Wir haben einen Sommer der Extreme erlebt, Waldbrände von gigantischem Ausmaß, Stürme, Fluten, Tornados mitten in Europa. Kommt der Klimawandel schneller und stärker als befürchtet?
Nein, das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat vor ungefähr 15 Jahren schon mitgeteilt, dass die relativ geringfügige globale Erwärmung jetzt schon zu mehr Extremwetterlagen führen wird. Die Temperaturvermehrung – um sagen wir mal inzwischen schon fast eineinhalb Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit – ist ja für den normalen Alltag geringfügig. Aber die Wetterdynamik reagiert sehr viel stärker auf solche Veränderungen. Und stärker heißt nicht notwendigerweise mehr Regen oder mehr Feuer, sondern alles zusammen.
Welchen Beitrag kann jeder Einzelne leisten, um das zu verlangsamen?
Das Wichtigste scheint mir, dass man sich der Situation bewusst ist. Dass man seinen eigenen Kindern sagt: In 30, 40 Jahren kann Venedig einfach irreversibel unter Wasser sein. Punkt. Das ist sehr wohl möglich. Aber für Bangladesch ist die Nachricht noch viel schlimmer. Da können Tausende Quadratkilometer unter Wasser sein. Und so hohe Deiche zu bauen für ein relativ armes Land ist wahrscheinlich unrealistisch. Mehrere pazifische Inselstaaten können von der Landkarte verschwunden sein. Dann kommt dazu, dass einige Wälder in Kalifornien abbrennen und dass man im Waldviertel in Österreich hauptsächlich Borkenkäfer hat, die großen wirtschaftlichen Schaden anrichten, und in der Po-Ebene riesige Überschwemmungen sind. Wir müssen also ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es durch menschliche Schuld immer schlimmer wird. Da kann man nicht einfach den Wettergott bejammern. Nein, das sind wir.
Der Einzelne kann natürlich mit dem Fahrrad fahren statt mit dem Auto und mit der Bahn und man kann ein klimaneutrales Flugzeug konstruieren, das ist dann doppelt so teuer. Aber die Hauptaussage ist: Nicht der Einzelne ist schuld, wir alle sind es.
Wie viele Menschen erträgt unser Planet?
Die Kausalität ist die Zahl der Menschen auf der Erde, das sind inzwischen acht Milliarden. Die Erde ist eigentlich gerade noch groß genug für etwa eine Milliarde, aber doch nicht für acht. Schauen wir mal nach Afrika. Wenn man in Afrika eine junge Familie hat und Frau und Mann unterhalten sich über das Thema Kinder, dann fragt einer von den beiden: Ja, wovon sollen wir leben, wenn wir alt sind? Da ist die selbstverständliche Antwort: Von dem, was unsere Kinder dann für uns tun! Also möglichst viele Kinder, weil es in diesen Ländern im Wesentlichen keinerlei Altersvorsorge gibt. Der eigentliche Einstiegspunkt ist nicht nur die Emanzipation der Mädchen, sondern der Aufbau eines vernünftigen Pensionssystems. Man muss lernen, kausal zu denken und nicht so moralisierend. Da kann man natürlich sagen: In Österreich oder Deutschland sind wir ja auf dem Weg zur Ein-Kind-Familie. In China ist man darüber schon wieder etwas unglücklich. Aber in Afrika haben sie eben fünf bis zehn Kinder, und wenn das so weitergeht, dann wird die zerstörerische Kraft der Wetterveränderungen viel, viel größer. Natürlich wird dann immer gesagt, die afrikanischen Kinder haben ja viel weniger Konsum, viel weniger Beitrag als die europäischen oder gar amerikanischen Kinder. Das ist zutreffend. Aber die Übermacht der Agrarlobby, dass man jetzt einfach Brasilien in ein komplettes Agrarland verwandelt und damit vermutlich den Amazonasbereich abbrennt, wird immer begründet damit, dass man die Weltbevölkerung füttern muss. Was im Übrigen nicht stimmt: Da wird im Wesentlichen Soja für die Schweinezucht in Deutschland und China angebaut. Aber trotzdem, das Thema Weltbevölkerung ist leider tabu, man darf nicht darüber reden.
Sie haben erwähnt, dass wir der Jugend sagen sollen, wie es mit unserem Planeten weitergeht. Fridays for Future und Greta Thunberg haben da einiges ausgelöst.
Das war wunderbar, ist aber auch leider ein bisschen eine Beschönigung. Es gibt vielleicht 100 Millionen Greta-Thunberg-Anhänger. Aber es gibt eine Milliarde von Jugendlichen, die nichts anderes tun, als auf ihren Laptop und ihr Smartphone schauen, ganztags. Ich nenne das gerne die Jetzt-Besoffenheit der Twitterer. Alles, was mehr als eine Minute alt ist, ist schon Mittelalter. Also immer nur jetzt, jetzt, jetzt, jetzt. Und dann ständig hin und her. Das ist eine solche Narretei, da waren wir als Kinder – und wir waren alles andere als Engel – wenigstens irgendwo noch in einer Gemeinschaft und nicht in einer komischen, absurden Twitterwelt.
Ich bin sehr für die junge Generation, die die Alten kritisiert. Aber wenn sie den Alten vorführt, es gibt nichts mehr anderes als das Jetzt, dann ist das grotesk. Es ist die Zerstörung der Zivilisation, der Kultur. Das ist aber auch alles tabu, das darf man nicht sagen, weil die Jungen sind heilig.
Ich sehe da eine große Leidenschaft und auch eine Wut.
Ja, natürlich. Wenn alles kaputtgemacht wird, warum kann man dann nicht leidenschaftlich werden?
Sie gehören ja auch dem Club of Rome an, der einen sehr elitären Ruf hat. Welche Rolle spielt in der heutigen Zeit ein Zusammenschluss kluger Köpfe, was kann er bewirken?
Ungefähr so viel, wie der Rest der Gesellschaft bereit ist zuzuhören. Das ist eine zynische Aussage. Wir haben mit dem Buch „Wir sind dran“ einigermaßen dargestellt, was das Problem ist, was zu tun ist, aber man hört begreiflicherweise auf Greta Thunberg mehr als auf den Club of Rome.
Sie haben das Buch mit Ihrem Freund und Co-Präsidenten des Club of Rome, Anders Wijkman, veröffentlicht.
Es ist auf Englisch geschrieben worden und da hat es den merkwürdigen Titel „Come on!“ mit zwei völlig verschiedenen Bedeutungen. Der deutsche Verlag hat das ein ganz nettes Stück weiterverwendet. „Wir sind dran“ heißt „Wir sind an der Reihe“, aber es heißt auch, wenn wir es blöd machen, dann sind wir dran.
Brauchen die Medien immer irgendetwas Spezielles, um darüber zu berichten?
Ja, es muss immer Erzählungen geben, narratives Storytelling, das ist die heutige journalistische Überzeugung und psychologisch nicht ganz falsch. Aber wenn man sich im Wesentlichen auf Märchenerzählungen konzentriert, dann kommt man der Kausalität nicht näher. Es ist zwar populär, und ich meine, die populistische Bewegung in fast allen Ländern der Welt ist ja eine Imitation der Dummheit.
Glauben Sie, dass die Menschheit aus der Pandemie etwas gelernt hat?
Ja, positiv und negativ. Positiv, dass man merkt: Es ist ja gar nicht so schlimm, nicht ständig nach Teneriffa fliegen zu können und bestimmte Konferenzen auszulassen. Aber es hat auch eine gewaltige Vermehrung der Ich-Bezogenheit gegeben. Die „anderen“ sind auf einmal die möglichen Infektionsauslöser und nicht mehr die Mitmenschen.
Wir haben in Österreich eine große Lobby von Impfgegnern und Impfbefürwortern, was die Gesellschaft entzweit. Haben Sie einen Rat dafür?
Es gibt in fast allen Ländern der Welt, sogar in China, eine steigende Zahl von Leuten, die einen im Bauch sitzenden Ingrimm gegen „die da oben“ haben. Und wenn „die da oben“ sagen, man muss sich impfen lassen, dann kommt automatisch die Impfgegnerschaft. Das hat nichts mit Medizin zu tun, sondern nur mit einem Zorn auf „die da oben“. Also null Kausalität, reine Emotionalität.
Leider wird dies auch in Österreich von einer politischen Partei genutzt, um Wähler anzuziehen.
Für die Populisten ist das die Wahlbasis. Die Populisten tun ja auch so, als wären die jetzt Regierenden schuld an allem.
Sie sind seit 50 Jahren Mitglied der SPD, die bei der Bundestagswahl eben 25,7 % der Stimmen erhielt und auf Platz 1 kam. Bekommen soziale Werte Ihrer Meinung nach wieder Relevanz, ist die Zeit der Demagogen vorbei?
Da würde ich den verstorbenen großen Liberalen Ralf Dahrendorf zitieren, der sagte: „Das 20. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Sozialdemokratie.“ Das hat aber auch zur Folge gehabt, dass man in den zivilisierten Ländern all das, wofür die Sozialdemokratie gegründet worden ist, erreicht hat. Die generelle Schwäche der heutigen Sozialdemokratie – da ist die letzte Wahl eine Ausnahme – ist nicht ihre eigene selbst verschuldete Dummheit, sondern ist der Siegestaumel. Man muss auch heute über soziale Gerechtigkeit reden, aber das ist nicht mehr das, worum es im 19. Jahrhundert und über weite Teile des 20. Jahrhunderts ging, eine nationale Aufgabe, sondern eine internationale. Bei den Wahlurnen in Österreich oder Deutschland geht es normalerweise nicht um die internationale Dimension, sondern ausschließlich um die nationale. Und das nehme ich den heutigen Grünen nicht übel, die sind ja ganz besonders national. Die Wahlwerbung der Grünen in Deutschland lautet: „Wir sorgen dafür, dass Deutschland im Jahr 2045 klimaneutral ist.“ Und damit können wir das 1,5- Grad-Ziel einhalten. Das ist physikalischer Quatsch, eingebettet in ein moralisierendes, auf die Nation beschränktes Versprechen. Warum ist es Quatsch? Für jedes Kohlekraftwerk, das wir in Deutschland abschalten, werden weltweit 20 neue gebaut. In Indien ist heute ein neues Kohlekraftwerk eine Lizenz zum Gelddrucken. Und welche Regierung kann der Versuchung widerstehen, nicht Geld zu drucken, wenn man es darf? Das heißt: Das Klima hängt vom moralischen Duktus europäischer Grüner nicht ab. Es ist trotzdem gut, dass es sie gibt. In Österreich habt ihr einen wunderbaren Bundespräsidenten, der das auch irgendwo verkörpert, das ist gut. Aber er ist viel klüger, denn er mischt sich ein in die internationale Klimapolitik und ich würde mal denken, wenn es einen grünen Bundespräsidenten in Deutschland gäbe, würde der das genauso machen.