Enrique Steiger ist einer der besten Schönheitschirurgen der Welt. Hollywoodstars fliegen zu ihm nach Zürich, doch seine Passion bleibt vielen verborgen. Jedes Jahr verbringt der Schweizer freiwillig mehrere Monate zwischen explodierenden Granaten und MG-Salven, um Schwerverletzte zu operieren. In 24 Kriegen und Kampfgebieten – von Ruanda, Afghanistan bis Nigeria – rettete er Tausenden Menschen das Leben. Ein schillernder Held, der keiner sein will.
Sie sind der bekannteste Schönheitschirurg der Schweiz und gelten als einer der besten der Welt. Trotzdem verbringen Sie jedes Jahr Monate in Kriegsgebieten, wo Sie Ihr Leben riskieren, um anderen zu helfen. Wie verkraftet man diesen Kontrast: einerseits das mondäne Zürich, andererseits den Krieg, wo Bomben fallen und Schwerverletzte auf Ihrem OP-Tisch um ihr Leben kämpfen?
Ganz gut. Ich höre sehr oft von meinen Patienten, wenn ich aus schwierigen Gebieten zurückkomme: „Herr Dr. Steiger, ich schäme mich fast, mit diesem Anliegen an Sie heranzutreten, da meine Fältchen zu korrigieren oder meine Brust …“ Ich antworte dann immer: „Ich hoffe nicht, denn Sie finanzieren schlussendlich mein etwas gefährliches Hobby. Wenn Sie nicht mehr zu mir kommen, könnte ich mir das eigentlich auch nicht mehr leisten. Meine Patienten sind die größten Sponsoren meiner Tätigkeit, denn etwa 20 Prozent von meinem Einkommen gehen in diese Mission.
Wie kamen Sie zu Ihrer Mission?
Wie die Hebamme zum Kind. Es war vor über 25 Jahren und reiner Zufall, dass ich von der Schweiz nach Afrika entsendet wurde. Ich war im Namen der Vereinten Nationen dort, um eine UNO-Mission an der Grenze zu Angola im Angola-Krieg zu betreuen. Über die Zeit habe ich an über 24 Kriegen und Konflikten teilgenommen.
Wollten Sie immer schon anderen helfen?
Ich bin keine Mutter Teresa. Ich hatte eigentlich keine karitative Grundeinstellung, sondern wollte statt des obligatorischen Militärdienstes lieber Menschenleben retten. Das bringt mehr, als bei uns auf den Alpen herumzusitzen und Kuhställe zu bewachen. Wenn Sie das erste Mal dorthin gehen, haben Sie keine Ahnung, was Sie erwartet. Ich war damals 27 Jahre alt uns musste brutal erfahren, welche naive Vorstellung ich vom Krieg hatte. Wenn Sie plötzlich konfrontiert werden mit Blutvergießen, mit Menschen, die auf der Flucht sind, Verwundeten und Verletzten, dann verändert das alles in Ihrem Leben.
Ich bin keine Mutter Teresa. doch wenn sie plötzlich mit dem Blutvergiessen konfrontiert sind, verändert das alles in ihrem Leben. meine Patienten als Schönheitschirurg sind auch meine Sponsoren, denn 20 Prozent meines Einkommens geht in meine Mission.
Können Sie sich noch an Ihren ersten Patienten erinnern, der in dieser Kriegssituation auf Ihrem OP-Tisch lag?
Ja, das war ein junger Rebell. Er wurde mir eines Nachts von einem Missionar aus dem Busch gebracht, schwer verletzt, angeschossen durch die südafrikanische Armee. Und die waren damals natürlich als Terroristen deklariert und wurden gejagt.
Ein Swapo-Kämpfer?
Ja. Wir haben ihn mehr oder weniger illegal bei uns aufgenommen und behandelt. Den Südafrikanern gegenüber haben wir klargemacht, dass er jetzt unter dem Schutz der Vereinten Nationen steht. Das waren etwas naive Vorstellungen von einem kleinen Schweizer, der das erste Mal unter UNO-Flagge glaubt: Wenn ich diese blaue Mütze trage, dann repräsentiere ich die Guten dieser Welt. Aber es hat funktioniert. Er hatte eine schwere Becken- und Beinverletzung, hätte beinahe das Bein verloren. Doch da wir das rechtzeitig operieren konnten, läuft der Mann heute sicher ohne irgendwelche Beschwerden herum.
Ist es nicht ein traumatisches Erlebnis, wenn man in einem Kriegsgebiet Schwerverletzte operieren muss?
Nein, Namibia war für mich kein traumatisches Erlebnis. Wissen Sie, als Unfallchirurg – ich habe ja in einem großen Universitätsklinikum als Emergency Doctor gearbeitet – ist das eigentlich dasselbe wie zu Hause, nur dass rundherum Palmen sind, Giraffen vorbeimarschieren und geschossen wird. Als Unfallchirurg sind Sie ziemlich abgehärtet.
Gab es nie schockierende Erlebnisse?
Der Horror kam für mich erst später. Es war ein Schock, als ich 1989 nach Ruanda kam und um mich herum die Menschen einfach abgeschlachtet wurden. Das war eine ganz andere Situation. Namibia war für mich ein geordneter Krieg, da gab‘s ganz klare Regeln und Richtlinien, die mehr oder weniger beachtet wurden. In Ruanda war die Hölle los. Da galt nur das Recht des Stärkeren.
Ruanda war ja vor allem ein ethnischer Konflikt zwischen Hutus und Tutsis. Menschen, die jahrzehntelang freundschaftlich nebeneinander gelebt hatten, haben sich plötzlich niedergemetzelt. Hatten Sie Angst?
Wirkliche Angst hatte ich in den ganzen 25 Jahren nicht, obwohl ich unzählige Situationen erlebt habe, in denen man sogar Exekutionskommandos vor mir und meinen Leuten aufgestellt hat. Man hat mich aus Fahrzeugen gezerrt und mir eine Waffe an den Kopf gehalten. Lauter solche Dinge sind passiert. Aber Angst hatte ich eigentlich nie. Es würde auch nichts ändern. Wenn Sie als Chef einer Gruppe unterwegs sind, ist die größte Sorge in solchen Situationen: Was passiert jetzt mit meinen Leuten? Glauben Sie mir, dann tritt etwas ein, da nimmt man sich selber total zurück. Wenn Sie das nicht können und Ihre Gefühle nicht beherrschen, dann haben Sie nichts in solcher Mission zu suchen. Natürlich, wenn Sie in Ruanda sehen, wie die Menschen um Sie herum abgeschlachtet werden, fragen Sie sich: Wann sind wir dran?