Ich richte mich wieder auf. Die Tränen haben sich mittlerweile zu Bächen geformt. Ich weine so viel Schmerz aus mir. Jeder Schritt, jede Verbeugung scheint mich noch tiefer in diesen Schmerz zu treiben. Durch den Schleier meiner Tränen nehme ich die Umrisse eines Mannes wahr. Er steht einfach da, hält ein Taschentuch in seiner Hand und wischt mir mit Achtsamkeit die Tränen aus dem Gesicht. Ich blicke ihm in die Augen. Der sanftmütige Blick des Inders berührt mich im Innersten. Es ist jemand da für mich. Einfach so. Einfach bedingungslos. Plötzlich schießen mir Fragen durch den Kopf. Wo bleibt nur das Fühlen in unserer Welt?
Plötzlich spüre ich eine Hand, die sanft meine ergreift und mich zu meinem Platz bringt. Meine Tränen werden mir von den Wangen gewischt. Ich fühle Frieden.
Ist es verschüttet durch das ständige Tun? Welche Werte sind jene, die dich glücklich machen und dich öffnen? Wieviel Freude und Mitgefühl geht durch unsere Unbewusstheit verloren? Rast unsere Gesellschaft mit 250 km/h gegen die Wand? Ich versuche mich gegen diese Gedanken zu wehren. Sie bringen mich weg vom Fühlen. Ich möchte diesen „Weg der Stille“ in vollem Bewusstsein gehen.
Ich will spüren. Kaum konzentriere ich mich darauf nicht zu denken kommen die Tränen. Diesmal nehme ich sie an, wie eine alte Freundin, die ich länger nicht gesehen habe. Mit weit geöffneten Armen heiße ich sie willkommen. Die Tränen wollen nicht versiegen, sie laufen mir über das Gesicht und benetzen den Boden während ich meine Stirn auf ihn lege. Noch einmal richte ich mich aus meiner tiefen Verbeugung auf. Vor mir kniet ein Mann mit einer Waschschüssel.
Am Vorabend seiner Kreuzigung hatte Jesus seinen Jüngern die Füße gewaschen und trocknete sie mit einem Tuch als Symbol des Dienens und der Hingabe. In diesem Moment glaube ich zum ersten Mal zu erahnen, was wahre Liebe bedeutet. Es ist der gegenseitige Respekt, die Verbundenheit, die Wertschätzung, der liebevolle Umgang und das Mitgefühl, das mir hier von fast Fremden entgegengebracht wird, das mich wachrüttelt. Ich öffne meine tränennassen Augen, die Abendsonne wirft noch ihre letzten Strahlen durch das dichte Grün des tropischen Gartens. Vor mir knien meine indischen Freunde, die ich erst diese Woche in mein Leben gelassen hatte, mit dem Gesicht zu mir gerichtet. Sie verharren in einer tiefen Verbeugung als Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung. Auch ich senke meinen Kopf in Demut und lege meine rechte Hand auf mein Herz. Es fühlt sich schwer an, so als ob alle Verletzungen des Lebens aus den Tiefen meines Herzens an die Oberfläche gespült worden wären. Ich bin erschöpft und aufgewühlt vom vielen Weinen.
Plötzlich spüre ich eine Hand, die sanft meine ergreift und mich zu meinem Platz bringt. Meine Tränen werden mir von den Wangen gewischt. Ich fühle Frieden.