Jetzt springen wir ins Jahr 2009 zum Berliner Ensemble. Larissa Fuchs wird von Peymann engagiert.
Fuchs: 2008 hieß es: Es gibt ein Vorsprechen, Claus Peymann kommt gucken. Es wurde nichts vorbereitet. Mein Vorteil, auch heute noch, ist, dass ich einfach niemanden kenne. Ich war deswegen nicht so aufgeregt. Wir sind von München nach Berlin gefahren. Ich habe Peymann nach meinem Vortrag unverblümt gefragt: „Und, wie fandest du’s?“ Aber es gab natürlich kein Feedback. Dann kam der Anruf, dass ich ab März im Berliner Ensemble spielen darf.
Wie haben Sie diesen Moment erlebt?
Fuchs: Ich war überfordert. Ich musste mir innerhalb von zwei Wochen eine Wohnung in Berlin suchen.
Wie war der erste Dialog zwischen Ihnen und Peymann?
Krisch: Peymann hat mich in „Die Vögel“ von Aristophanes wahrgenommen. Das war meine erste Rolle am großen Haus. Er hat mich dann immer wieder klein eingesetzt bis zu „Alpenglühen“, wo ich mit Kirsten Dene und Traugott Buhre die Uraufführung von Peter Turrini gespielt habe. Ich wurde damals oft „Junger Mann“ genannt.
Was war Paymann für Sie?
Krisch: Eine Vaterfigur. Die ersten fünf oder sechs Jahre am Burgtheater waren meine Schauspielschule. Ich wurde ständig besetzt, 196 Vorstellungen in zehn Monaten waren es in der Hochphase, insgesamt 13 verschiedene Stücke. Ich hatte absolute Hochachtung vor ihm. Ich habe die Theaterbesessenheit, die Liebe zum Beruf und vor allem den Umgang mit Text von ihm gelernt.
Peymann war eine Vaterfiugur. Ich wurde am Burgtheater ständig besetzt, 196 Vorstellungen in zehn Monaten, 13 verschiedene Stücke. Ich war zuvor schwerer Legasteniker, lernte alle Texte immer auswendig. (Johannes Krisch)
Wie würden Sie Peymann und Kusej vergleichen?
Krisch: Bis Martin Kusej dorthin kommt, wo Peymann war, fließt noch viel Wasser die Donau runter. Kusej hat sicher eine Theaterpranke, man wird sehen, wie er sich als Theaterdirektor macht. Als Regisseur ist er wunderbar. Aber Peymann kann er nicht das Wasser reichen.
Wer hat Sie beeinflusst?
Krisch: Peter Stein. Er hat auch wie Peymann unglaublich genau an dem Text gearbeitet. Mit Andrea Breth habe ich zweifelsohne die beste Arbeit gemacht, da war auch ich als Person gefragt. Ich musste schreien bei ihr.
Bis Martin Kusej dorthin kommt, wo Peymann war, fließt noch viel Wasser die Donau runter. Peymann kann er nicht das Wasser reichen. (Johannes Krisch)
Gibt es Grenzen am Theater, wo man als Schauspieler sagt, man will sie nicht überschreiten?
Fuchs: Es gibt persönliche Grenzen. Ich ziehe mich zum Beispiel nicht aus, wenn ich es nicht als notwendig empfinde.
Krisch: Ich war schon nackt auf der Bühne. Wenn es richtig für die Figur ist, dann habe ich nichts dagegen.
Fuchs: Ich habe da persönliche Scham. Ich habe auch schon etwas absagen müssen deswegen.
Haben Regisseure es geschafft, dass Sie Ihre Grenzen überwunden haben?
Krisch: Klaus Maria Brandauer hat mich bei „Hamlet“ sehr gefordert. Er hat etwas in mir gesucht, was ich so sonst nie in diesem Haus gespielt habe. Er hat mich zu einem Punkt des Seins gebracht, den ich noch nicht kannte. Nur durch die Arbeit präsent zu sein, das habe ich gelernt.
Brandauer gilt als selbstverliebt, präpotent, überheblich. Ist er das?
Krisch: Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, dass er ein sehr weiser, aber auch schüchterner Mensch ist. Ich habe ihn in der Arbeit hart kennengelernt. Ich wurde bei den Max-Reinhardt-Absolventen vorgeführt als der Lipizzaner, der nicht an der Schauspielschule war. Das war eine harte Zeit für mich, an der ich fast zerbrochen wäre. Ich habe mich gemobbt gefühlt, dann kamen die Selbstzweifel. Ich war kurz davor, allas hinzuschmeißen, aber dann ging irgendwann der Knopf auf. Bevor ich gehe, geht er, dachte ich mir dann. Rückblickend hat es sich gelohnt, ich habe viel gelernt. Das konnte ich auch in den Film mitnehmen.
Es gab also Situationen in Ihren Karrieren, wo Sie alles hinschmeißen wollten?
Fuchs: An der Schauspielschule hatte ich das, wo es einfach nicht mehr ging. Man wird gebrochen und soll sich verändern. Jemand möchte dich so sehr verformen in eine Richtung, wo du nicht hinwillst. Man macht sich aber ja auch selber fertig und gibt sich selber auf.
Krisch: Jede Hauptrolle hat mich gebrochen. Psychisch gebrochen. Man lebt das, was die Rolle lebt.
Sie haben den Frauenmörder Jack Unterweger gespielt. Larissa Fuchs meinte, nach der Filmpremiere von „Jack“ hatte sie Angst, mit Ihnen nach Hause zu gehen.
Fuchs: Das war ein fremder Mann für mich. Ich habe ihn angeschaut und habe den Mörder gesehen, da wurde mir richtig mulmig. Man fragt sich, inwieweit die Arbeit abgeschlossen ist, inwieweit das Tor zu ist. Die Gefahr des Schauspiels ist, das zu erleben. Wie einen Unfall, den du erlebst, und der dich ein Leben lang begleitet. All diese Dinge, die ja auch möglichst lebensnah dargestellt werden sollen, sind in uns drinnen. Jack Unterweger war in ihm drinnen. Auch noch lange danach.
Krisch: Du nimmst den Jack mit, den Romeo, den Raimund, du nimmst alle Rollen mit nach Hause und alles, was du auf der Bühne je gesagt hast. Wenn du private Auseinandersetzungen hast, kommen oft Sätze aus dir raus, die gar nicht von dir sind. Deswegen braucht man einen guten Therapeuten.
Wie lange hat Sie „Jack“ verfolgt?
Krisch: Die Rolle ist bis heute nicht abgehakt, ich habe fünf Jahre damit verbracht, länger als alle anderen Rollen. Ich habe ihn noch immer nicht abgeschüttelt. Als ich den fertigen Film angeschaut habe, habe ich mich selbst nicht mehr darin gesehen. Ich habe jemanden Fremden gesehen, ich hatte damit nichts zu tun.
Du nimmt den Jack Unterweger, den Romeo, alle Rollen mit nach Hause. Privat kommen oft Sätze aus dir raus, die gar nicht von dir sind. Deswegen braucht man einen guten Therapeuten. (Johannes Krisch)
Verstehen Sie Larissas Gefühl der Angst?
Krisch: Absolut. Umgekehrt ist es ja auch so, wenn sie heimkommt, muss ich sie auch oft daran erinnern, dass sie nicht mehr im Theater ist. Es ist nicht immer einfach in unserem Beruf. Eigentlich bist du ständig im Arbeitsprozess. Man kommt leicht in eine Rolle rein, aber schwer wieder raus. Es ist ein sehr verletzender Beruf.