Die Kids müssen also selbst initiativ werden?
Viele Kinder wissen leider nicht, wie sie das tun sollen. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit ist, ihnen das zu vermitteln, ihr Selbstvertrauen zu stärken und mit ihnen zu entwickeln. Das geht nicht über Nacht, das braucht Zeit. Es gibt keinen Workshop, wo man so etwas lernt. Vielleicht muss man sie an der Hand nehmen und einfach hinführen. Wir haben viele Kids, für die ist es ein großes Problem, von der 192. Straße zum Times Square zu fahren. Es ist eine 20-Minuten-Fahrt mit der U-Bahn, es ist physisch sehr nahe, aber für sie ist es in Wirklichkeit eine ganze Welt entfernt. Wir müssen Studenten in unterschiedliche Umfelder bringen und ihnen vermitteln: „Du kannst hier auch mitspielen, wenn du willst.“ Viele haben Angst ihre Comfort Zone zu verlassen, auch wenn diese äußerst bescheiden ist.
Woher stammen Ihre Schüler?
Die Mehrheit – rund 70 Prozent unserer Schüler – sind Latinos, in erster Linie von der Dominikanischen Republik. 20 Prozent sind Afroamerikaner. Wir haben viele Schüler, deren Eltern kamen in erster Generation von Westafrika.
Sind Drogen und Kriminalität ein Problem an Ihrer Schule?
Ich bin in einer Kleinstadt in Maine aufgewachsen, die an sich keine wohlhabende Gegend war. Dort lebte vorwiegend die Mittelschicht, manche waren auch etwas ärmer, alle waren weiß. Drogen waren in Maine ein größeres Problem als hier. Auch Waffengewalt ist unter unseren Schülern kein großes Thema. Aber in ihren Stadtvierteln ist es eines!
Leben viele Ihrer Schüler in gefährlichen Wohngegenden?
Das ist eine gute Frage. Ich wohne auch in der Gegend hier. Wenn du in die falsche Gruppe reingezogen wirst, dann ja. Wenn du dich von all dem fernhältst, dann gibt es kein Problem. Die Frage ist nur: Wie halte ich mich von all dem fern? Wir haben etliche Schüler, die wohnen in Gegenden, wo es viele Gangs gibt. Da kannst du es dir oft nicht aussuchen, was passiert, es sind einfach die Umstände. Ihre Väter oder Brüder sind vielleicht auch involviert, und dann folgen sie einfach ihren Fußstapfen. Von all dem fernzubleiben ist oft einfacher gesagt als getan.
Wie viele Lehrer arbeiten an Ihrer Schule?
Wir haben 45 Lehrer. Bei vier Schulen insgesamt somit etwas weniger als 200.
Wie sieht der normale Tag im Leben eines Schülers an Ihrer Schule aus?
Die Schule beginnt um 8 Uhr. Wenn es ein langer Tag ist, geht der Unterricht bis 15.40 Uhr, bei einigen sogar bis 16.30 Uhr. Wir haben einen großen Fokus auf der Wissenschaft. Alle unsere Schüler haben Englisch, Mathematik und Wissenschaften. Es gibt einen starken Druck, standardisierte Tests zu machen, um die Schule absolvieren zu können. Es gibt bei uns also nicht viel Zeit, um Kind sein zu können.
Was können Sie und Ihre Kollegen konkret tun, um die Situation an dieser Schule zu verbessern?
Es ist harte Arbeit. Die Probleme, die wir haben, sind nicht nur lokale dieser Schule. Aber lassen Sie mich einen Schritt zurückgehen und Ihnen meine Geschichte erzählen. Ich ging in Maine zur High-School und in Pennsylvania aufs College. Ich studierte Maschinenbau. Ich machte zwei Praktika und sie machten mir wenig Spaß. Als Maschinentechniker zu arbeiten machte mir also wenig Freude. Als ich meinen Lebenslauf schrieb, hatte ich nur wenige ehrenamtliche Arbeitsstunden und dachte mir, das ist erbärmlich. Ich wollte etwas für die Gemeinschaft tun, wo ich mich zumindest auch selbst etwas besser fühlen kann. Dann könnte ich ja noch immer Ingenieur werden. Also lehnte ich einige Jobangebote im Maschinenbau ab. Meine Schwester erzählte mir von „City Year“, einem ehrenamtlichen Programm von AmeriCorps noch aus der Clinton-Ära. Ich wusste nicht genau, was ich dort machen sollte, nur dass sie mich an Schulen schicken würden. Ich bewarb mich und wurde genommen. Da New York nahe war, ich dort auch viele Freunde hatte und meine Großeltern in New York leben, zog ich also nach New York. Ich dachte, ich werde das für ein Jahr machen und dann Ingenieur werden.
Aber es kam anders.
Kamen Sie gleich an die George Washington?
Sie schickten mich zunächst in eine High School nach Harlem, 128. Straße. Dieses Erlebnis hat mir die Augen geöffnet. Bis dahin wusste ich nichts über die Ungleichheit in unserem Land, was verrückt ist. Ich war ein anständig erzogener 23-Jähriger, und ich wusste wirklich nicht, dass viele Dinge in unserem Land unfair sind. Ich dachte, wir leben in einer Leistungsgesellschaft, und ich bekomme das, was ich hineinstecke, zurück. Ich dachte mir, wenn man hart arbeitet, bekommt man auch angemessen etwas dafür. Das war meine Wirklichkeit, aber so zu leben ist ein enormes Privileg. Als ich diese Kids in Harlem erlebte, Tag für Tag, ihnen Nachhilfe gab, dachte ich mir: „Ihr seid viel schlauer als ich. Warum habe ich statistisch viel bessere Chancen im Leben als ihr?“ Das war so niederschmetternd für mich, dass es mein Leben verändert hat. Die letzten zehn Jahre habe ich versucht gegen diese Ungerechtigkeit in unserem Land vorzugehen und meinen Beitrag zu leisten, die Situation zu verändern.
Woran glauben Sie?
Ich glaube an Bildung. Wenn wir einen Wettlauf über 100 Meter machen, und du startest nicht bei null, sondern bei 30 Metern, wirst du unweigerlich gewinnen. In einem sozialen Zusammenhang betrachtet leben wir genauso in den USA, abhängig von sehr oberflächlichen Elementen, die darüber entscheiden, wer wir sind und welche Chancen wir bekommen. Das ist die Hautfarbe, der soziale Status meiner Familie, alles eigentlich unerhebliche Dinge, aber letztendlich entscheidend, ob ich bei null starte oder bei 30 Metern. Ich sehe ein Umdenken hier nicht als Verantwortung, sondern als Chance. Die Chance, eine bessere Welt zu schaffen.
Wie wollen Sie dies konkret realisieren?
Als Weißer in Amerika habe ich die Möglichkeit, mit Menschen zu sprechen, die meinen Background haben, die aus meinem sozialen Umfeld stammen, die dieselbe Erziehung wie ich hinter sich haben. Ich will ihnen die Augen öffnen über die verschiedenen Probleme der Ungleichheit. Wenn Sie mich also konkret fragen: Wie kann diese Schule erfolgreich werden? Dann ist meine Antwort: Indem wir eine gerechtere Gesellschaft schaffen! Es hat damit zu tun, dass Menschen ihre Nachbarn kennenlernen sollen. Dass wir verständnisvoller anderen gegenüber sind. Dass wir uns nicht vor anderen Menschen fürchten, nur weil sie nicht von hier stammen oder eine andere Hautfarbe haben. Mit diesen Kids hier zu arbeiten hat mein Leben um so viel reicher und wertvoller gemacht, als wenn ich heute Ingenieur in einer Maschinenbau-Firma wäre. Kinder aus wohlhabenden Familien sollten in armen Stadtvierteln arbeiten, um von den anderen zu lernen und zu profitieren. Sobald man einander kennenlernt, weicht die Ängstlichkeit und es gibt keine Probleme mehr.
Viele Menschen in den ärmeren Vierteln New Yorks haben zwei, drei Jobs, doch es reicht trotzdem nicht zum Leben.
In New York haben wir einen Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde. Was immer du machst, du bekommst 15 Dollar. Aber leider ist das noch immer nicht genug, um Essen auf den Tisch stellen zu können und die Familie zu ernähren. Wenn du also einen 15-Dollar-Job hast, wirst du immer arm bleiben. Wir müssen unsere Kinder so ausbilden, dass sie Jobs bekommen, von denen sie auch leben können. Und als Erzieher muss ich nochmals sagen: Geld ist nicht alles. Wenn du nie Geld in deinem Leben hattest, und du gehst die Straße entlang, siehst all die Schaufenster mit Mobiltelefonen, Schuhen, Anzügen, dann sagt dir alles in dir: Ich brauche Geld! Ja, das mag sein, aber es macht dich nicht zu dem, was du bist. Kinder müssen lernen zu kommunizieren und Beziehungen zu knüpfen. Wenn sie diese grundlegenden Eigenschaften haben, kann man viel machen. Wir haben Klassen, wo man lernt, Apps zu designen, Computer-Codes zu schreiben, Software zu entwickeln. Es gibt viele Chancen. Sie müssen sie nur nutzen.