Making of Jurassic Park
Und diese sind es meist auch. Als er für Michael Crichtons Buch „Jurassic Park“ das Cover entwerfen sollte, hatte er zunächst keine Ahnung von Erdgeschichte. „Also begann ich das Manuskript zu lesen, und es war eine wunderbare Erfahrung. Es war ein extrem spannendes Buch und uns war klar, dass es wohl ein Bestseller wird.“ Der Coverentwurf gestaltete sich als schwierig: „Nachdem es in New York City ja nicht unbedingt zahlreiche Dinosaurier gibt, ging ich zum Natural History Museum, sah mir die Knochen an, ging in den Shop und kaufte ein Buch über Dinosaurier. Darin war eine einzige Grafik eines Dinosauriers, die ich kopierte und einfach mal abzeichnete, leicht verändert und stilisiert. Ich hatte keine Ahnung, ob daraus etwas wird. Als ich fertig war, habe ich eine Typografie draufgeknallt und es sah aus wie ein Parkschild.“ Doch zu seiner Überraschung war das Feedback unglaublich: „Jeder im Verlag liebte es. Zuletzt sandten wir es auch noch dem Autor Michael Crichton. Der Wichtigste kam also zum Schluss.“ Sie warteten einige Zeit, bis schließlich ein Fax – damals verwendete man das noch – von Crichton eintraf. Darauf standen in großen Lettern exakt vier Wörter; „Wow! Fucking Fantastic Jacket.“ Damit war das Cover fertig. „Es war eine Erleichterung, als das aus dem Faxgerät kam.“ Nachsatz: „Ich vermisse Michael (Anm.: er starb 2008).“
Teil der Popkultur. „Schließlich rief noch jemand von der Filmfirma Universal an“, erzählt Kidd, „ob sie vielleicht vorsorglich die Rechte an dem Entwurf kaufen können, nur für den Fall, dass sie ihn vielleicht für den Film verwenden. Wie man weiß: Sie haben ihn verwendet, und es war unglaublich, zu sehen, wie das Design zum Teil der Popkultur wurde und sich auf T-Shirts, Kappen und Hunderten anderen Produkten weltweit verkaufte.“
Fifty Shades kam aus dem Nichts. So ein Welterfolg ist jedoch auch in einem großen Verlagshaus weder alltäglich noch planbar: „Es wäre auch falsch, sich an den Tisch zu setzen und zu sagen: Ich mache jetzt ein Cover, das die Popkultur verändert. Das funktioniert nicht.“ Selbst mit einem guten Riecher kann man falsch liegen: „Ich habe Projekte gesehen, wo wir alle davon überzeugt waren, dass sie Welterfolge werden – und sie wurden es nicht einmal im Ansatz. Und dann kamen Bücher wie ‚Fifty Shades Of Grey‘ aus dem Nichts und wurden globale Bestseller.“
20 Minuten bis 6 Monate. Der Entwurf eines Covers kann eine kreative Herausforderung sein – oder ein Schnellschuss: „Von der ersten Idee bis zum fertigen Cover kann es 20 Minuten dauern oder sechs Monate. Ich habe beides schon erlebt. Das Wichtigste ist immer, das Manuskript zu kennen. Ich kenne keinen guten Buchdesigner, der nicht gerne liest.“
Daher war Designer immer schon Chip Kidds Traumjob: „Schon als kleiner Junge war ich ein großer Comic-Fan, der Superhelden liebte. Ich übte die ganze Zeit Comics zu zeichnen. Das Problem war nur, dass ich darin nicht gut war.“ In Pennsylvania aufgewachsen, bewarb sich Kidd bei der Penn State University: „Ich wollte ein ganz Großer im Grafikdesign werden. Leider ist das dort nicht unbedingt der richtige Ort dafür. Die Uni ist gut in Architektur und Technik, aber nicht bei Design.“ Auf einer Universität mit 40.000 Studenten waren exakt 18 jedes Jahr in der Design-Abschlussklasse. Vier Vollzeitinstitutsmitarbeiter betreuten sie: „Das war klasse.“
Zwei Kidd-Novellen. Doch nicht nur Grafikdesign hat es Chip Kidd angetan, er veröffentlichte auch zwei Novellen als Autor: „The Cheese Monkeys“ wurde ein Bestseller, „Batman: Death By Design“ ein Buch für Liebhaber. Zum Glück muss er zwischen Beruf und Berufung nicht wählen: „Fast jeder bekannte Grafikdesigner beginnt irgendwann mal auch etwas anderes zu tun: Stefan Sagmeister mit der ‚Happy Show‘, Paula Scher mit ihren Gemälden. Ich möchte weiter Bücher schreiben und veröffentlichen. Allerdings nur in der Freizeit, denn meinen Lebensstandard könnte ich als Autor wohl nicht halten.“
Derzeit arbeitet Chip Kidd an dem zweiten Band seiner Monografie, die seine Werke der letzten zehn Jahre zeigen (Rizzoli Publications verlegt das Werk): „Das mag verrückt klingen, weil es fast so ist, als würdest du deinem eigenen Begräbnis vorsitzen. Aber für mich ist das eine wichtige Dokumentation meiner Arbeiten.“
Design für Kinder. Damit auch bereits Kinder ein Gefühl für Design bekommen, hat Kidd mit „GO – A Kidd‘s Guide To Graphic Design“ das erste Designbuch für Kinder auf den Markt gebracht: „Bereits Kinder sollten lernen, was gutes Design ist. Die Idee hat mich fasziniert, weil sie völlig neu ist. Ich wurde auch gefragt, ob ich nicht ein Coffeetable Book über die Simpsons machen möchte, aber wo ist da das Neue? Da gibt es bereits Dutzende Bücher auf dem Markt.“
Denn gerade wenn man als Kind oder Jugendlicher überlegt, was man einmal werden möchte, kann ein solches Buch eine wichtige Entscheidungshilfe sein: „Ich wusste noch nicht einmal am College, was ein Grafikdesigner macht. Ich war nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort, reiner Zufall, sonst wäre ich nie zu dem Job gekommen. Der Verlag Alfred A. Knopf suchte einen Assistenten für den Art Director. Sie stellten mich ein. Und plötzlich war ich in der Verlagsbranche.“
Eine Frage, die sich die ganze Branche stellt, geht auch an Chip Kidd nicht einfach vorbei: Was passiert mit dem Medium Buch in einer digitalen Welt? Wird sein Job einmal überflüssig? „Ich bin davon überzeugt, dass das gedruckte, das physische Buch überleben wird. Alle Studien und Statistiken zeigen das ganz eindeutig. Die E-Book-Verkäufe steigen flach bis gar nicht an, in manchen Bereichen fallen sie sogar. Wenn ich nur ein Beispiel nehme: Haruki Murakamis Bücher verkaufen sich als Hardcover viel besser als als E-Book oder Taschenbuch. Seine Leserschaft will ein gebundenes Buch in der Hand haben. Wenn du ein Buch liest und es wirklich magst, dann besteht eine Beziehung zu dem Buch, und das Cover ist ein wichtiger Teil davon. Manche meiner Cover sind so designt, dass sie immer bedeutungsvoller werden, je tiefer du in die Geschichte eintauchst. Auf den ersten Blick wirst du kaum verstehen, was du gerade siehst, aber wenn du den Text weiterliest, fällt es dir wie Schuppen von den Augen.“
Der größte Flop. Bei all den faszinierenden Titeln, die Chip Kidd entworfen hat, was war denn sein schlimmster Job als Buchdesigner? „Das war vor Alfred A. Knopf, als ich noch freiberuflich tätig war. Es war ein Selbsthilfebuch für Menschen, die ihren Job behalten wollen, aber ihren Boss hassen. Das Cover ist beim Kunden total gefloppt, ich verlor den Job. Dann kam das Angebot von Knopf. Das erste Cover, wo mein Name draufstand, war 1986 ein ziemlich nichtssagendes Buch eines Fotografen namens John Hedgecoe.“
Inspiration. Seine eigene Inspiration findet Chip Kidd weder bei anderen Designern noch bei klassischen Designmedien: „Die meisten Magazine langweilen mich. Ich liebe den „New Yorker“ und das „New York Magazine“, die sind inspirierend anders. Natürlich bin ich ständig in Buchhandlungen und schaue, was gerade angesagt ist, was Menschen kaufen und lesen oder ob jemand ein interessantes Design für ein extrem kommerzielles Buch macht. Aber in Sachen Design möchte ich mich nicht an anderen Büchern orientieren. Das mag vielleicht kein Plagiat sein, aber auch kein originales Denken. Ich will lieber vom Text inspiriert werden und einen visuellen Anker finden.“ Doch wie oft hat er sich selbst kopiert? „Wahrscheinlich zu oft“, sagt Kidd ehrlich. „Ich mache das jetzt seit 30 Jahren. Ja, ich habe von mir abgeschrieben“, schmunzelt er. „Aber es würde vor Gericht als Kopie nicht durchgehen.“