Cornelius Obonya ist ein dynamischer Fahrer. Das merkt man schon, wenn er in die schwarze DS 9-Limousine vor dem Schloss Leopoldskron einsteigt. Routiniert setzt er zurück und saust durch das geöffnete schmiedeeiserne Tor zur Leopoldskroner Allee. Erste Station: Schloss Hellbrunn. Ein Lustschloss der Fürsterzbischöfe wie Markus Sittikus. „Er wollte einen Ort erschaffen, den es so noch nicht gegeben hat“, weiß Obonya. Der DS 9 gleitet durch die engen Gassen Salzburgs.
Sie waren von 2013 bis 2016 ein legendärer Jedermann am Salzburger Domplatz. Welche Erinnerung haben Sie an Salzburg?
Die Bühne war damals die alte „Jedermann“-Bühne von Max Reinhardt, die wieder aufgebaut wurde. Ich spielte mit dem Hintergrund der berühmten vier Figuren, die vor dem Dom stehen. Mehr hat das Ganze nicht gebraucht.
Ihr Großvater, Attila Hörbiger, spielte zwischen 1935 und 1951 achtmal den Jedermann. Waren Sie überrascht, als Ihnen diese Rolle angeboten wurde?
Ich habe es mir durchaus gedacht, denn es gab schon Vorgespräche. Aber als ich die Rolle dann wirklich hatte, war das schon ein kleiner Schock, weil man es bis zuletzt eigentlich nicht denkt. Dann ist das sehr, sehr schön, wenn es so weit ist.
Geht eine Geschichte um den Tod und das Sterben ans Eingemachte?
Ja, es geht ans Eingemachte. Die Bedeutung der Rolle war mir absolut klar, weil ihr entkommst du als Schauspieler in Österreich nicht. Natürlich fragt man sich: Wer spielt das diesmal? Mein Vorgänger Maximilian Schell hat Aufzeichnungen zum „Jedermann“ und interessante Zeichnungen gemacht, er musste sich noch an das Reinhardt‘sche Gleichmaß halten. Nicht ein Nagel durfte verändert werden. Das waren alles Heiligtümer und deshalb auch ein wenig langweilig für ihn. Das war bei mir nicht so. Ich hatte wirklich vollkommene Freiheit.
Ich hatte die Idee, den ‘Jedermann’ vor dem Hintergrund der Wall Street zu spielen. Ich wäre wahnsinnig gerne damit nach New York gegangen.
Sie wollten den „Jedermann“ auch in New York aufführen.
Ich hatte die Idee, den „Jedermann“ vor dem Hintergrund der Wall Street zu spielen. Ich wäre wahnsinnig gerne damit nach New York gegangen. Aber das wären finanzielle Aufwände gewesen, die so nicht möglich waren. Im ersten Jahr in Salzburg war mir völlig klar, ich kann den Jedermann sowieso nur spielen, wie ich ihn fühle.
Der „Jedermann“ ist die Cashcow der Festspiele.
Die finanzielle Verantwortung war der größere Schock. Der „Jedermann“ ist das Rückgrat der Festspiele. Diese 16 Vorstellungen müssen rappelvoll sein, weil ein voller „Jedermann“ über die Saison bedeutet eine neue Oper im nächsten Jahr. Irgendwann denkt man sich: „Meine Fresse, hoffentlich haben sie mit mir den Richtigen geholt.“ Den Platz jedes Mal voll zu bekommen ist immer wieder eine Kunst.
Sie bekamen Standing Ovations.
Über vier Jahre hindurch, nicht nur bei der ersten Premiere. Da bist du fassungslos. Standing Ovations beim „Jedermann“ kannte ich nicht, gab es vorher nicht. Für mich war das ein Erlebnis, das ich mein Leben lang nicht vergessen werde.
Wir sind in Hellbrunn angekommen. Eine freundliche Mitarbeiterin wartet schon auf uns, führt uns durch die interaktive Ausstellung „SchauLust“, vom Museum bis zum überlebensgroßen Einhorn. Schließlich sind wir bei den Wasserspielen angelangt. Markus Sittikus ließ sie als manieristisches Spielzeug für große Kinder erbauen. Überall Fontänen, Grotten, wasserspeiende Skulpturen.
Schließlich der Fürstentisch. Obonya setzt sich wissend an den einzigen Platz, der trocken bleibt, als die Springbrunnen losgehen: den des Gastgebers.
Wir gehen zurück zum DS 9 und fahren weiter zum Domplatz.
Wie teuer ist das Leben in Salzburg?
Sehr teuer. Weil sich da vieles auch verselbstständigt hat. Die Festspiele bieten dir Wohnungen an, aber zahlen musst du sie als Schauspieler selbst. Im August steigen die Mieten nochmals an.
Dass der „Jedermann“ so eine Zugkraft haben wird, damit konnte wohl selbst Max Reinhardt nicht rechnen?
Der „Jedermann“ war für eine einzige Aufführungsserie 1920 geplant. Ich habe eine Kritik aus dem Jahr 1921 gelesen mit dem Schlusssatz: „Wenn die das jetzt ein drittes Jahr aufführen, dann werde ich ernstlich böse.“ Das 100 Jahre später zu lesen finde ich sehr amüsant. Es gab damals auch einen Antisemitismus. Lange, bevor Hitler aus den Löchern kroch, war das hier gang und gäbe, die jüdischen Künstlerinnen und Künstler zu kritisieren. Erstaunlich. Aber wenn man dann bedenkt, dass dieses finanzielle Rückgrat so massiv wird, und das über ein Jahrhundert, so hat das schon eine ziemliche Kraft.
Wenn man jeden Tag auf der Bühne sterben muss, beschäftigt das einen?
Natürlich. Aber auch auf das Publikum hat es eine eigene Wirkung. Das Stück spielt vor einer Kirche – das kommt ja nicht von ungefähr. Sie haben es bewusst davor gestellt. Du gehst in eine Art Messe, ohne eine Beichte ablegen zu müssen, denkst aber trotzdem darüber nach. Du beschäftigst dich mit dieser letzten Frage und kannst das bequem im Anzug oder Abendkleid tun und weißt, hinterher trinkst du noch ein Glas Sekt. Unsere Aufgabe auf der Bühne besteht darin, währenddessen einen Treffer in deinem Magen zu landen. Wenn da unten in den Reihen zwei, drei Taschentücher ausgepackt wurden am Schluss, dann hatten wir gewonnen.
Ihr Vater starb sehr früh, Sie waren damals neun Jahre alt. Was macht das mit einem Kind?
Es wirkt das ganze Leben lang nach, als dass man ihn beinahe täglich vermisst. Ich habe bis heute zu Hause ein Foto meines Vaters stehen, das schaue ich öfter an. Es ist wirklich ein Vermissen, speziell als mein eigener Sohn geboren wurde. Da habe ich mir irgendwie gedacht: Mein Gott, bis er neun ist, kann ich es noch ein bisschen spüren. Aber als er neun wurde, wusste ich: Ab jetzt bin ich im Blindflug. Ich konnte meinen Vater nie all das fragen, was ich ihn gerne gefragt hätte. Ich musste mir das Männerbild, das ich habe, von mir selber oder von anderen zurechtlegen. Ich habe mich an die Dinge gehalten, die ich als Erinnerung hatte oder als Erzählung von meiner Mutter. Aber Gott sei Dank durch meine Frau Carolin und meine mittlerweile 20-jährige Ehe habe ich noch ein paar andere Dinge über das Männersein kennengelernt, die sich vielleicht doch von diesem sehr konservativen Männerbild meines Vaters deutlich unterscheiden.
Geht Ihr Sohn Attila, der 18 Jahre alt wird, auch in eine künstlerische Richtung?
Wir werden sehen. Er wäre dann in indirekter Linie die fünfte Generation. Ich werde ihn in gar keine Richtung drängen, und schon gar nicht in meine.
Sie waren mit 17 Jahren am Reinhardt-Seminar, haben es aber schon nach einem Jahr geschmissen. Wieso?
Weil ich das Gefühl hatte, dass ich da nichts lerne. Es gibt Menschen, für die das „Learning by doing“ das Allerbeste ist, was ihnen passieren kann. Das wusste ich damals natürlich noch nicht. Heute weiß ich es. Ich habe die Schule nicht gemocht. Und ich mochte auch das Seminar nicht, vor allem den theoretischen Teil.
Wir sind in der Altstadt angekommen. Wir parken den DS 9 und gehen zum Domplatz, wo gerade die letzten Aufbauarbeiten stattfinden. Ein Arbeiter mit Helm erkennt und begrüßt ihn per du. Er lässt uns hinter die Absperrung, Cornelius Obonya setzt sich in eine der ersten Reihen, Platz 77.
Welcher Regisseur hat Sie am meisten geprägt?
Zweifelsohne Andrea Breth. Einfach von der Textarbeit her. Da habe ich Dinge gelernt, die waren überhaupt das A und O, was an einer Schauspielschule gelehrt werden sollte. Insgesamt habe ich 15 Jahre mit ihr gearbeitet, lange auch am Burgtheater. Sie zeigte uns, was eine wirklich exzellente Vorbereitung bedeutet. Sie kannte jedes Stück, was auch immer das war, in- und auswendig. Und egal ob Komödie oder Drama, es wurde genauso ernst genommen. Dann die Textbehandlung: Warum steht wo in einem Satz eines Dichters ein Komma, ein Strichpunkt, ein Doppelpunkt, ein Gedankenstrich? Warum schreibt er das nicht woanders? Warum sind in gewissen Szenen bestimmte Figuren vorhanden und andere nicht? All das macht dann einen Theaterabend im Bestfall so spannend, wie eben diese Inszenierungen von ihr waren. Diese Art von Textstückbehandlung ist die große Kunst Andrea Breths, das ist, was ich von ihr gelernt habe.
Sie sind jetzt Mitte 50. Haben Sie einen Lebenswunsch, den Sie sich erfüllen möchten?
Ich würde gerne wieder, wie sich das vor Corona angelassen hat, den Anschluss an die Oper finden und mit meiner Frau Opernregie machen, weil mir das einfach unendliche Freude bereitet. Das ist Neuland für mich. Ich bin der Zauberlehrling, meine Frau ist der wirkliche Profi. Carolin hat mich am Burgtheater inszeniert, als wir beide dort waren. Wir haben an anderen Theatern miteinander gearbeitet und dann jetzt eben beidseitig in der Regie. Und das funktioniert auch gut zwischen uns. Das Zweite ist: Ich würde wahnsinnig gerne noch mal einen richtig schönen Hollywood-Film drehen, da ich die Sprache auch beherrsche.
Christoph Waltz ist ein Paradebeispiel dafür, dass man in jedem Lebensalter noch eine Hollywood-Karriere machen kann. Kochen die Amerikaner auch nur mit Wasser?
Ja, es ist schlicht und ergreifend so. Und sie haben viel größere Budgets. Obwohl man das jetzt auch nicht mehr sagen kann, weil durch Netflix & Co. ist Geld einigermaßen vorhanden. Die Leute werden immer gerne unterhalten. Ich werde immer gerne Theater und Film machen. Im Moment ist es mehr Film, weil ich mich da aufgehobener fühle und mehr Geschichten erzählen kann. Das andauernde Kunstgedöns ist mir dann auch ein bisschen zu viel.
Sowohl Oliver Hirschbiegel als auch Stefan Ruzowitzky sagen, dass es noch nie in der Geschichte so viel Arbeit für Regisseure, Schauspieler und Crews gab wie jetzt, weil einfach durch die Streaming-Dienste so viel gedreht wird. Gleichzeitig sind seit #MeToo die Regeln so streng wie nie zuvor. Verträge mit hundert Seiten sind keine Seltenheit mehr.
Ich kenne solche Verträge. Das größere Problem ist, dass du vielleicht zwei Drehtage hast und sie dich zwei Monate blockieren und du nichts anderes annehmen kannst. Nur, ich sage es ganz offen: Die Gagen sind dann auch danach, dass du zwei Monate blockiert sein kannst. Das heißt, das muss man sich ja auch leisten können. Die Leute haben Familie, Schulden, Häuser wie jeder andere auch. Wir freie Künstler sind gerade, was unsere Versicherungszeiten und spätere Rente betrifft, zur Überraschung aller am relativ unteren Ende der Leiter. Da ist eine gewisse Schieflage gegeben, speziell für Freischaffende ist das ein Problem.
Ist das in anderen Ländern wie den USA besser?
Das Korsett ist eines, das Hollywood schon länger kennt. Du bist ein Produkt. Und du unterstützt ein Produkt. Das klingt immer so toll: Da hast du dann deinen eigenen Wohnwagen und einen Assistenten, der nur für dich da ist. Das hat ja einen ganz bestimmten Grund, und es hat niemand Geringerer als der große Kollege Michael Caine in einem Buch beschrieben: Du hast selbstverständlich deine Freiheiten. Aber alle Leute, die dir etwas Gutes tun, sind dazu ausgebildet, dich zu schützen und bei Laune zu halten, damit du vor der Kamera Höchstleistungen erbringen kannst. Deswegen kommt, und ich habe das wirklich erlebt, alle zehn Minuten ein Assistent und fragt, ob du nicht doch einen Kaffee, ein Glas Wasser, ein Handtuch oder einen Polster brauchst. Es unterstützt das Produkt, denn du bist in der Kamera zu sehen und dir muss es gut gehen. Du bekommst dafür dein Geld. Das ist manchmal nicht wenig, manchmal sehr, sehr wenig. Das kommt auf die Produktion an. Und wir haben alle schon gedreht für Nüsse, einfach weil wir das Projekt gut fanden, und wir haben einen absoluten Holler abgedreht, wofür wir unendlich viel Geld bekommen haben. Ich könnte jeden Knebelvertrag sofort unterschreiben, weil ich darf sagen: Ich habe mir nie was zuschulden kommen lassen. Aber es gibt ein paar Kollegen, denen tun solche Verträge ganz gut.
Wir gehen zurück zum DS 9 und fahren als letzte Station auf den Mönchsberg mit seinem fantastischen Ausblick auf die Stadt.
Wir waren in Hellbrunn, am Domplatz, jetzt sind wir gleich am Mönchsberg. Was sind noch Ihre Plätze in Salzburg?
Ich war immer gerne auf der Festung. Heute ist mir das alles viel zu touristisch. Ein zweiter Ort ist der Sebastians-Friedhof, wo Mozarts Ehefrau Constanze begraben liegt. Ich mag auch das Café Basar sehr gern. Und wer einmal eine Premierenfeier beim Krimpelstätter erlebt hat, wird sie nicht vergessen.