Es war die Zeit der Stille, das sollte sie zumindest sein. Kontemplativ, reflektierend und nach innen gekehrt. Die letzte Zeit Revue passieren lassen, in sich gehen, darüber nachdenken, was man besser hätte machen können. Dankbar sein für das Gute, das einem widerfahren ist, sich mit den Menschen verbinden, die einem wichtig sind, und eine Intention für das ganze Jahr setzen. Theoretisch ist das ein guter Plan. Praktisch unmöglich.
Wir rennen. Wir rennen, um den perfekten Urlaub zu inszenieren. Wir rennen, um uns selbst und dem Rest der Welt vorzumachen, dass wir wichtig sind, weil wir ja so beschäftigt sind. Wir rennen vorbei am Leben.
Unser Leben, das auf diese Art oberflächlich an uns vorbeizieht, weil wir in unseren Gedanken immer im Gestern und im Morgen sind und nie im Moment. Meist auch während unserer Begegnungen.
Wie viel Wert aber hat eine Begegnung, die dich spüren lässt, dass dein Gegenüber im Kopf in seiner To-do-Liste steckt, das Smartphone anscheinend Wichtigeres zu bieten hat und der Kalender schon zum nächsten Termin drängt?
Wir oft sind wir wirklich da? In diesem Moment präsent. Mit offenen Augen und Ohren, mit offenen Armen, einer offenen, inneren Haltung und einem offenen Herzen.
Hören wir wirklich zu, was der andere sagt, oder warten wir nur auf den Moment, der uns die Chance gibt einzuharken, um unsere Story loszuwerden? Um zu erzählen, was wir nicht alles wieder geleistet haben, wie toll sich unsere Karriere entwickelt, wie gut die Kinder in der Schule sind, wie großartig das neue Auto ist, das letzte Date war oder wie viel der letzte Deal gebracht hat.
Warum begegnen wir uns im ständigen Wettkampf? Warum wollen wir wichtig sein? Sind wir sonst nichts wert, werden wir nicht anerkannt von der Gesellschaft und in letzter Konsequenz auch von uns selbst? Werden wir nur geliebt, wenn wir leisten?
Dieser Glaubenssatz hat sich schon in frühester Kindheit unterbewusst in uns eingebrannt. Das Gefühl, nichts wert zu sein, wenn wir nichts leisten.
Bedingungslos zuhören. Vielleicht aber entsteht dieses Gefühl auch, weil sich einfach niemand mehr Zeit nimmt, wirklich zuzuhören. Wäre es nicht schön, wenn es nichts Wichtigeres, Spannenderes und Interessanteres gäbe, als bedingungslos zuzuhören. Einfach nur da zu sein, in voller Aufmerksamkeit und aufrichtiger Präsenz. Dem Gegenüber durch diese einfache, aber bedeutungsvolle Geste der Liebe so viel Wertschätzung zu geben, dass sich sein Herz öffnet. Ihm einfach nur zeigen, dass es wichtig ist.
Leider aber sind wir zu abgelenkt. Wir ertragen die Stille nicht mehr. Wir sind es nicht mehr gewöhnt, dass zuhause kein Radio läuft, der Fernseher rennt oder die Freunde nicht zumindest via Instagram mit dabei sind, wenn das Essen auf den Tisch kommt. Show your perfect life, vielleicht glaubst du es dann auch selber.
Es geht darum zu zeigen, was man hat und wer man ist.
Aber wer bist du denn eigentlich, wenn all das, was dich in der Gesellschaft definiert, wegfällt? Wenn all das, was du dir über die Jahre als deine Persona aufgebaut hast, um in der Öffentlichkeit zu strahlen, bröckelt?
Was bleibt übrig von dir?
Wer bist du?
Wer bist du wirklich?
Was ist deine Essenz?
Und was willst du wirklich?
Willst du das, was du willst, nur weil du gelten willst, um wichtig zu sein, weil du dich nach Anerkennung sehnst, um zu gefallen, weil dir deine soziale, deine familiäre oder deine religiöse Konditionierung unterbewusst vorgibt, wie du zu sein hast? Oder willst DU das, was du scheinbar willst, wirklich?
Würde dich die Geliebte noch begehren, wenn dein Geld weg ist? Würde dich der Typ noch wollen, wenn der Busen hängt? Wären die Freunde noch da, wenn es ans Eingemachte geht und du nicht mehr zu den Wichtigen gehörst? Wer ist noch an deiner Seite, wenn der Job weg ist und der soziale Status wankt?
Wie viel ist noch übrig?
Wer also bist du?
Was sagt dir dein Herz?
Um das herauszufinden, brauchst du Stille. Die Stille im Kopf. Die Gedanken pausieren, die dich ununterbrochen aus dem Moment holen.
Nur dann kannst du die Essenz spüren, die tief in dir vergraben liegt.
Ruhe, Stille, Meditation, Sein. Durch unsere Gedanken sind wir ständig im Morgen oder im Gestern, so gut wie nie aber im Moment.
Kaum in Präsenz, kaum wirklich da, kaum je bei uns.
Der Moment ist aber das einzig Wahre, das einzig Wahrhaftige. Was macht es für einen Sinn, ständig im Morgen und im Gestern zu sein und dabei den Moment nicht zu leben? Der Moment ist die einzige Wahrheit, die uns bleibt, alles andere ist Illusion.
Wie kann ich mir Sorgen machen, wenn ich sowieso nicht weiß, was morgen ist, warum quält mich die Vergangenheit, wenn ich sie sowieso nicht ändern kann? Es sind ausschließlich unsere Gedanken.
Wahr ist nur der Augenblick. Diese Augenblicke, in Präsenz, diese Zuwendung in voller Aufmerksamkeit, ist das Wertvollste, was wir in unserem Leben haben.
Es sind die Momente, die uns die Möglichkeit geben, unsere Liebe zu zeigen, in Liebe zu agieren, für einander da zu sein, mit einem offenen Herzen. Und das ist das schönste Geschenk. Kostbar und noch dazu kostenlos.
Ela Euler-Rolle ist Journalistin, OOOM-Autorin und ausgebildeter Holistic Health-Coach.