Sehen Sie eine Lösung für die derzeitige Flüchtlingsproblematik in Europa?
Das größte Problem, das wir Ärzte in vielen Regionen haben, ist die Sicherheit – unsere, aber auch die unserer Patienten. Ich habe nicht so viel Angst um mich selber und um mein Team. Ich habe viel mehr Sorge um meine Patienten, verwundete Frauen und Kindern. Wenn ich für die Lösung des Flüchtlingsproblems verantwortlich gewesen wäre, hätte ich den Versuch gemacht, ein großes Flüchtlingslager an der Grenze im Libanon, in Jordanien zu bilden – und zwar durch Militär geschützt, wo sie alle Menschen, die auf der Flucht sind, auffangen. Die meisten Flüchtlingslager sind ja nicht geschützt. Da gehen alle mit Waffen rein, da werden neue Kämpfer rekrutiert. Solche Dinge dürfen Sie überhaupt nicht zulassen. Sie müssen den Flüchtlingen sagen: Die einzige Chance, die sie haben, einmal nach Amerika oder Europa auswandern zu können, geht nur über dieses Lager. Wenn sie sich hier registrieren lassen, wenn man hier einen Background-Check von jedem machen und die üblen Burschen von den anständigen Menschen trennen kann, dann haben sie eine Chance, eine neue Existenz in einem anderen Land aufzubauen. Es ist peinlich, wenn diese Menschen zu Tausenden vor unseren Landesgrenzen stehen und wir Zäune hochziehen. Das ist ein deutliches Bild des Versagens. Wir Ärzte sind Praktiker. Ich hätte die Menschen lieber in solchen Lagern aufgefangen und sie von dort ganz kontrolliert in die Schweiz, nach Deutschland, nach Österreich und in andere Länder gebracht, als dass diese armen Menschen irgendwo im Meer ertrinken und das Elend immer größere Ausmaße annimmt. Jeder, der sich vorstellt, dass so etwas ohne eine bewaffnete Autorität durchzuführen ist, der hat keine Ahnung, was Krieg bedeutet, und wie das Umfeld in diesem Bereich ist. Das Umfeld sind bewaffnete Rebellen, Paramilitärs, Banditen und Ganoven – die beherrschen heute die ganze Situation in diesen Regionen.
Sie waren in Ruanda, in Nigeria, Bosnien, Afghanistan. Wird man in all dem Leid zum Agnostiker, zum Atheisten? Oder beginnt man zu glauben?
Der einzige Glaube ist der an die Menschen, die ich bei diesen Missionen treffe und die mir die Kraft und den Mut geben weiterzumachen. Das sind mehr, als Sie denken – Gott sei Dank. Wir können uns nicht einfach blind stellen, den Fernseher abschalten und sagen: „Das geht mich nichts an.“ Wir machen das nicht, damit wir etwas zurückbekommen, sondern wir machen das einfach, weil es verdammt noch mal unsere Aufgabe ist. Als Mediziner, als Mensch.
Ruanda hat seine Spuren hinterlassen. Sie können nach all dem Leid nie wieder unschuldig in ihre heile Welt zurückkehren.
Sind Sie ein spiritueller Mensch?
Ich war nie ein spiritueller Mensch, doch ich glaube, im Alter werde ich es langsam. Ich frage mich auch: Was kommt danach? Ich habe in den letzten Jahren buddhistische Züge angenommen. Ich lebe mein Leben so, als wenn es nicht das letzte wäre, aber auch so, dass ich mein Leben abschließen kann, falls es kein nächstes Leben gibt.
Was macht einen guten plastischen Chirurgen aus?
Interesse an seinem Beruf. Und er muss seine Patienten lieben, aber auch ein gutes ästhetisches Empfinden haben, eine künstlerische Begabung. Das ist die einzige medizinische Fachrichtung, in der Sie eine Affinität zu Kunst oder Ästhetik haben müssen. Wenn nicht, werden Sie in unserem Beruf jämmerlich scheitern. Sie brauchen auch ein gutes Auge, eine gute Hand – wie ein Bildhauer oder Maler. Das können Sie nicht lernen. Das müssen Sie schon mit sich bringen.
Wollten Sie immer plastischer Chirurg werden?
Ich wollte Hirnchirurg werden und habe anfangs auf der Verbrennungsstation in Zürich gearbeitet. Es hat mich fasziniert, wie plastische Chirurgen Menschen wieder ein Gesicht zurückgegeben haben und damit menschliche Würde. Dann kam mein Aufenthalt beim besten Schönheitschirurgen der Welt, Prof. Pitanguy in Brasilien. Es haben sich etwa 600 bei ihm beworben, die waren beim selben Aufnahmegespräch wie ich. Er hatte einen Vortrag von mir in Paris bei einer Konferenz gehört, sprach mich an und sagte, ich solle ihn doch mal in Brasilien besuchen kommen. Ich wusste nicht, dass das gleich eine Einladung für den Bewerbungstag ist. Wir wurden dann zwei Tage lang getestet. Am Schluss habe ich zu fünf Ausländern gehört, die unter diesen zehn Ärzten ausgebildet wurden.
Was hat Sie Professor Pitanguy gelehrt?
Die Liebe zum Beruf und zu den Menschen. Er war wirklich ein Künstler, der Michelangelo unter den plastischen Chirurgen. Ich war gerade im dritten Jahr, als ich gefragt habe, ob er mich für vier Monate nach Ruanda gehen lässt. Er sagte: Das ist sehr gefährlich. Aber ich glaube, dass du das machen musst. Wir haben bis heute eine sehr gute, innige Beziehung. Ich war insgesamt vier Jahre bei ihm in Rio.
Wie definieren Sie Schönheit?
Sie liegt im Auge des Betrachters. Schönheit definiert sich in jedem Jahrhundert neu. Aber es gibt eine gewisse Schönheit, die, so lange wir zurückblicken können, immer noch gültig ist. Ich glaube, wir alle empfinden die Statuen der Römer und Griechen nach wie vor als sehr schön und ästhetisch. Man kann eine Mona Lisa nicht ausmessen und durch einen Algorithmus Schönheit produzieren.
Man kann eine Mona Lisa nicht ausmessen und durch einen Algorithmus Schönheit produzieren.
Gibt es Fälle, in denen Sie Patientinnen wegschicken?
Das kommt sehr häufig vor, sicher bei circa 15 bis 18 Prozent der Patienten. Entweder weil es nichts zu verbessern gibt oder der Patient das Verständnis für den Eingriff nicht hat.
Wie lange muss man bei Ihnen auf einen Termin warten?
Zwischen sechs und zwölf Wochen, manchmal kann es aber bis zu sechs Monate dauern.