ Wenig später läutete das Telefon und Stefan Sagmeister war dran: „Er sagte nur: Tolle Sachen sind das. Komm doch nach New York uns arbeite mit mir!“ Stefan Sagmeister – der auch Mitglied des OOOM Advisory Boards ist – sollte wenig später zu einem der bedeutendsten Grafikdesigner der Welt werden, der für Time Warner, das Museum of Modern Art oder die Rolling Stones bahnbrechende Designs entwickelte. Wilker brach einige Monate später seine Zelte in Stuttgart ab und flog nach New York: „Wäre Sagmeister in Boston gewesen, würde ich heute in Boston leben, wäre er in Hamburg gesessen, säße auch ich jetzt in Hamburg.“ Es war Wilkers erste USA-Reise, er blieb drei Monate. Sagmeister arbeitete damals von seiner Wohnung aus, und sein Partner war ein fast schüchterner Isländer namens Hjalti Karlsson.
Zu dritt entwickelten sie eine ganz eigene Designsprache: „Das war eine tolle Zeit, wir haben uns alle sehr gut verstanden und wir sind heute noch Freunde.“
Bis Stefan Sagmeister, wie er es auch heute noch alle sieben Jahre macht, 1999 ein Sabbatical nahm, ein ganzes Jahr Auszeit. „Hjalti und ich fragten uns: Wenn Stefan jetzt Schluss macht, was wird dann aus uns? Also haben wir schließlich unser eigenes Büro gegründet, karlssonwilker. Ich bin kurz zurück nach Deutschland, dann haben wir uns ein Office gesucht und sind dort 17 Jahre geblieben. New York war nie mein Ziel, ich wäre wohl auch in Stuttgart glücklich, aber es hat sich so ergeben.“ Anders als große Designbüros wie Pentagram mit Designikone Paula Scher (siehe OOOM 02/2016) macht Wilker kaum bei Wettbewerbspräsentationen mit: „Was wir machen ist eigenartiger und persönlicher, dadurch ist die Hemmschwelle größer, uns zu kontaktieren. Unser Design versteht nicht jeder. Zu uns kommen Kunden, die selbst Spaß am Design haben.“
Andere Gangart in NYC. Dazu läuft das Business in den USA auch anders als in Europa: „In Deutschland sind Klienten froh, wenn sie endlich einen Designer gefunden haben. Dann unterschreiben sie einen 10-Jahres-Vertrag und müssen sich um nichts mehr kümmern. In Deutschland heißt es: ‚Das ist mein Klient, Finger weg!‘ Hier gibt es das nicht, hier werden Designer für bestimmte Projekte engagiert, dann kommen die nächsten. Es ist eher wie in der Fashion-Industrie: ‚Sie wollen was Cooles? Mich interessiert nicht, ob das in drei Jahren immer noch funktioniert. Das muss jetzt gut sein.‘ Alles ist viel schneller als in Europa. Hier tanzt man kurz und dann ist es wieder vorbei. Hier spricht keiner von Heirat.“
Kreativität braucht Zeit. Auch die kreative Herangehensweise von karlssonwilker ist außergewöhnlich. Anders als Stefan Sagmeister, der seinen Kunden immer nur einen einzigen Entwurf präsentiert, zeigt Wilker diesen erst mal gar nichts: „Wir zeigen nur, was wir uns bisher gedacht haben, nichts Fertiges, und hören uns das Feedback an. So wird der Klient Teil des kreativen Prozesses. Denn von den meisten Bereichen, in denen wir für Kunden tätig werden, haben wir keine Ahnung. So lernen wir im Dialog mit dem Kunden. Das ist zwar zeitaufwendiger, aber es entstehen ganz tolle Sachen.“ Dabei braucht Wilker vor allem eines: Zeit. „Ich habe wahnsinnig viel Spaß, mir Sachen zu überlegen. Das ist sehr spielerisch, das ist kein Prozess, der hyper-intellektualisiert ist. Ich brauche eigentlich nur Zeit, keinen Computer, nur mich. In meinem Kopf kann ich alles machen, was ich will, da gibt es keine Zensur.“
Schlechtes Schulenglisch. Aus der Zusammenarbeit mit seinem isländischen Partner Hjalti Karlsson wurde eine echte Freundschaft: „Anfangs war mein Englisch extrem schlecht, Schulenglisch eben. Hjalti hat designt, Stefan hat designt, ich habe designt. Wir haben uns anfangs eigentlich kaum unterhalten. Und so wie wir am Computer gesessen sind, designt und über Design gelacht haben, so haben wir uns ein Bild des anderen gemacht. Während meiner gesamten Zeit bei Stefan Sagmeister sind Hjalti und ich vielleicht ein einziges Mal was gemeinsam trinken gegangen. Aber trotzdem war klar durch die Art, wie wir designt haben, dass wir ein gemeinsames Büro eröffnen werden. Isländer sind schon sehr speziell. Die haben alle eine unglaubliche Ruhe, eine Gelassenheit. Aber durch unsere Frauen wurde das dann entspannter.“