Viele junge Leute haben den Traum, Schauspieler zu werden. Aber wieviel Kraft und Arbeit dahinter stecken, unterschätzen die meisten. Ich studiere jetzt seit eineinhalb Jahren Schauspiel an der Schauspielschule Krauss in der Wiener Weihburggasse, die in dritter Generation von Michaela Krauss-Boneau geleitet wird. Es ist eine legendäre Schule, aus der große Schauspieler hervorgingen, darunter Oskar Werner, der sogar in Hollywood Karriere machte, Karlheinz Böhm, Regina Fritsch, Adele Neuhauser, Manuel Rubey. Die Schule im Dachgeschoß des Hauses gleich beim Stephansplatz hat Patina. Generationen von Schauspielschülern wurden hier mit viel Empathie, Freude und Können ausgebildet. Requisiten wie den schwarzen Holztisch, der meist auf der Bühne steht und bei fast jeder Probe verwendet wird, gibt es seit 75 Jahren. Jeder, ob Oskar Werner oder Regina Fritsch, saß schon an diesem Tisch.
Du musst Entschlossenheit und Leidenschaft mitbringen. Schauspieler zu werden bedeutet ein lebenslanges Engagement für den Beruf mit seinen Höhen und Tiefen. Du hörst nie auf zu lernen.
Ich habe anfangs unterschätzt, auf was genau ich mich eingelassen habe. Dass hinter einer Schauspielschule nicht nur Spaß und Spiel steht, sondern es ein ernsthaftes, intensives Studium ist, wo man nicht nur sich selbst kennen lernt, sondern auch seine eigenen Grenzen überschreiten muss, habe ich in diesem Ausmaß nicht erwartet. Du musst Entschlossenheit und Leidenschaft mitbringen. Schauspieler zu werden bedeutet ein lebenslanges Engagement für den Beruf mit seinen Höhen und Tiefen. Du hörst nie auf zu lernen, zu lesen, zu proben, zu erarbeiten.
Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich wollte schon mein ganzes Leben Schauspielerin werden. Aber es ist auf jeden Fall schon sehr lange mein Traum. Als ich in der Volksschule war, wollte ich eigentlich Bürgermeisterin werden. Das klingt auf den ersten Blick sehr weit hergeholt, aber wenn man genauer überlegt, ist der Unterschied zwischen Politiker und Schauspieler dann doch nicht allzu groß.
Mein erstes Casting. Ich spiele, seit ich sechs Jahre alt bin, Klavier und habe dadurch mit elf Jahren durch Zufall mein erstes Casting für eine österreichische Serie gehabt. Sie suchten ein junges Mädchen, das Klavier spielt. Es war das erste Casting meines Lebens, und ich weiß heute noch, dass ich diese Rolle unbedingt bekommen wollte. Meine Mutter hat mir dann versucht zu erklären, dass manche Schauspieler zu hunderten Castings gehen, bevor sie eine Rolle bekommen, ich solle mir nicht so große Hoffnungen machen. Wie es das Schicksal aber wollte, kam nach ein paar Wochen der Anruf, ich hatte die Rolle. Ich hätte nie gedacht, dass diese Erfahrung von vier Drehtagen bei „CopStories“ meinen kompletten Lebensweg bestimmen würde. Ab da war mir klar: Ich muss Schauspielerin werden. Ich habe diesen Drang und weiß, dass ich nichts anderes machen will außer schauspielen. Ich will in meinem Leben einfach so viel wie möglich erleben, so viele Leben wie möglich leben, und das kann ich mit jeder Rolle, auf die ich mich einlasse.
Lee Strasberg. 2018 habe ich für OOOM Victoria Krane interviewt, Präsidentin des Lee Strasberg Film & Theatre Institute in New York, eine sympathische, resolute Dame. Sie ist die Schwägerin von Lee Strasberg, der „Method Acting“ entwickelt und damit Hollywood revolutioniert hat. Uma Thurman, Al Pacino, Lady Gaga, Christoph Waltz und Claire Danes waren Schüler. „Du brauchst als Schauspielerin Leidenschaft, Entschlossenheit. Talent und eine gute Ausbildung“, sagte sie zu mir. „Du musst überzeugt sein, dass du ohne Schauspiel nicht leben kannst. Das zeichnet einen guten Schauspieler aus.“ Und sie lächelte: „Wir geben jungen Menschen wie dir eine Chance, wir geben ihnen kein Talent. Sie kommen mit Talent zu uns und wir helfen ihnen dieses weiterzuentwickeln.“
Nach der Matura bin ich für ein Jahr als Au-pair nach Los Angeles gegangen. Ich landete im März 2020 genau einen Tag, bevor die USA die Grenzen wegen Covid-19 geschlossen haben, in L.A. Mein Traum, Acting Classes im Lee Strasberg Institut in Los Angeles zu besuchen, zu denen mich Victoria Krane ermutigt hat, war zerplatzt. Zumindest Online Classes konnte ich nehmen, doch meinem Traum, Schauspielerin zu werden, bin ich keinen Schritt näher gekommen. Ich sage immer, es war das beste und schlechteste Jahr meines Lebens.
Endlich Gleichgesinnte! Zurück in Wien bestand ich die Aufnahmsprüfung an der Schaulspielschule Krauss. Das erste Jahr besteht vor allem aus Basisunterricht. Du lernst die Stimme und deinen Körper kennen und einzusetzen, denn dein Körper ist dein Instrument. Vom ersten Tag an wurde mir bewusst, wie schön es ist, von Schauspielschülern umgeben zu sein. Keiner aus meinem Freundeskreis interessierte sich früher für Schauspiel. An der Krauss war ich zum ersten Mal mit Leuten konfrontiert, die denselben Traum hatten wie ich. Schon nach der ersten Schulwoche unseres Jahrgangs – wir sind heute elf Schülerinnen und Schüler – kannten wir unsere tiefsten Geheimnisse und Ängste. Wir gingen sofort in die Tiefe. Aber wie viele Geschwister jemand hat, wussten wir nicht. Wenn man im Unterricht auf so einer Ebene miteinander agiert, wäre es auch komisch in der Pause zu fragen: „Und, hast du Haustiere?“
Unser erstes Fach am allerersten Schultag war Körperunterricht, drei Stunden mit unserem Körperlehrer Kari Rakkola. Nach drei Stunden waren wir alle komplett k.o. Schauspieler müssen ein starkes Körperbewusstsein entwickeln, um Kontrolle über den eigenen Körper zu haben und ihn mit Sprache zu verbinden. Durchlässig zu sein. Und zu erforschen, welche Figuren durch unterschiedliche Körperlichkeiten entstehen. Karis Körperunterricht ist bis jetzt eines meiner Lieblingsfächer.
Die Standardlautung ist die einheitliche Bühnensprache. Um sie zu können, muss man Sprechen neu lernen. Aus dem „KöniG“ wird der „KöniCH“.
Ein weiteres Fach, das wir im ersten Jahr hatten und dessen Übungen mich bis heute täglich begleiten, war „Atem, Körper, Stimme“, kurz AKS, mit Eva Hinterreithner. Ein Fach, das ich anfangs total unterschätzt habe. Erst mit der Zeit habe ich verstanden, wie unglaublich wichtig es ist. Ich habe nie einen Unterricht so entspannt und eins mit mir selbst verlassen wie nach Evas AKS. Ich benutze diese Übungen noch heute fast täglich zum Aufwärmen.
Sprechen neu lernen. Atemübungen sind fast so wichtig wie Sprechunterricht. Denn die Standardlautung ist die einheitliche Bühnensprache im deutschsprachigen Raum. Um sie zu können, muss man Sprechen neu lernen. Aus dem „KöniG“, wie wir ihn in Österreich gerne aussprechen, wird der „Könich“. Das eine trägt einfach mehr als das andere durch den Raum. Und man will ja, dass einen nicht nur die Leute aus der ersten Reihe verstehen, sondern auch die aus der letzten.
Das zweite Jahr. Ich bin jetzt im zweiten Ausbildungsjahr, und das ist ungleich intensiver. Neben Fächern wie Sprech- und Körperunterricht ist unser Schuljahr in Trimester eingeteilt. Am Ende eines Trimesters haben wir Arbeitseinblicke, die man sich wie Prüfungen vorstellen kann.
Ein Dramatikprojekt ist Teil eines jeden Trimesters. Für diese Projekte wird unser Jahrgang, der aus elf Schülerinnen und Schülern besteht, geteilt, jede Gruppe erarbeitet mit einem Lehrer Szenen aus einem Stück. Meine Gruppe, die Schauspielerin Birgit Linauer geleitet hat, erarbeitete Szenen aus den Komödien „Bunbury“ und „Ein idealer Gatte“ von Oscar Wilde nach der Methode von Sanford Meisner. Die Meisner-Technik stellt „Acting means reacting“ in den Mittelpunkt. Schauspieler müssen, so Meisner, in der Lage sein, aufeinander zu reagieren und Impulse aufzugreifen, da nur so echte Emotion entsteht.
Ein anderes Fach im zweiten Jahr ist Bühnenfechten. Auch wenn man nicht gleich „Cyrano de Bergerac“ spielt, so lernt man Bewegung, Gleichgewicht und Dynamik. Unser Fechtlehrer Klemens Dellacher hat mit uns eine Fechtchoreographie einstudiert, über die wir dann selbstständig eine Szene unserer Wahl gelegt haben. Obwohl wir alle dieselbe Choreographie gelernt haben, hat sie doch bei jedem völlig anders ausgesehen: von einer Streitszene aus „Marriage Story“ bis hin zum „Der Tatortreiniger“ war alles dabei.
Musikdramatik war ein weiteres Fach, das uns dieses Trimester begleitet hat. Gesangsunterricht haben wir seit dem ersten Jahr, aber in diesem Modul mit Shlomit Butbul als Lehrerin ging es darum, einen Song spielerisch in ein improvisiertes Stück einzubauen. Unser Setting war ein Gefängnis.
Mit dem dritten Jahr schließt man sein Schauspielstudium mit einem staatlich anerkannten Diplom ab. Und dann geht es erst richtig los. Was man dann nämlich mit seiner Ausbildung macht, liegt völlig an einem selber. Ohne den inneren Drang, ohne den Willen und die Leidenschaft hast du in diesem Beruf nämlich keine Chance.
Fotos: Michaela Krauss-Boneau für OOOM
Michaela Krauss-Boneau. Fantasie und emotionale Intelligenz sind wichtig.
Wie beurteilen Sie, ob ein junger Mensch Talent als Schauspieler hat oder nicht?
In unseren Aufnahmsprüfungen sitzt eine Lehrerkommission, und wir beurteilen das Sprechen und Improvisieren, die Fantasie, die emotionale Intelligenz. Wie kann sich die Person in die Rolle hineinversetzen? Kann sie Bilder erzeugen, die wir auch sehen können? Hat sie ein Vorstellungsvermögen? Versteht sie den Text? Ist sie wandelbar? Wir arbeiten dann meistens in der zweiten Runde mit den Leuten bereits an einer Rolle.
Welche Rolle spielt Talent?
Eine Person, die talentfrei ist, wird es auch mit Fleiß und Disziplin nicht schaffen. Aber eine sehr talentierte Person, die nichts macht, kommt auch nicht weit.
Die Schauspielschule Krauss feiert dieses Jahr ihr 75-jähriges Jubiläum. Was ist heute anders?
Zu Zeiten meines Großvaters war es eine Abendschule. Viele waren berufstätig und zum Teil auch älter. Es wurde besonders Wert auf die Sprache gelegt, es ging nicht auch um Körperlichkeit wie heute. Ich habe die Schule 1988 übernommen, weil mein Vater gesundheitliche Probleme hatte, da war ich gerade mal 19 Jahre alt. Ich wollte frischen Wind reinbringen, bin ans Reinhardt Seminar und an verschiedene Theater gegangen und habe Lehrer angeworben.
Was braucht man, um als Schauspieler erfolgreich zu sein?
Talent ist Voraussetzung. Beharrlichkeit ist sehr wichtig, Können sowieso.