Die Nachbarschaft wirkt wie ein klassisches Arbeiterviertel in der New Yorker Bronx, und doch ist hier der Sitz eines der renommiertesten Forschungsinstitute der Welt: das Albert Einstein College of Medicine, das seinen Anspruch bereits im Namen trägt. Im Belfer Building ist das Reich von Nir Barzilai, Gründungsdirektor des Instituts für Altersforschung. Der bullige Wissenschaftler mit den grauen Haaren, der quadratischen Brille und dem Hollywood-Lächeln stammt aus dem israelischen Haifa und lebt jetzt mit seiner Familie in New York. Wenn er nicht in Nachrichtenstudios oder TV-Dokumentationen über das Altern erzählt, forscht er an einem der spannendsten Projekte der Gegenwart: einer Pille gegen das Altern. Und er ist bei seiner Mission schon ziemlich weit. Im Zentrum seiner Arbeit steht ein Wirkstoff, der seit über 60 Jahren als Medikament gegen Typ-2-Diabetes im Einsatz ist und doch noch ganz andere Anwendungsmöglichkeiten verspricht: Metformin. Bei Diabetes und Übergewicht wird es gern großzügig verabreicht. Dazu ist es billig. Weil es nicht mehr patentgeschützt ist, kostet eine Tablette nur 6 Cent.
Das Altern umkehren? Versuche zeigten, dass es auch den Alterungsprozess verlangsamen kann. „Unser Forschungsansatz war ungewöhnlich“, sagt Nir Barzilai. „Wir haben uns nicht die Frage gestellt, was Altern ist, sondern haben uns vielversprechende Modelle angesehen, die ein längeres Leben ermöglichen. Wir haben auch Indizien dafür, dass wir den Alterungsprozess sogar umkehren können.“ Das lässt aufhorchen. Nicht nur die Medizinwelt, sondern auch Menschen, die davon träumen, mit einer simplen Tablette länger leben zu können.
Metformin ist ein breit erforschter Wirkstoff. Alleine in einer britischen Studie der Universität Cardiff, die auf Daten von 78.000 Menschen basiert, die ihre Diabetes-2-Diagnose erhalten haben und mit Metformin behandelt wurden, geschah Erstaunliches: In der mit Metformin behandelten Gruppe der Diabeteskranken starben 17 Prozent weniger Menschen als in der Kontrollgruppe von Menschen ohne Diabetes. Selbst gesunde Menschen lebten nicht so lange wie Kranke mit Metformin.
Nun will Nir Barzilai mit einer 40-Millionen-US-Dollar-Unterstützung des Königreichs Saudi-Arabien und dessen Hevolution Foundation die TAME-Studie starten, an der 3.000 Personen zwischen 65 und 79 Jahren sechs Jahre lang teilnehmen sollen und an der 14 führende Forschungseinrichtungen der USA beteiligt sind. Das Ziel: Zu prüfen, ob Metformin Krankheiten wie Krebs, Alzheimer, Demenz, Diabetes und Herzkrankheiten positiv beeinflussen kann, um so das Leben zu verlängern. Gelingt dies, wäre das Altern tatsächlich mit einer Tablette behandelbar – und der Nobelpreis Nir Barzilai sicher.
Wissenschaftler wie Nie Barzilei halten ein menschliches Alter von 150 Jahren für möglich.
Organoide aus dem Labor. Einen ganz anderen Ansatz hat Molekulargenetiker Hans Clevers, der mit Stammzellen eines Patienten im Labor Organe nachzüchtet. Denn fallen Herz, Leber oder die Lunge aus, ist das für uns fatal. Clevers Organoide sollen künftig Organtransplantationen von einem anderen Menschen überflüssig machen. Clevers, der lange Präsident der Königlich Niederländischen Akademie der Wissenschaften war, ist ein Organoid-Pionier und treibt heute die Forschung beim Pharmariesen Roche voran. Bereits 1996 fand Clevers heraus, dass sich Stammzellen und Krebszellen gleicher Mechanismen bedienen. Clevers nahm eine Stammzelle, gab sie in eine Petrischale, sorgte für die richtige Umgebung und wartete. Zur Überraschung aller entwickelte diese eine Stammzelle einen ganzen Mini-Darm. Anstatt nur mehr Stammzellen ihrer Art zu produzieren, stellte sie sämtliche anderen Zellen des Darms her.
Mini-Lunge. Mini-Leber. Damit begann eine faszinierende Entdeckungsreise: Clevers und sein Team erzeugen heute Mini-Lungen, -Lebern, -Mägen und -Därme im Labor: „Wir entnehmen bei einer Biopsie ein kleines Stück Gewebe von einem Menschen und unter den richtigen Wachstumsbedingungen beginnt es von einer einzelnen Zelle aus eine kleine Version des echten Organes im Labor zu bilden.“ Clevers Ziel ist, so wie es Blutbanken gibt, künftig Biobanken aufzubauen: „Sie brauchen eine neue Leber? Wir haben sie.“ Clevers Forschung kann ein Game Changer sein im Kampf gegen das Altern.
Einen weniger spektakulären Ansatz hat Molekularbiologe Frank Madeo aus Graz.
SPERMIDINE. Eine Erfolgsstory aus Österreich.
Manchmal werden Entdeckungen gemacht, deren Bedeutung erst viel später erkannt wird. Schon 1874 wusste Theodor Billroth, dass der Pilz Penicillium das Wachstum von Bakterien hemmt – doch das Wissen geriet in Vergessenheit. 1928 fand Alexander Fleming durch Zufall heraus, dass der Schimmelpilz Bakterien abtötet. Auf die Idee, ihn als Medikament einzusetzen, kam er nicht. Erst 1942 wurde Penicillin im Zweiten Weltkrieg verwendet. Wie viele Millionen Leben hätte man bis dahin damit retten können?
Entdeckung aus 1870. Auch das biogene Polyamin Spermidin – ein Molekül, das die Zelle zum Wachstum und Überleben braucht – wurde bereits 1870 entdeckt und damals noch aus Sperma isoliert, daher der kurios klingende Name. Doch dass die Forschung dazu nun weltweit Fahrt aufnimmt – über 150 Jahre nach seiner Entdeckung – ist österreichischen Wissenschaftlern zu verdanken.
Erste klinische Studien belegen: Spermidin verbessert die Gedächtnisleistung, schützt vor Herz- und Kreislauferkrankungen und verzögert das Altern.
Gesund altern. Frank Madeo vom Institut für Molekulare Biowissenschaften der Grazer Karl-Franzens-Universität erforscht seit Jahrzehnten den Alterungsprozess und Wege, lange gesund zu bleiben und das Altern zu verlangsamen. Dabei stieß er vor rund 15 Jahren auf den Wirkstoff Spermidin und seine Fähigkeit, den Autophagieprozess im Körper – das Recycling der Zelle, bei dem der Körper krankhafte Zellbestandteile abbaut – zu forcieren. Er begann mit seinem Team zu forschen, Wissenschaftler an Universitäten wie Oxford und Bonn folgten seinem Beispiel. Die Ergebnisse zahlreicher Studien scheinen mehr als vielversprechend:
- Spermidin wirkt der altersbedingten Demenz entgegen, die Gedächtnisleistung lässt sich verbessern.
- Es schützt vor kardiovaskulären Erkrankungen und trägt so zur Lebensverlängerung bei.
- Es unterstützt dabei, Bluthochdruck zu senken.
- Spermidin scheint die Virusvermehrung bei Infektionen um bis zu 70 % zu reduzieren und hat eine entzündungshemmende Eigenschaft.
- Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité setzte es sogar bei Covid-19-Patienten ein, Spermidin hatte einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf.
Den Grazer Wissenschaftlern gelang es auch, Spermidin aus Weizenkeimen in einem natürlichen Prozess zu extrahieren. Dieses Extrakt dient jetzt weltweit Forschungsteams als Ausgangsmaterial.
Investor Hannes Androsch. In Kooperation mit der Grazer Karl-Franzens-Universität entstand aufgrund der Erfolge ein Spin-off unter der Führung von CEO Herbert Pock (siehe Interview rechts), um weiter zu forschen und die Erkenntnisse direkt in konkrete Lösungen für den Menschen zu verpacken. Das 2016 gegründete Start-up Longevity Labs+ mit Sitz in Graz hat bereits Niederlassungen in Denver, Colorado, und Wien. Das erste Produkt ist ein Serie von Nahrungsergänzungsmitteln unter der Marke „spermidineLIFE“. Der Industrielle Hannes Androsch, der sehr erfolgreich die VIVAMAYR Medical Health Resorts betreibt, beteiligte sich bereits 2018 an den Longevity Labs+.
Ein beeindruckendes Beispiel, wie aus exzellenter Wissenschaft eine heimische Erfolgsgeschichte geschrieben wird.
HERBERT POCK. Das Ziel ist, lang gesund zu sein.
Es gibt viele Forschungen im Bereich Longevity. Ihre baut auf Spermidin auf, das als Botenstoff in unseren Köperzellen vorkommt und schon 1870 entdeckt wurde.
Die Entdeckung ist lange her, aber die klinische Forschung nimmt erst jetzt Fahrt auf. Ich bin kein Molekularbiologe, ich habe Wirtschaft studiert und war zwanzig Jahre lang in der Beratung an der Schnittstelle Forschung und Wirtschaft tätig. Meine große Leidenschaft war es, Forschungsergebnisse, die auf Universitäten entstehen, in Richtung Wirtschaft und Kunden zu bringen. Vor acht Jahren habe ich so Univ.-Prof. Frank Madeo kennengelernt, der heute einer der bekanntesten Altersforscher ist und eine Forschungsgruppe dazu an der Karl-Franzens-Universität Graz leitet.
Was war der Forschungsansatz von Professor Madeo?
Er screente verschiedene Substanzen, die dann bei verschiedenen Organismen supplementiert werden. Das beginnt mit ganz einfachen wie Hefe und geht dann über Fliegenmodelle weiter. Man schaut, ob diese Substanzen eine Auswirkung auf den Organismus haben. So ist er vor mittlerweile 15 Jahren auf Spermidin gestoßen, das Frank Madeo und sein Team seitdem erforscht haben.
Wie Studien zeigen, scheint Spermidin die Lebensspanne vergrößern zu können.
Es gab schon damals Indizien, dass zum Beispiel die Gedächtnisleistung verbessert werden kann. In Absprache mit dem Rektorat der Karl-Franzens-Universität sind dann unsere Longevity Labs+ als Spin-off entstanden, damit man diese Forschung und den Benefit daraus den Menschen näherbringen kann.
Spermidin forciert die Autophagie, jenen Prozess, den wir vom 16:8-Fasten kennen und für dessen Erforschung Yoshinori Ohsumi 2016 den Medizin-
Nobelpreis bekommen hat: Einen Selbstreinigungsprozess der Zelle, wo der Müll, Viren und Bakterien einfach abgebaut werden.
Das ist der Kernpunkt. Man hat festgestellt, dass durch ein höheres Spermidin-Level im Körper die Autophagie entsprechend angeregt und verstärkt wird. Bei Spermidin ist es ja so, dass junge Menschen einen relativ hohen Spermidin-Spiegel im Körper haben. Je älter wir werden, umso niedriger wird dieser Spermidin-Spiegel.
Er nimmt beim Altern also ab und verlangsamt den Autophagie-Prozess.
Unsere Zellen reinigen sich immer träger und es kommt nicht mehr zum vollständigen Abbau dieser Schadbestandteile. Daher ist es wichtig, dass man mit dem zunehmenden Alter mehr Spermidin supplementiert. Es gibt übrigens jetzt auch neue Indizien in präklinischen Studien, dass auch das Fasten als Autophagie-Ankurbler nur funktioniert, wenn ein entsprechendes Spermidin- Level da ist.
Sie haben ein Verfahren entwickelt, wie Sie Spermidin aus Weizenkeimen extrahieren können.
Erst mit unserer Technologie und dem daraus entstehenden Extrakt haben die internationalen wissenschaftlichen Studien und die klinische Forschung zu Spermidin begonnen. Wir stellen es der Berliner Charité ebenso zur Verfügung wie der Oxford University oder der Uni Bonn, die gerade die Auswirkung von Spermidin auf das Schlafverhalten, aber auch auf depressive Patienten erforscht.
Das Besondere bei Ihren Produkten: Sie sind Nahrungsergänzungsmittel, keine Medizin.
Bei der Longevity-Forschung geht es ja nicht nur darum, länger zu leben, sondern vor allem die gesunde Lebensspanne zu verlängern. Das Ziel ist, lang gesund zu sein und zu bleiben. Es geht schon relativ früh darum zu beginnen, altersinduzierte Krankheiten zu vermeiden. Da ist die Zellreinigung oder Autophagie ein wesentlicher Beitrag. Deswegen sehen wir durchaus Kundengruppen, die bereits mit 25, 30 Jahren beginnen, Spermidin zu supplementieren. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit empfiehlt als Maximalmenge 6 Milligramm pro Tag. Daran halten wir uns.