Was Sie sagen, wird Chip Kidd nicht freuen. Stehen wir wirklich dem Ende des Buches gegenüber?
Kidd: Ich bestreite das vehement. Milton, du veröffentlichst selbst Hardcover-Bücher deiner Arbeiten – und ich finde das großartig, das sollst du auch, – argumentierst aber ernsthaft gegen das Buch? Was ist, wenn ich es nochmals lesen will? Was passiert, wenn ich es jedes Jahr lesen will?
Glaser: Dann kannst du es nicht mehr. (lacht)
Kidd: Ich kann dem nicht zustimmen. Was du sagst, klingt mehr und mehr überheblich. Bücher sind Dokumente unserer Existenz hier auf der Erde. Natürlich haben wir heute Videos, das Internet, elektronische Information. Aber man kann Bücher nicht mit einem Schalter einfach abdrehen. Zum Glück.
Chip, Sie haben über 1.000 Buchcover entworfen, von Murakami bis Crichton. Stefan, Sie haben legendäre Albencover von den Rolling Stones, Lou Reed bis zu David Byrne designt. Kaufen Ihrer Meinung nach Menschen ein Album oder ein Buch wegen des Covers? Beeinflusst das den Kaufprozess?
Sagmeister: Was Albencover betrifft, so hat Paula viel, viel mehr als ich designt. Wenn Sie in das größte Plattengeschäft in New York, Rough Trade in Brooklyn, gehen, die nur Vinylplatten verkaufen, so werden Sie niemanden dort finden, der schon Schallplatten kaufte, als Vinyl seine erste Hochzeit erlebte. Die Käufer dort sind alle in ihren Zwanzigern, die waren damals noch nicht einmal auf der Welt. Viele von ihnen kaufen die Platten wegen des Covers, und etliche werden die Musik digital von der Platte downloaden und das Cover als Artefakt aufheben. Das ist heute ein anderes Publikum, ein viel kleineres als früher, kein Massenpublikum.
Scher: Ich bin von der Entwicklung schockiert, denn viele Alben, die ich designt und schon längst wieder vergessen habe, wurden zu neuem Leben erweckt. Es ist seltsam. Menschen, die ich nicht kenne, senden mir über Instagram Bilder, wie sie mich in Schallplattenläden gefunden haben. Da ist eine regelrechte Jagd im Gange. Ich habe meine ganzen Platten, die ich designt habe, schon vor langer Zeit im Müll entsorgt. Stefan hat recht, das sind Kinder und junge Menschen in den Zwanzigern. Sie lieben die runde Form der Platte. Da ist eine ganz spezielle Verbindung, die man bei digitaler Musik vermisst: Die Musik zu hören und gleichzeitig das Albumcover in der Hand zu halten. Sagmeister: Musikvideos! Ich dachte mir immer schon, das ist einfach zu viel. Du hörst ein Lied zum ersten Mal, siehst das Video und wirst immer nur das dumme Video in deinem Kopf haben. Ich will aber nicht an das Video denken, sondern an die Musik. Da ist das Cover perfekt. Du siehst, wie die Band aussieht, bekommst ein Gefühl, aber nicht mehr. Der Rest ist Fantasie, wenn du die Musik anhörst.
Kidd: Das Kino im Kopf. Das Publikum schafft sich die Wirklichkeit selbst. Das ist die Art, wie Radio funktioniert und warum Radio noch immer existiert. Du stellst dir die Künstler, die die Musik machen, im Kopf vor.
Scher: Du nutzt eine Kunstform, um eine andere Kunstform zu verpacken. Ein einzigartiges Erlebnis.
Sagmeister: Und was es beinhaltet, ist höchst emotional und nicht sichtbar. Wir machen es sichtbar. Das ist der Grund, warum ich heute wie früher überzeugt bin, dass ein Albumcover immer das bessere Medium ist im Vergleich zum Filmplakat. Das Filmplakat verpackt etwas, das bereits sichtbar und visuell ist, es ist auch werblicher. Mit einem Filmplakat reduzierst du ein unglaubliches visuelles Erlebnis auf ein einziges Bild. So etwas zu entwerfen, ist eine viel langweiligere Aufgabe, als etwas nicht-visuelles sichtbar zu machen.
Lassen Sie uns über den kreativen Prozess sprechen. Was bedarf es, um eine Markenidentität oder ein Logo zu entwickeln? Zeichnet eine exzellente Idee aus, dass sie spontan entsteht oder sitzen Sie manchmal wochenlang?
Glaser: Es geht immer darum: Zu welchem Zweck? Manchmal haben Sie eine brillante Idee, um ein Produkt zu verkaufen, aber es schadet der Person, die es verwendet. Weil unsere Wirtschaft eine kapitalistische Gesellschaft ist, aufgebaut auf permanentem Konsum, und die Menschen deshalb laufend kaufen und konsumieren. Wir arbeiten in einer Struktur, die wir nicht bewundern, die schädlich ist, aber welche Wahl haben wir? Die Frage ist daher nicht: Woher kommt die Idee? Sie sollte vielmehr sein: Was ist der endgültige Zweck der Idee? Wer profitiert davon? Ich denke, man kann nicht in dieser Branche tätig sein,
ohne sich diese Frage zu stellen. Und wenn man dieser Logik folgt, wer davon profitiert, endest du oft bei jenem Widerspruch, der es verdammt schwer macht daran zu arbeiten, ohne diese Frage zu stellen, bevor du damit beginnst.
Stimmen Sie dem zu, Jan?
Wilker: Oh ja, ich denke, wir alle kommen immer wieder an den Punkt, wo wir hinterfragen, was wir machen und warum. Zu Ihrer ursprünglichen Frage nach dem kreativen Prozess: Für mich ist er die meiste Zeit harte Arbeit. Es ist nicht so, dass es einfacher wird, je länger man daran arbeitet. Zumindest für mich ist das so. Ich brauche für meine Ideen Zeit.
Sagmeister: Ich denke, jeder von uns hat über die Jahre einige Tricks entwickelt, um aus einem Loch zu kommen. Wenn kein Einfall kommen mag, man keine Idee hat, hat jeder von uns eine Anzahl von Strategien, um aus dem Nichts ein Etwas zu machen.
Scher: Wenn du an Projekten arbeitest, die sich wiederholen, wirst du oberflächlich. Das ist sehr gefährlich, denn das heißt auch, dass deine Arbeit beginnt oberflächlich zu werden. Um daraus auszubrechen, benötigst du einen Neustart.
Kidd: Wenn du nicht aufpasst, wirst du zu Sting. Wenn du vergleichst, was The Police früher gemacht hat und was Sting heute macht – das ist ein großer Unterschied.
Waren Sie jemals in der Situation, dass Sie ein Kunden-Meeting hatten und keine Idee?
Scher: Ständig. Ich merke mir manchmal nicht einmal den Namen des Kunden.