Das befürchtete Szenario trat nicht ein.
Im Gegenteil, sondern das Positiv-Szenario, das ich mir ausgemalt habe. Ich hab dann oft gehört, es sei „so mutig“ von mir gewesen. Ich antwortete: Wenn die Größe des Mutes direkt messbar ist an der Größe der Angst, die man vorher hatte, dann war ich sehr mutig.
Der damalige Generalintendant des ORF, Gerd Bacher, schrieb Ihnen einen skandalösen Brief.
Der kam drei Wochen später. Da sind schon ein paar harte Brocken drin: „Angewidert“, „unerwünscht“.
Sie haben den Brief damals nicht veröffentlicht?
Nein. Ich dachte mir nur: Bacher, du stehst so allein auf weiter Flur da. Unfassbar. Das Wort „unternehmensschädigend“ kam darin vor. Das ist das Reizwort im Dienstvertrag. Unternehmensschädigendes Verhalten führt zu einer fristlosen Entlassung. Da hat er mir eine Rute ins Fenster gestellt, ich habe aber keine Termine abgesagt, hab weitergemacht wie bisher und das war‘s. 14 Tage später war im Bank Austria Forum eine Vernissage. Bacher war da, sah mich, kam auf mich zu und lachte: „Grüß Sie, Herr Tolar, wie geht’s?“ So war er.
Sie haben sich zum Outing entschieden, weil sich ein Jahr zuvor Ihr Mann Norbert nach 15-jähriger Beziehung auf die Gleise der Bahn legte, nachdem er die Diagnose HIV-positiv bekam. Im Polizeibericht stand nüchtern: „Todesursache: Kopf-Rumpf-Trennung“.
Ich wollte Ordnung machen. Und meine Nachbarin Roswitha meinte: „Schreib es nieder. Du sagst doch immer, was du aufgeschrieben hast, das hast du im Griff.“ Die erste Zeit der Trauer und der Hilflosigkeit hab ich überhaupt nicht gewusst, wie mir geschieht. Wie sich die Gedanken dann langsam gesetzt haben, ist ein Zorn in mir aufgetaucht, bei dem ich aber gewusst habe, ich kann den nicht entladen. Und dann kam langsam der Gedanke: So kann es nicht sein. Er hat Angst gehabt, dass etwas, das ihn persönlich betrifft, aufkommt. Vor wem hat er Angst gehabt? Vor denen da draußen. Die Gemeinde Wien, denn ein Herr Oberamtsrat darf offiziell nicht schwul sein? Und das Zweite, das bei ihm das große Hindernis für sein Weiterleben war, war ich. Weil wenn bei ihm aufkommt, dass er Aids hat, hätte es geheißen: „Das ist doch der Freund vom Tolar.“ Also hat er aus seiner Sicht „den anständigsten Weg“ gewählt, er hat sich einfach aus der Welt entfernt, so dass nichts aufkommt. Ich wollte ja am Tag darauf auch Selbstmord begehen. Aber ich hab es nicht geschafft.
Sie hatten sich sogar schon eine Waffe gekauft.
Eine saukomische Geschichte. Ich hab den Wiener Wallensteinplatz umrundet, bis mich einer angesprochen hat: „Du brauchen was?“ Ich bin ins Souterrain eines Hauses mit, da kam ein Herr, der ausgesehen hat wie aus einem schlechten Film, sehr auffälliger breiter Nadelstreif, die Haare hinten aufgestellt. Er kam mit einer Pistole, 20 Schuss, für 12.000 Schilling (Anm.: knapp 880 Euro). Das war mir zu teuer. So ernst hab ich es gemeint, dass ich mich mitten in die Wiener Verbrecherwelt begeben habe, aber dann war es mir zu teuer! Die Pumpgun kostete nur 8.000 Schilling (Anm.: ca. 580 Euro), die hab ich am Graben in der Wiener Innenstadt in einem Waffengeschäft gekauft.