Tscheljabinsk 1983, eine Großstadt am Ural mit 1,2 Millionen Einwohnern. Wie war das Leben in der Sowjetunion?
Fuchs: Ich habe es als schön empfunden, ich hatte eine tolle Kindheit. Wir haben in einem typischen Hochhaus gelebt, im 9. Stock und mein Blick ging hinaus auf ein Kraftwerk. Ich glaube, im Krieg haben sie dort Panzer hergestellt. Der Dampf war tagsüber hell und in der Nacht dunkel. Einen See habe ich auch gesehen, dort haben alle gebadet: Hunde, Katzen, Kühe und wir.
Als das Ende der Sowjetunion kam waren Sie 7.
Fuchs: Ich habe das überhaupt nicht mitbekommen. Ich habe auch erst vor Kurzem herausgefunden, wie schlecht es uns früher ging. Erst jetzt verstehe ich, was meine Mutter und mein Vater durchgemacht haben. Drei Stunden in der Schlange zu stehen, um Lebensmittel zu holen, war der Alltag.
Kannten Sie Bananen?
Fuchs: Nein. Meine erste Banane aß ich 1995, als wir im Bus Richtung Deutschland saßen. Mein Vater war ein russisches Waisenkind und lernte meine Mutter kennen, als er 42 war und sie 30. Meine Mutter war Wolgadeutsche. Ich habe jetzt auch entdeckt, dass mein Großvater aus einer jüdischen Siedlung kam, aber das wurde nie thematisiert. In Russland deutsch und jüdisch zu sein ging gar nicht. Meine Mutter hatte aufgehört Deutsch zu sprechen, als man sie Deutscher Schäferhund nannte. Mir haben sie „Heil Hitler“ hinterhergerufen.
1995 kam die Entscheidung auszuwandern?
Fuchs: Mein Großvater in Deutschland ist verstorben und meine Mutter sagte, dass sie ihn mit ihrer Familie zu Grabe tragen will. Dann haben wir innerhalb von zwei Wochen alles zusammengepackt und die Wohnung einfach so verlassen, wie sie war. Wir kamen nie wieder zurück. Ich dachte, ich komme jetzt in das Land von Zwergen und Zuckerhäusern wegen Grimms Märchen.
Welchen Status hatten Sie in Deutschland?
Fuchs: Wir waren Aussiedler. Wir wurden zunächst in einer Kaserne untergebracht und sind dann nach Hessen gegangen.
Sprung nach Wien: 1995 ist Johannes Krisch 29 Jahre alt und bereits ein Star am Wiener Burgtheater.
Krisch: 1989 bin ich ans Burgtheater kommen. Ich wollte ursprünglich Rockstar werden, wir hatten eine Band namens „Illegal“. Peter Hacker, heute Wiens Stadtrat für Soziales, saß am Keyboard und Mischpult. Walter Huber war auch dabei. Ich habe gesungen und Bass gespielt. Wir haben versucht unseren Frust über die Gesellschaft loszuwerden, im Gedankengut von Rio Reiser und Hansi Lang. Das Projekt ist gescheitert.
Ich wollte ursprünglich Rockstar werden, wir hatten eine Band namens „Illegal“. Peter Hacker, heute Wiens Stadtrat für Soziales, saß am Keyboard. Wir haben versucht, unseren Frust über die Gesellschaft loszuwerden. Das Projekt ist gescheitert. (Johannes Krisch)
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Sie spielen unglaublich charismatische Rollen, hatten aber nie eine Schauspielausbildung.
Krisch: Ich glaube, das Talent wurde mir in die Wiege gelegt. Mit drei Jahren wollte ich schon Clown werden. In der Schule habe ich immer Gedichte aufgesagt und Schlager nachgesungen. Ich war schwerer Legastheniker, man hat mich in der Schule ausgelacht, weil ich nicht vom Blatt lesen konnte. Deswegen habe ich mir angewöhnt vorzulernen. Dann konnte ich die Texte schon auswendig.
Das war als Schauspieler sicher hilfreich.
Krisch: Ich muss auch heute den Text auswendig können, sogar bei Lesungen. Das hat einen großen Vorteil: man kann ganz anders in die Texte hineingehen. Ich gehe rhythmisch im Garten herum, wenn ich Rollen lerne. Ich habe den Rhythmus des Textes in mir drin. Ich denke, es hat etwas mit Musikalität zu tun, sich Texte merken zu können. Es ist eine Partitur.
Hat Ihnen Ihre musikalische Vorgeschichte geholfen?
Krisch: Sehr! Und umgekehrt hilft mir die Schauspielerei beim Interpretieren von Liedern. Lieder sind ja ganz komprimierte Geschichten.
Sie haben am Theater beim Auersperg angefangen und sind dann an die Burg engagiert worden.
Krisch: Ich habe sämtliche Kellertheater in Wien bespielt und bekam meine erste „Tatort“-Rolle. Nach Oskar Werner war ich der Jüngste, der jemals am Burgtheater engagiert wurde. Peymann suchte noch Jungschauspieler für ein Stück. Daraufhin habe ich meine Bewerbung ausgedruckt und abgegeben. Drei Tage später haben sie mich zum Vorsprechen eingeladen. Engagiert hat mich nicht Claus Peymann, der wusste das erste Jahr gar nicht, dass ich dort arbeite. Engagiert hat mich Hermann Beil. Ich bin in Tränen ausgebrochen, auch weil ich mir geschworen habe, wenn ich diesen Beruf ergreife, dann will ich ans Burgtheater. Ich habe mir diese Latte gesetzt. Ich wollte in den Olymp, um es mir selbst zu beweisen.