Sie gelten als einer der Pioniere des Internets, heute leben Sie im Dschungel Yogyakartas und bauen einen Ashram. Was hat Ihre Vergangenheit aus Ihnen gemacht?
Mein Leben ist von verschiedenen Phasen geprägt und hat in seinem Rhythmus der Veränderung immer mit einem Ziel zu tun, das man hat, es erreicht, um dann etwas anderes zu tun. Ich habe mich nie auf Lorbeeren ausgeruht. Immer dann, wenn die Entdeckung gemacht war, bin ich weitergezogen – sehr zum Unverständnis meiner Umfelder. Die Brüche waren teilweise so extrem, dass viele Menschen, die mich damals umgeben haben, den Schritt einfach nicht mitgehen konnten.
Was hat Sie angetrieben?
Ein kindlicher Entdeckergeist, insbesondere dann, wenn es um Sachen geht, die vielleicht zuvor noch keiner gemacht hat. Und da war das Internet eines der größten Themen, das immer mit mir verbunden wird. Ich habe die ersten Vorträge über das Internet gehalten vor großen Auditorien, wo ich anfangs noch die Frage stellen konnte: Hat jemand von Ihnen eine E-Mail-Adresse? Und dann haben von 2.000 Leuten zwei vorsichtig den Finger gehoben, vorsichtig deshalb, weil sie Angst hatten, ich frage dann nach. So gab es eben in meinem Leben immer wieder neue Stationen.
Was war der Grund für Ihren radikalen Ausstieg?
Nach einer wirklich intensiven Auseinandersetzung mit Al Gore (ehem. US-Vizepräsident und Kämpfer gegen den Klimawandel) habe ich mich zum ersten Mal mit dem Thema Global Warming beschäftigt und versucht, die Zusammenhänge zu verstehen. Als jemand, der immer Zukunft gestaltet hat, war mir klar: Wenn das so ist, dann können wir so nicht weitermachen. Folglich müssen wir neu denken, neu wirtschaften, neu produzieren. Das war der Ausgangspunkt, der mich nach Marrakesch gebracht hat, wo ich mich nur noch mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt habe. Nach zwei Jahren intensivster Auseinandersetzung bin ich zu dem Schluss gekommen: Irgendwas stimmt nicht, denn die Leute sind alle hochintelligent, sie verstehen die Thematik komplett, aber sie sind nicht in der Lage, etwas zu verändern. Sie bleiben also in ihrem Mindset, obwohl sie es besser wissen, dass wir so nur noch eine begrenzte Zeit weitermachen können. Und das hat mich als Phänomen fasziniert. Der Widerspruch, dass uns Wissen an dieser Stelle nicht weiterbringt, obwohl wir es haben, brachte mich zum Schluss: Dann fehlt nicht Wissen, sondern Bewusstsein. Das hat mich zum Aufbruch veranlasst.
Sie kamen also von der Nachhaltigkeit zum ÂBewusstsein?
Es geht bei Nachhaltigkeit um ein einziges Thema: Verbrauchen wir mehr als da ist oder nicht? Nachhaltig zu leben ist eine auf den Gesetzen der Natur beruhende Notwendigkeit, die wir außer Kraft gesetzt haben, weil wir glauben, dass uns die Natur gehört. Hier irren wir gewaltig. Das ist keine politische, ökologische oder ideologische Problematik, sondern dass wir einen riesigen Irrtum auflösen müssen. Das hat nichts mit Ökopullover zu tun, sondern ist ein Irrtum unseres Selbstverständnisses: Wie haben wir so einen Aberglauben entwickeln können, als würden wir tatsächlich mehr verbrauchen können, als da ist, und das in alle Ewigkeit?
Haben Sie versucht aufzuklären?
Ja. Aber das ist krachend gescheitert. Wir haben nichts an Veränderung erreicht. Ich dachte anfangs: Bildung, Bildung, Bildung. Bis ich verstanden habe: Bildung hat uns genau in diese Situation gebracht.
Das müssen Sie erklären.
Bildung ist der große Bruder der Einbildung. Wir lernen etwas, was wir nicht selbst erfahren, sondern was wir glauben. Wir glauben an die Welt, wie sie uns erklärt wurde. Bildung ist etwas Intellektuelles, und Natur ist etwas Existenzielles. Wir sammeln und verinnerlichen Vorstellungen und formen daraus unsere Wirklichkeit. Die Wirklichkeit, wie wir sie uns einbilden, gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Zu glauben, wir hätten auf diesem Planeten mit diesem Raubbau, den wir veranstalten, eine Zukunft, ist ja faktisch falsch. Aber wir sind so gebildet eingebildet, dass es nicht mehr zu uns durchdringt. Bildung funktioniert leider heute auch über Social Media, wo wir achthundert drei Sekunden lange Eindrücke gesammelt haben, die unser Weltbild verstärken, weil die künstliche Intelligenz uns dann nur mehr zeigt, was wir sowieso erwarten. Wir setzen unsere Gaben und Fähigkeiten als Mensch nur für die Dinge ein, die wir für richtig halten. Und wir halten jene Dinge für richtig, an die wir glauben. Und wir glauben nur die Dinge, die uns irgendwann so eingetrichtert worden sind, dass wir sie nie wieder hinterfragt haben.
Was machen wir falsch?
Wir machen alles richtig. Jeder Mensch macht alles richtig – aus seiner Sicht. Und um diese Sicht geht es. Der Kern des Problems liegt darin: Wenn ich mich in mir selbst täusche, täusche ich mich in der Folge in allem. Die alten östlichen Weisheitslehren haben ein Thema: die Selbsterkenntnis. Herauszufinden, wer und was du eigentlich bist. Wenn du dich darin täuschst und glaubst, in diesem Comic findet dein Leben statt, wirst du aus deiner Sicht die richtigen Dinge tun. Die können wiederum für jemand anderen, der dich beobachtet, die völlig falschen Dinge sein. Die Ursache liegt darin, dass wir eine Vorstellung von uns selbst haben, die so gewaltig irrt, dass die daraus resultierenden Entscheidungen Irrtümer sind.
Wie erkenne ich mich selbst?
Wenn es dir irgendwann einmal passiert, wirst du es wissen. Die Überzeugung, dass du dich ja selbst gut kennst, indem du die Person auslebst, die du dir ausgedacht hast, ist ja noch lange nicht das, was man in den östlichen Weisheitslehren als Selbsterkenntnis bezeichnet. Sie besteht nicht aus Vorstellungen. Selbsterkenntnis beginnt, wo die Vorstellung endet. Erst dann, wenn du deine Vorstellungen überwinden kannst, hast du überhaupt eine Chance, dich zu erkennen.
Wie kann ich meinem Âeigenen Ich begegnen?
Solange du in diesem Ich verhaftet bist, kommt es zu so skurrilen Trends wie dem großen Thema Selbstliebe: Wir müssen besser mit uns umgehen lernen, mehr auf uns achten. Das mag für viele Menschen hilfreich sein, aber bei einer Sache ist es sicher nicht hilfreich: Es führt dich nicht zu deinem Selbst, sondern es stärkt dein Ich. In den östlichen Weisheitslehren wird immer zwischen einem Ich und einem Selbst unterschieden. Das sind zwei Entitäten. Das lateinische Wort für Ich heißt Ego. Die Frage des Seins kann nur jenseits des Ich beantwortet werden. Sie wird spätestens dann beantwortet, wenn du stirbst. Der Tod ist das Ende des Ichs, aber nicht das Ende des Seins. Dieser Seinszustand ist der Zustand der Natur. Meine Bäume, meine Hunde, mein ganzes Umfeld hier ist im Seinszustand, und nicht im Ich-Zustand. Das einzige Wesen in der Natur, das sich in diesem Ich verfangen hat, ist der Mensch.
Denken wir nicht zu dualistisch: gut – böse, schwarz – weiß, richtig – falsch?
Ein Gedanke schafft es überhaupt nur zum Gedanken in der Abgrenzung zu etwas anderem. Ohne falsch gäbe es kein richtig. Laotse hat gesagt: „Wenn du das Gute willst, erzeugst du das Schlechte.“ Was er damit zum Ausdruck bringen wollte, ist, dass es das Gute ohne das Schlechte gar nicht geben könnte, denn wäre alles gut, wäre nichts gut, wir könnten es nicht sehen. Erkenntnis fußt immer auf der Unterscheidung. Nur der Geist in der Natur fußt auf einer Einheit. Alles ist eins, alles ist miteinander verbunden. Du bist nicht der Tropfen oder der Ozean, du bist immer alles. Das Glück ist vollkommene Illusion. Das Maximale, was man erreichen kann, ist der innere Frieden. Solange du nach dem Glück suchst, wirst du nicht Zufriedenheit erlangen können. Nach Glück zu suchen heißt: Du bist im Mangel, dir fehlt etwas. Wer sich für morgen etwas Besseres wünscht, dem ist das Heute nicht gut genug. Nur der Mensch geht über das existenzielle Bedürfnis hinaus. In der gesamten Natur auf diesem Planeten gibt es keine zweite Spezies, die dieses Verlangen entwickelt hat. Kein Tier tötet ein anderes aus GlaubensÂfragen. Aus Sicht der Natur ist der Mensch einem großen Irrtum erlegen.
Sie bauen gerade einen Ashram in Yogyakarta.
Ein Ashram ist ein Ort, an den Menschen kommen können, um etwas zu erfahren und aus dieser Erfahrung zu lernen. Er ist im Osten der Welt das, was im Westen ein Kloster ist. Ein Ort der Einkehr.
In Ihrem Buch „Geist“ schreiben Sie viele Sätze wie: „Klares Wasser hat keinen Geschmack“.
Es sind Sätze, die ohne mein Zutun gekommen sind. Klares Wasser steht in der östlichen Weisheitslehre immer für die Wahrheit. Dieser Satz meint: Man kann den Grund der Dinge nur erkennen, wenn man aufs Beurteilen verzichtet. Wenn es Geschmack hat, ist Wasser nicht klar. Wenn du in deinem Leben in einer Situation bist und nach Wahrheit suchst, die aber nach deinem Geschmack sein soll, so wirst du vieles finden, nur nicht die Wahrheit. Das Buch ist kein Buch eines Denkers, sondern eines fühlenden Menschen.
Immer mehr Menschen meditieren, sie hören geführte Meditationen, zum Beispiel auf YouTube, und fühlen sich gut danach. Was ist der Unterschied zwischen dieser westlichen Meditation und der östlichen?
Der große Unterschied ist: Das eine ist Meditation und das andere nicht. Das, was die meisten machen, ist eine Autosuggestion. Eine MediÂtation, die dich geistig führt, ist ja genau das Gegenteil. Meditation hat nicht die Aufgabe, dir eine Information zu vermitteln und dich auf neue Gedanken zu bringen. MediÂtation hat schon gar nicht die Aufgabe, dass es dir danach besser geht. Meditation ist ja kein Wellness-Programm oder eine Wohlfühl-Orgie. Meditation im ursprünglichen Sinne ist der heilige Akt der Ãœberwindung des Ichs. Das ist im Grunde genau der Gegenentwurf. Das kann man machen, solange es keinen Sachschaden anrichtet. Wenn es Ihnen guttut: Take it! Why not? Dass Leute damit viel Geld verdienen? Ich meine: Zu jeder Dummheit gehören zwei: jemand, der sie anbietet, und jemand, der sie nimmt. Wir dürfen Meditation aber nicht banalisieren, und das tut es. Ich war jahrelang an diesen Orten, wo die alten Kulturen entstanden sind, und habe mich wirklich intensivst mit diesen teilweise sehr schmerzhaften, fordernden und anstrengenden Ãœbungen des Geistes beschäftigt. Und es ist eben kein Joyride!
Was wollen wir im Leben loslassen? Was uns nicht passt: Schmerzen, Dinge, die wir nicht gut finden. Behalten wollen wir aber jene Dinge, die uns guttun. So lernst du das Loslassen nie! Loslassen besteht in der Übung, die Dinge gehen zu lassen, die dir gefallen. Ich glaube, dass ein Busfahrer näher an der Erleuchtung ist als manche, die auf Instagram auf dem Kopf stehen. Warum? Er muss sich von viel weniger lösen und hat auch keine dementsprechenden Erwartungen. Loslassen bedeutet: Ich löse mich von allem, was Buddha Verlangen genannt hat. Denn Leid entsteht nur dadurch, dass es in uns ein Verlangen gibt, das sich nicht erfüllt.
Sie hatten große Lehrer wie Schamanen. Sie sind auch tagelang in einem Erdloch gesessen.
Ich habe sieben Jahre lang an unterschiedlichen Orten mit unterschiedlichen Meistern das große Privileg genossen, dass man mich akzeptiert hat als jemand, der bereit ist, keine Ansprüche zu stellen, keine Erwartungen zu formulieren, bedingungslos und auch absichtslos zu sein. Das ist für Menschen aus dem Westen eine schwere Übung, weil wir lernen ja genau das Gegenteil. Du bist ein Gewinner, wenn du es schaffst. Was passiert, wenn man eine Woche in sieben Metern Tiefe in einem Erdloch sitzt? Das kann ich Ihnen sagen: nichts. Aber auch gar nichts.