Er hat das Lächeln nicht verlernt. Als Boris Bukowski, 77, Star des Austropop und einem jungen Publikum als ORF-Dancing-Star bekannt, die Tür zu seiner Dachgeschoßwohnung in Wien-Stammersdorf öffnet, strahlt er, als wäre nichts geschehen. Dabei liegen Monate des Kampfes gegen einen sichtbaren Feind, der ihm das Leben zur Hölle machte, des Bangens und Hoffens hinter ihm. Zwei Wochen verbrachte er zuletzt mit seiner Frau Tereza im ägyptischen Sharm el Sheikh auf der Halbinsel Sinai. Als bei uns nach Langem wieder Schneestürme tobten, saß der Sänger bei 23 Grad im Liegestuhl am Strand und schaute aufs Meer. Jetzt, zurück in Wien, wirkt er fit und erholt. Von den monatelangen Chemotherapien ist nichts zu bemerken, auch die Haare, die ihm zeitweise büschelweise ausgingen, wirken voller denn je. Seine Botschaft ist eine extrem erfreuliche: Der Krebs scheint verschwunden.
Wie geht es Ihnen?
Danke, es geht mir gut. Es ist kein Lymphom mehr da. Es gibt dann bald die nächste Kontrolle und ich hoffe, dass das nur eine Routine bleibt.
Sie wirken so fit wie vor der Diagnose Krebs.
Ich mache regelmäßig Sport, das letzte halbe Jahr zwar weniger als sonst, aber ich gehe fast jeden Tag im Schnellschritt durch den Wald. Meine Haare sind auch stärker denn je wiedergekommen. Dazwischen war es schlimm, als sie ausgefallen sind. Ich hatte lauter komische Flocken am Kopf und musste immer Kappen oder Hüte aufsetzen.
Der Krebs scheint verschwunden, eine großartige Nachricht. Wie planen Sie das Jahr 2023?
Wir haben vor meiner Krankheit eine Reihe von Auftritten fixiert gehabt, die musste ich alle absagen. Doch sämtliche Veranstalter sagten schon damals zu mir: „Boris, du wirst gesund und ich buche fix für das kommende Jahr.“ Das hat mir Berge gegeben, es war ein tolles Signal.
Das starke Comeback des Boris Bukowski: Er ist krebsfrei. Und steht ab Juni wieder auf der Bühne.
Wann geht es mit Ihren Livekonzerten los?
Am 2. Juni mit Band im Grazer Orpheum.
Die Diagnose Krebs ist ein dreiviertel Jahr her. Was hat die Krankheit mit Ihnen gemacht?
Ich bin Gott sei Dank ein relativ sonniger Mensch, ich vergesse schlimme Sachen sehr schnell. Manchmal hängt man natürlich durch, wenn es zu hart kommt. Ganz am Anfang war das der Fall. Ich konnte wochenlang nicht schlafen, was mich sehr an einem guten Ausgang zweifeln hat lassen. Wenn man nicht schlafen kann, kann es mit einem nur abwärts gehen. Ich war wochenlang in der Früh müder als am Abend davor, da wusste ich: Wenn das bleibt, wird das nichts mehr.
Doch das änderte sich.
Ja, und ich habe mich mental ziemlich erholt. Auftrieb hat mir auch gegeben, dass ich relativ gut auf meinen Körper aufgepasst habe. Die schlimmen Medikamente, die notwendig sind, um den Krebs zu besiegen, habe ich dadurch besser vertragen als die meisten anderen. Man kann nicht mit Sport Krebs besiegen, aber man kann sich selber physisch dorthin bringen, dass die notwendige Therapie einem nicht so viel anhaben kann.
Wie sieht heute Ihr Tagesablauf aus?
Er wird immer normaler. Nach dem Aufstehen mache ich eine Stunde Sport, Gymnastik, Muskelaufbau. Wenn es wärmer wird, werde ich auch wieder Radfahren gehen. Jetzt gehe ich zumindest im Schnellschritt durch den Wald. Dann kommst du zurück und hast schon mal ein gutes Gefühl. Danach gönne ich mir ein gemütliches Frühstück und schaue, was zu tun ist. Ich bin gut im Checken von Prioritäten. Dazwischen lese ich Zeitung, faulenze etwas, aber ansonsten bin ich bis zum Abend beschäftigt.
Machen Sie auch wieder Musik? Schreiben Sie Songs, verarbeiten Sie das, was Sie erlebt haben?
Das ist momentan weniger der Fall. Wir haben zu Hause Küche und Bad umgebaut und die letzte Zeit auf einer Baustelle gewohnt, die Möbel und Instrumente waren notdürftig abgedeckt.
Müssen Sie noch Medikamente nehmen?
Nein, gar nichts.
Das ist sehr befreiend.
Ja. Meine Professorin am AKH in Wien hat mir geraten, auch eine Reha zu machen. Ich wusste zunächst nicht wieso, denn Sport mache ich sowieso täglich. Aber sie hat mich überzeugt. Also gehe ich demnächst drei Wochen auf Kur nach Bad Sauerbrunn ins Burgenland. Ich hoffe, dass sie dort ein gut ausgerüstetes Fitnessstudio haben.
Als wir einander im Spätherbst das letzte Mal trafen, sagten Sie zu mir: „Mir ist klar, dass das eine langwierige Sache wird.“
Ich wusste, das ist nichts, was man über Nacht wegbekommen kann. Ich wollte einfach alles, was ich dazu beitragen kann, auch machen. Das ist leider sehr wenig. Ich habe versucht, meinen Körper bestmöglich zu verwalten, das heißt genug zu trinken, mich viel zu bewegen, gesund zu ernähren und fit zu halten, damit ich diese starken Krebsmittel, die man mir geben muss, um etwas zu bewirken, auch verkraften kann. Deutlich jüngeren Patienten, denen ich bei den Behandlungen begegnet bin, konnte man nur die Hälfte meiner Dosis verabreichen.
Wie haben Sie festgestellt, dass Sie Krebs haben?
Anfangs habe ich an der Seite etwas gespürt, das ungewöhnlich war, kein Schmerz, eher ein Ziehen. Im Ultraschall war nicht viel zu sehen, doch meine Ärztin bestand auf eine Computertomografie. Dann kam das Ergebnis, dass in der Nähe der Niere eine „Raumforderung“ besteht. Ich wusste anfangs nicht wirklich, was das sein kann, aber dachte mir: Das klingt nicht gut, da ist etwas in meinem Körper, das Raum fordert. Damit war mir klar: Es geht in Richtung Krebs. Ein befreundeter Arzt hat mich dann zu einem Nierenkrebsspezialisten geschickt. Er machte einen Ultraschall und sagte, dass es ein Lymphom sein dürfte. Wir haben dann rasch eine Biopsie machen lassen.
Eine Raumforderung bei der Niere, neun mal acht Zentimeter groß. Damit war mir klar: Es geht in Richtung Krebs.
Eine Hiobsbotschaft.
Die Diagnose war ein „Diffuse Large B-Cell Lymphom“, ein besonders aggressives und schnell wachsendes Non-Hodgkin-Lymphom. Eine Nachuntersuchung brachte das schlechtmöglichste Ergebnis. Es waren mit dem Krebs zwei Varianten verbunden: Eine sorgt dafür, dass sich der Krebs im Körper besser ausbreiten kann, die zweite verhindert, dass die Krebszellen den Zelltod sterben. Es war die Arschkarte, das wurde mir klar. Das Lymphom war auch bereits ziemlich groß, es war 9 mal 8 Zentimeter.
Hatten Sie zu dieser Zeit bereits Schmerzen?
Ich konnte wochenlang nicht waagrecht liegen, es brannte im Bereich des Herzens ganz stark, sobald ich mich niederlegte. Die Computertomografie hat gezeigt, dass der Krebs die Herz-Aorta praktisch zur Gänze ummauert hat. Ich konnte waagrecht nicht schlafen. Ich hatte wirklich starke Schmerzen, saß die ganze Nacht in meinem Sitzsack und nahm Schmerztabletten und Rohypnol.
Was haben die Ärzte gemacht?
Sie wollten sofort mit einer Chemotherapie beginnen, obwohl die Detailbefunde noch nicht vorlagen. Gleich nach der ersten Chemo konnte ich wieder schlafen. Das war das Schönste, was man sich vorstellen kann.
Wie sind Sie mit der Diagnose umgegangen?
Ich habe begonnen zu googeln. Was ich da fand, war nicht aufbauend: Laut einer schon etwas älteren Studie überlebt die Hälfte der Patienten das zweite Jahr nicht. Doch meine Ärzte bauten mich auf und erklärten mir, dass der Unterschied zwischen den Patienten enorm sei. Mein tatsächlicher Zustand sei weitaus besser als der statistische und der altersmäßige. Ich hätte viel bessere Chancen als andere.
Dann kam die nächste Chemo.
Ja, sie wurde durch die weiteren Befunde angepasst und verfeinert. Ich habe dann alle drei Wochen eine Chemotherapie bekommen, was heute ganz anders ist als noch vor zwanzig Jahren. Die Wissenschaft schreitet in Riesenschritten voran. Man fährt ambulant ins AKH, teilt sich ein Zimmer mit ein, zwei anderen, und wird dort mal stundenlang über Infusionen abgefüllt. Da sind Stoffe dabei, die etwas können müssen. Dort zu fragen – wie das die letzten Jahre mit Covid war –, was es für Nebenwirkungen gibt, ist für einen Krebspatienten völlig uninteressant. Es gibt Stoffe, die haben 50 Prozent Nebenwirkungen. Mich interessiert nicht die fünfzigste Nebenwirkung, sondern was mir die Hauptwirkung bringt. Denn die Alternative ist der Tod. Bei einem schnell wachsenden B-Zell-Lymphom geht es unbehandelt eher nicht um Monate, sondern um Wochen.
Beängstigend.
Ich wusste: Ich nehme alles in Kauf und vertraue meinen Ärzten total. Das AKH Wien gehört zu den besten Spitälern der Welt, und wenn man mir helfen kann, dann dort.
Es gibt Chemos, die haben 50% Nebenwirkungen. Mich interessiert aber nur, was die Hauptwirkung ist – denn die Alternative ist der Tod.
Sie waren zuversichtlich.
Ja. Ich habe dann eine neuere britische Studie gefunden, dass 70 Prozent der Patienten mit meinem Krebs diesen nach vielen Monaten Chemotherapien sogar wieder wegbekommen. Das ist eine sehr gute Chance, statt zu sterben. Die meisten Stoffe, die sie dir verabreichen, können nichts Spezifisches. Sie können nur alle schnell wachsenden Zellen, zu denen Krebszellen gehören, töten. Dazu gehören aber auch die Schleimhautzellen des Magen-Darm-Traktes. Dir brennt der ganze Unterbauch, dir graust vor dem Essen, du bekommst nichts herunter. Du musst aber etwas essen, denn wenn du Gewicht verlierst, ist es vorbei.
Wie haben Sie in den schlechten Phasen neue Kraft geschöpft?
Durch meine Frau Tereza und meine Kleinfamilie, auch durch Freunde, die mir viele unglaublich positive Feedbacks gegeben haben. Und durch meine 5.000 Facebook-Freunde, von denen ich mindestens 90 Prozent nicht kenne: Was die mir täglich zukommen lassen, Hunderte Nachrichten, die an mich glauben, mir Kraft schicken, das ist einzigartig. Ich konnte sie nicht einmal beantworten, weil es so viele waren. Ich wollte sie auch nicht mechanisch anklicken, aber ich habe jedes einzelne Post gelesen und fand es großartig.
Haben Sie neben der Therapie auch begleitend Alternativmedizin versucht?
Ich glaub an gar nichts außer an die Wissenschaft. Und an die emotionale Kraft von Menschen, an Zuneigung. Das kann Berge versetzen. Es gab auch Menschen, die mir geschrieben haben, dass sie für mich beten. Das ist entzückend. Aber ich glaube nicht an Gott. Wenn ich mir vorstelle, wie riesengroß unser Universum ist, dass das Licht so schnell ist, dass es siebenmal pro Sekunde um die Erde saust, und es Sterne gibt, die 13 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt sind: Da gibt es jetzt angeblich einen Schöpfer, der das alles erschaffen hat und dem wichtig sein soll, ob ich an ihn glaube oder nicht? Das kann ich mir bei Gott nicht vorstellen (lacht).
Wie ist Ihre Frau mit der Diagnose umgegangen?
Es hat ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie war vollkommen fertig. Sie wurde dann gecoacht, wie man mit der Situation umgeht. Es gibt immer wieder belastende Situationen, aber sie kann gut damit umgehen. Wir vertragen uns auch so herrlich, wie sind so eng, dass kein Blatt Papier zwischen uns passt. Das baut enorm auf.
Nach einer Krebsdiagnose rückt der Tod plötzlich in das eigene Leben.
Ich glaube an ein Leben vor dem Tod – nicht nach dem Tod. Ich bin eine Hardware, die aus vielen Teilen besteht, der Software. Wenn man eine Festplatte ins Feuer wirft, dann ist sie weg.
Es gibt nichts danach?
Ich denke für mich, es ist vorbei. Meine Mutter hat bis zu ihrem 96. Lebensjahr alleine zu Hause gewohnt und zu mir gesagt: „Ich hab ein schönes Leben gehabt. Es war nicht einfach, es war hart, aber schön.“ Ohne Bitterkeit, ohne Wehmut: „Aber jetzt ist es dann mal genug.“ Da habe ich mir gedacht: So möchte ich auch abtreten können. Ich habe mir genau das gewählt, womit ich glücklich geworden bin. Mit 77, wenn es jetzt so weit ist, müsste ich eigentlich sagen: Danke. Küss die Hand. Baba. Wie alt willst denn noch werden? Klar, meine Mutter würde jetzt noch 23 Jahre leben. Und das würde ich auch gern. Und ich versuch‘s. Aber wenn‘s mir nicht gelingt, kann ich wirklich niemandem böse sein.