Die Antwort kommt ohne jedes Zögern: „Kindliche Kuriosität und Naivität.“ Das ist es, wodurch gutes Design entsteht. Jan Wilker ist einer der Stars des Grafikdesigns in den USA. Designikone Paula Scher schwärmt von seiner Kreativität: „Er hat das richtige Gefühl, was gutes Design ausmacht.“ Ob Puma, Nike, die New York Times oder TIME Magazine: Wenn außergewöhnliches Design erforderlich ist, läutet das Telefon seines New Yorker Büros karlssonwilker. Wenn der smarte Deutsche, Jahrgang 1972, an einem Design arbeitet, baut er stets auf die Lust am Entwickeln: „Wenn dieses Spielerische fehlt, dann ist es konstruiert und leblos, dann würde ich es nicht mehr Design nennen, sondern technische Zeichnung.“ Und er zögert bei seiner Meinung nicht, auch an Designikonen wie Apple zu rütteln, dessen Design von Jonathan Ive längst zur Legende wurde: „Apple macht heute kein gutes Produktdesign mehr.“
Der Mann aus Ulm. Wilker ist in den 1970er- und 80er-Jahren im deutschen Ulm groß geworden. Die Hochschule für Gestaltung in Ulm, kurz HfG, galt nach dem Bauhaus als bedeutendste Design-Hochschule des Landes: „Das war gutes Design, aus humanem, sozialpolitischem Denken entstanden. Das hat dem etwas wundervoll Naives gegeben, dass man die Welt durch besondere Stühle verändern kann. Das fehlt bei Apple völlig. Da wird das Pferd von hinten aufgezäumt. Da ist zu viel Style und zu wenig Gehalt“, analysiert Wilker. „Nur weil etwas gut funktioniert, ist es noch kein gutes Design.“ Wilker sieht Design eher als Luxus der Zeit: „Wer hat schon Zeit, sich mit Design zu beschäftigen, mit solchen Nebensächlichkeiten des Lebens? Viele Menschen auf der Welt sind damit beschäftigt, zu überleben, und dann ist es durchaus verständlich, dass sie nicht in der Lage sind, sich über Tage, Wochen oder ihr Leben lang zum Beispiel mit Stühlen zu beschäftigen. Für mich ist es nicht schlimm, dass die Mehrheit der Welt auf schlechten Stühlen sitzt.“
Designer aus Zufall. Dass er Designer wurde ist Zufall. Eigentlich wollte Wilker lange Zeit Meeresbiologie studieren. Während des Zivildienstes hat er das „Büro für alles Kre-aktive und Verrückte“ gegründet: „Ein schreckliches Wortspiel! Ich habe dann vier Jahre mit Freunden in einem Hinterhof Konzerte organisiert, Musiker gemanagt und T-Shirts gedruckt.“ In deutschen Hinterhöfen begann er sich für Design zu interessieren: „Das Erschaffen von Sachen hat mich sehr angezogen.“ Er traf sich mit den HfG-Gründern wie Otl Aicher – von ihm stammt auch der Lufthansa-Kranich – oder Inge Aicher-Scholl, die „großen Namen von damals“, und entschied sich schließlich für ein Architekturstudium an der TU Stuttgart. Doch das war es nicht, was sich Jan Wilker vorstellte, also wechselte er zu Kommunikationsdesign an die Staatliche Akademie der Bildenden Künste, wo er fünfeinhalb Jahre studierte. „Design muss eine Relevanz zu der Zeit haben, in der es passiert. Mit Retro kann ich gar nichts anfangen“, sagt Wilker heute. „Jetzt noch Sachen zu machen, die aussehen wie von der Ulmer Schule, ergibt für mich gar keinen Sinn. Das ist für mich fast eine Verhöhnung der originalen Intentionen, die fast politisch waren.“