Wir mussten vor Kurzem einen Terroranschlag eines IS-Sympathisanten in Österreich erleben, der vier Menschen getötet und mehr als 20 verletzt hat – mitten im Herzen von Wien. Er war erst 20 Jahre alt und ist in Österreich geboren und aufgewachsen. Von wissenschaftlicher Perspektive aus: Was bringt Menschen aus unserer Gesellschaft dazu, zu terroristischen Mördern zu werden?
Wir werden geboren und wollen wirkliche Verbindungen mit anderen Menschen eingehen und Teil ihres Lebens sein. Wir wollen schon früh Mitgefühl zeigen. In den USA hat jemand Menschen erschossen, die gerade in eine Kirche gehen wollten. Wir müssen uns fragen, warum? Diese Situationen, wo Fremde fremde Menschen töten, zeigen im Grunde genommen die andere Seite meiner Studien. Wir haben einen historischen Stand von Ungleichheit in der Welt. Wenn ein Mensch am Rande der Gesellschaft sieht, wie es anderen so gut geht, wie andere Unmengen besitzen, wird er wütend werden, oder? Wir dürfen nicht vergessen, dass wir viel Machtmissbrauch haben. Die USA haben unter der Präsidentschaft von George Bush und George W. Bush den Mittleren Osten bombardiert – ohne gerechten Grund. Das war ein illegaler Krieg. Auch unter Obama hatten wir Drohnen, die über diese Länder geflogen sind und Menschen getötet haben. Wenn Menschen mit Ehrgefühl erzogen werden, weil sie Teil einer Gemeinschaft sind und dann sehen sie, wie mächtige Strukturen diese Gemeinschaft angreifen und zerstören – was genau so passiert ist –, werden manche das nicht vergeben und einige werden wütend deshalb werden. Und dann gibt es die neuen Technologien, wie Chatrooms, digitale Verbindungen und Bewegungen, die isolierte Individuen mächtiger machen. Dem müssen wir uns stellen, es ist ein tragischer Teil unseres Lebens.
Sie haben für Facebook an verschiedenen Projekten gearbeitet. Welche Rolle spielen soziale Medien in diesen Situationen?
Bei Facebook habe ich zwischen 2010 und 2016 gearbeitet und damals haben wir eine Menge Werkzeuge zu Mitgefühl in das Design von Facebook eingearbeitet: um Menschen beizubringen zu vergeben, freizulassen und Empathie zu empfinden. Innerhalb dieser Zeit hatten wir Beweise dafür, dass es funktioniert hat. Es hat dabei geholfen, Mobbing zu reduzieren. Sehr viele Streite brechen auf Facebook aus. Ich sehe das leider als eines meiner großen Versäumnisse in meiner Karriere an, dass Facebook die Arbeit dazu eingestellt hat. Ich habe 2016 aufgehört, daran zu arbeiten, und jetzt haben sie keine Werkzeuge, die den Menschen dabei helfen, mit Konflikten umzugehen. Aber Technologie bewirkt trotzdem viel Gutes. Mit Spotify, SoundCloud oder Pinterest können Menschen die Kunst von anderen kostenlos genießen. Wir können dort obskure Kunst finden, oder von Teenagern, die Zeichnungen machen. Wir haben Zugriff zu mehr Wissen als jemals vorher, aber wir müssen auch mit diesen politischen Echokammern lernen umzugehen. Es gibt da eine wirklich spannende Sache, die ich bei Facebook immer schon hervorgehoben habe: Unsere Kultur, wenn wir uns Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, ist eine andere als online. Wenn jemand im Job mobbt oder belästigt, tun wir etwas gegen dieses Verhalten. Wir schließen die Täter von Dingen aus oder wir reden mit ihnen darüber. Das tun wir auf digitalen Plattformen nicht. Da kann jeder sagen, was er will. Trump kann da sagen, was er will. Es wird jetzt erst damit angefangen, das zu regulieren.
Bei Facebook haben wir Werkzeuge zu Mitgefühl ins Design eingearbeitet, um Menschen beizubringen, Empathie zu empfinden.
In Ihrem Buch „The Power Paradox“ beschreiben Sie, wie Macht die Mechanismen von Mitgefühl ausschaltet. Was passiert da mit uns?
Es ist tiefgreifend. Als wir angefangen haben, über Macht zu forschen – das war schon vor 30 Jahren – wurden Tausende Studien dazu gemacht. Psychologen hatten aber nicht viel über Macht nachgedacht, denn sie dachten, das sei wichtiger für politische oder wirtschaftliche Studien. Aber in menschlichen Beziehungen gibt es sehr viele Macht-Dynamiken. Wie uns feministische Gelehrte schon immer darauf hingewiesen haben: Macht ist alles. Und daran wollten wir forschen: Hat Macht Einfluss auf unser tägliches Leben? Nicht nur auf Kriege und die Geschichtsschreibung oder Geld, sondern beeinflusst sie auch meine Freundschaften oder die Beziehung zu meinem Kind? Die Ergebnisse sind tiefgreifend. Macht bringt uns dazu, die geistigen Verfassungen anderer Menschen schlechter wahrzunehmen. Wir können ihre Emotionen nicht mehr so gut wahrnehmen, wir hören ihre Stimmen weniger deutlich, wir schauen nicht mehr ordentlich in ihre Gesichter, also verlieren wir den Sinn für andere Menschen und die anderen werden nur noch Mittel zu unserer Wunscherfüllung.
Können Menschen aber Macht nicht auch auf eine gute Art nutzen? Zum Beispiel Film- oder Rock-Stars?
Ja, klar kann man Macht für Gutes einsetzen. Greta Thunberg ist eine der mächtigsten Menschen zurzeit und sie ist erst 17. Ein Grund, warum Menschen Macht unterschiedlich einsetzen, ist, dass wir alle Individuen sind. Der Dalai-Lama hat schon früh in seinem Leben Freundlichkeit kultiviert und er benutzt seine Macht für ein größeres Wohl. Ich arbeite sehr viel in Krankenhäusern und Ärzte wollen Leben retten und ihre Macht für Gutes einsetzen. Es gibt also eine Menge Gründe, warum Macht unterschiedlich eingesetzt wird.
Unsere Kultur, wenn wir uns Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, ist eine andere als online.
Sie führten an der Universität Berkeley eine Studie durch, die nachwies, dass Menschen in teuren Autos weniger bis gar nicht anhielten, wenn andere über die Straße gehen wollten.
Ja, diese Studie sollte die Frage beantworten: Glaube ich, dass Gesetze für mich nicht gelten, wenn ich Privilegien habe? Und wir konnten das belegen mit verschiedenen Studien. Ich lebe in den Vereinigten Staaten und das ist ein junges Land. Wir hatten keine Französische Revolution oder keine britische, keinen Untergang von Staaten. Die wirkliche Korruption passiert in Machtpositionen ganz oben. Ich glaube, die Familie Trump ähnelt ironischerweise dem französischen Hof zu Zeiten von Marie Antoinette. Ich mache mir mehr Sorgen über Privilegien als über Macht. Privilegien in den USA bedeuten, dass du aus der Schule fliegen kannst und jede finanzielle Vereinbarung, die du je gemacht hast, brechen kannst, du kannst ein historisch schlechter Geschäftsmann sein und trotzdem Präsident werden.
Eine der Strukturen in unserem Körper, die besonders geeignet zu sein scheint, um Altruismus zu entwickeln, ist der Vagusnerv, wie Ihr Team an der U.C. Berkeley herausgefunden hat. Können Sie darüber mehr erzählen?
Das ist so fantastisch! Ich habe die menschlichen Emotionen 25 Jahre lang studiert und dabei haben wir eine Menge über den Flucht- oder Kampfmechanismus – flight or fight – gelernt, über Blutdruck, Herzschlag, Cortisol, das Stresshormon, schwitzende Handflächen – das alles ist Emotion. Aber erst als wir Dinge wie Schönheit und Mitgefühl erforscht haben, habe ich fast täglich ein warmes Gefühl in meiner Brust gespürt oder ich hatte Tränen in den Augen. Ich habe mich so ehrfürchtig gefühlt. Der Vagusnerv sitzt im Rückenmark, ist verbunden mit den Muskeln, die das Gesicht bewegen, und im Rachen, er hilft dabei, Menschen anzuschauen, geht unter dem Herzen hindurch, ist mit dem Pulsschlag verbunden, dem Atem, er geht bis in den Bauch, zu den Verdauungsorganen usw. Der Physiologe Stephen Porges hat gesagt, dass er der Säugetiernerv für Liebe und Zuneigung ist. Wir sind dazu geboren, gut zu sein, denn ein Teil unseres Nervensystems hat die Strukturen dazu. Es ist der größte Zusammenschluss von Nerven in unserem menschlichen Nervensystem. Seine Aktivität kann gemessen werden, wenn man sich anschaut, wie Puls und Atmung zusammenarbeiten. Mitgefühl zu empfinden, stimuliert den Vagusnerv, das tut es wirklich. Bist du ein Mensch, der anderen viel gibt, aktivierst du oft den Vagusnerv. Und andere Studien zeigen: Wenn du einen Vagusnerv hast, der aktiv ist und auf Reize gut reagiert, bist du gesünder, du gehst mit Traumata besser um, hast stärkere Beziehungen und ein besseres Immunsystem.