Seit zwei Jahren leben Sie mit Ihrer Frau Ingrid hier in der Buckligen Welt. Wie haben Sie dieses Refugium gefunden?
Durch das Internet. Wir haben etwas im Umkreis von Wien gesucht, maximal eine Stunde entfernt. Wir haben uns auf keine Gegend festgelegt. Dann kam dieses Angebot mit zwei 250 Jahre alten Bauernhäusern auf dem Grundstück. Ingrid hat den Makler angerufen und der hat gesagt: „Leider, das ist gerade verkauft worden.“ Wir haben es dann vergessen, zwei Wochen später hat er wieder angerufen: „Es ist wieder frei, der Käufer hat die Finanzierung nicht hinbekommen.“ Wir sind sofort rausgefahren, haben es uns angeschaut und gleich gekauft.Â
Sie haben neu gebaut.
Zuerst haben wir gedacht, wir können die beiden Bauernhäuser mit Glas in der Mitte verbinden. Doch die Substanz war zu schlecht, sie haben damals mit so kleinen Steinen gebaut, es bestand die Gefahr, dass alles zusammenfällt. Jetzt ist es so, wie wir es wollten, mit 6,90 Meter bis zur Decke. Hier kann es im Winter wirklich kalt werden, es geht auch immer ein Wind, wir liegen auf 650 Metern Seehöhe.Â
Wie viel Zeit verbringen Sie tatsächlich hier?Â
So viel wie möglich. Wann immer ich nach Wien komme, versuche ich hier rauszufahren.Â
Sie sind ein Weltstar der Klassik und reisen viel, von den USA bis Asien. Wo ist Heimat für Sie? Ikast in Dänemark, jener Ort, aus dem Sie stammen, oder hier?
Österreich ist jetzt schon mein Heimatland geworden. Ich denke mir auch jedes Mal, wenn ich meine Mutter in Ikast besuche, wie konnte ich so lange dort bleiben? Dort hat sich nicht viel geändert, seit ich weggezogen bin (lacht), und das ist immerhin über 40 Jahre her. Es ist eine verschlafene Kleinstadt mit 10.000 Einwohnern. In Ikast selbst ist nicht viel los. Allerdings die Schulausbildung dort war 1a, ich hatte wirklich fantastische Musiklehrer.Â
Sie sollten eigentlich Bankkaufmann werden, zumindest wollten das Ihre Eltern.Â
Ja, das hätte mein Vater gerne gehabt. Das ist dann mein Bruder geworden, der ist vier Jahre jünger als ich und der ist heute Bankdirektor. Für mich kam das überhaupt nicht in Frage. Ich wollte halt singen und damals hat er gesagt: Also das ist ja schön, aber davon kann niemand leben. Doch meine Eltern haben mich trotzdem unterstützt. Nur Medizin studieren hätte mich auch noch interessiert.Â
Wären Sie ein guter Arzt geworden?Â
Ich glaube schon, weil ich kann gut zuhören und das muss man als Arzt. Aber es kam nicht so, weil die kleine Latein-Prüfung habe ich nicht bestanden. Dafür ist unsere Tochter heute Ärztin. Ich bin dann in die zweitgrößte Stadt in Dänemark, Aarhus, da habe ich den Führerschein gemacht und Privatunterricht genommen. Mein Vater bestand dann darauf, dass ich Musikwissenschaft auf der Uni studiere. Das habe ich dann auch gemacht, aber das war so langweilig. Ich pflege immer zu sagen: Das sind unsere Kritiker, die das studiert haben. Und wir, die Musik machen können, wir gehen einen anderen Weg.Â
Ihre Karriere ist 1988 durch einen Zufall passiert, ein Anruf aus dem Nichts. Sie waren damals Mitte 20 und angeblich ziemlich betrunken, als das Telefon läutete.Â
Ich hatte anfangs überhaupt keine Ahnung, wer da anruft, und wieder aufgelegt. Ich habe gedacht, das waren meine Freunde vom Abend vorher, die sich einen Spaß machen. Dabei war der Herr Direktor Haberland von der Volksoper am Telefon. Erst beim zweiten Mal habe ich dann verstanden, worum es geht und dass sie mich zu einem Vorsingen einladen wollen. Eberhard Waechter war damals Chef an der Volksoper, ich wurde empfohlen, das kam aus dem totalen Nichts. Ich bin nach Wien gefahren, die haben alles bezahlt, sonst wäre ich nie gefahren. Ich dachte mir: Was soll ich denn da überhaupt anziehen? Ich habe noch nie vorgesungen, aber ich hatte eine schöne Strickjacke, die nahm ich mit (lacht). Da waren ganz viele Baritone beim Vorsingen dort. Als ich fertig war, haben sie gesagt: Können Sie bitte in die Direktion gehen im vierten Stock? Dort saß Eberhard Waechter und ich war völlig perplex, weil die „Don Giovanni“-Aufnahme, die ich zu Hause hatte, war mit ihm. Ich fragte ihn: Haben Sie auch vorgesungen für den Don Giovanni? Er lachte: Nein, ich bin der Direktor hier und wir wollen Sie engagieren. Er gab mir meine erste Hauptrolle. Das war der große Durchbruch sofort mit der ersten Rolle.Â
Sie hatten sicher dann gleich viele Angebote.
Ja, aber Waechter sagte: Sie sind bei uns, Sie bleiben bei uns. Damals war ich sauer, heute weiß ich, er hatte recht. Es entstand eine unglaubliche Freundschaft zwischen Waechter und mir. Er hat ja sehr, sehr gut Klavier gespielt und bestand darauf, die Rollen mit mir einzustudieren.Â
Was macht eine so rasche kometenhafte Karriere mit einem? Was hat es mit Ihnen gemacht?Â
Ich habe immer beide Beine auf dem Boden behalten. Mein Gehalt damals waren 25.000 Schilling (umgerechnet ca. 1.900 Euro) und alleine die Wohnung hat 6.500 Schilling gekostet. Dann kommt die Steuer weg, da blieb jeden Monat nicht viel übrig. Ich musste schon sehr sparen. Aber es war gut und später habe ich dann mehr Geld verdient. Ich bin froh über die fünf Jahre im Ensemble der Wiener Volksoper und dann zwei Jahre in der Staatsoper. Das war für mich wirklich sehr, sehr wichtig, weil ich viele Rollen gelernt habe.
Sie haben über hundert Rollen im Repertoire.Â
Ja, ungefähr.
Wenn man Sie morgens um 3:00 Uhr früh aufweckt, wie viele davon könnten Sie aus dem Stand singen?Â
Ja, da gibt es sicher ein paar Mozart-Rollen, den Figaro-Grafen kann ich sicher. Don Giovanni kann ich sicher auch noch, obwohl ich das gar nicht mehr singe, aber das habe ich so oft gesungen. Den Danilo könnte ich machen, Eisenstein natürlich mit links und dann genau das, was man so gerade gesungen hat natürlich. Das passierte ja auch vor zwei Jahren, als sie aus Bayreuth angerufen hatten, ob ich da einspringen könnte im Meistersinger. Es war 12 Uhr mittags, ich war im Fitnessclub in Wien und meine Agentur rief mich an und sagt: Kannst du den Beckmesser übernehmen in Bayreuth? Es ist heute Premiere und die ganze deutsche Bundesregierung sitzt drin. Ich sagte: Nein, eigentlich nicht. Es war Mittag, die Vorstellung fängt in Bayreuth um 16 Uhr an, ich war in Wien. Meine Agentur sagte: Wenn du nicht kommst, dann können die nicht spielen und müssen alles absagen. Ich habe dann spontan zugesagt. In Wiener Neustadt stand ein Privatflieger bereit, der mich hingeflogen hat. Um 15.50 Uhr kam ich an, bin hinein, Gott sei Dank nicht auf der Bühne, ich habe nur daneben gesungen und der andere hat gespielt. Trotzdem, ich habe die Rolle Ewigkeiten nicht mehr gesungen, aber es ist gegangen.Â
Die Kritiken nach Bayreuth waren euphorisch.Â
Ja, Gott sei Dank. In solchen Situationen braucht man eine rasche Entscheidungskraft: Mache ich es, tue ich es?Â
Sie singen sehr oft Werke zeitgenössischer Komponisten, 2025 gleich vier. Solche Werke werden meist nur selten gespielt. Das heißt, man hat vier, fünf, sechs Vorstellungen und dann geraten sie wieder in Vergessenheit.
Ich finde, man hat eine Pflicht als Sänger, sich mit der modernen Musik auseinanderzusetzen. Die Schauspieler führen ja auch neue Stücke auf. Mich interessiert das auch, weil man dort wirklich Rollen spielen kann, die man sonst nicht machen kann. Ich bin oft mit den Komponisten in Kontakt, während sie schreiben, dann kriege ich 30 Seiten und so. Und dann sage ich: Also Takt 112 bis 120, kann man da nicht eine andere Lösung finden? Und innerhalb von zwei Stunden kommt dann irgendwas Neues. So war es auch damals, ich wette, Mozart haben sie auch gesagt: Kann man das nicht anders machen? Und er hat‘s gemacht. Das finde ich sehr interessant.Â
Sie hatten im Sommer 2024 in Salzburg mit „Capriccio“ von Richard Strauss Premiere. Hat Salzburg immer noch einen besonderen Reiz?
Salzburg ist das Sommer-Festival der Superlative. Und es freut mich natürlich sehr, dass ich da wieder engagiert bin. Mein Salzburg-Debüt war ja schon 1991. Ich war ja schon öfters da und ich finde es immer noch in meinem relativ hohen Alter mit 62 schön, dass man noch an mich denkt und ich dort noch mithalten kann in dieser Liga, die dort singt. Weil es sind einfach die Besten der Besten. Salzburg als Stadt finde ich einen Traum, bis die Festspiele eröffnen, dann ist es ein Albtraum. Da muss man schauen, dass man wieder wegkommt.
Kennen Sie noch so etwas wie Lampenfieber oder ist das längst passé, wenn man schon so lange in der Branche ist?Â
Sehr selten. Ich glaube eher nicht, wenn ich Oper mache, weil Oper ist so gut einstudiert. Und wir haben ja immer so sechs Wochen Proben, da sollte man nicht nervös werden. Das Problem ist, wenn man neue Liederabende macht mit wahnsinnig viel Text, und ich pflege ja immer, meine Lieder auswendig zu singen. Da kann man schon nervös sein, weil man braucht nur einen kleinen Hänger zu haben…Â
Was macht man da? Wie überspielt man das?Â
Man versucht, Tralulalei so lange zu singen, bis man wieder reinkommt und dann hat man oft einen Pianisten, der einem das Stichwort gibt, weil er hat ja die Noten. Das Gleiche in der Oper: Wir haben ja zum Glück in vielen Häusern immer noch eine Souffleuse. In so einem Haus wie Wien ist das lebensnotwendig, weil das Repertoire so groß ist.Â
Welcher Dirigent hat Sie besonders geprägt?Â
Da ist einer, der mich wirklich musikalisch sehr geprägt hat, den ich verehrt habe, Nikolaus Harnoncourt. Früher war es auch Abbado, wo ich das Glück hatte, mit ihm den Figaro aufzunehmen. Ich freue mich, dass ich jetzt mit Thielemann wieder arbeite, das ist immer ein Erlebnis mit ihm. Er ist einfach ein Klang-Magier. Ich weiß nicht, wie er das macht, aber es klingt einfach wahnsinnig toll.
Wie viele Tage im Jahr sind Sie unterwegs?Â
Das ist jetzt schon ein bisschen weniger, Gott sei Dank möchte ich sagen, auch weil ich das nicht mehr schaffe. Mein Kalender war eigentlich immer voll. Aber ich bin sicher zwei Drittel des Jahres weg.Â
Stirbt das Klassik-Publikum langsam aus?
Wenn man moderne Musik macht, ist das Publikum viel, viel offener und auch jünger. Das Publikum, das zu den Klassikern geht, also Mozart, Beethoven, Puccini oder Verdi, hat ein gewisses Alter erreicht. Man versucht da natürlich gegenzusteuern mit ganz modernen Inszenierungen, was ich manchmal gar nicht so toll finde. Bei Liederabenden ist es ein Problem, dass das Publikum einfach ausstirbt. Das ist schade, das war nicht so, wo ich angefangen habe. In den ersten drei Sekunden bei einem Videoclip wird entschieden, ob man weiter zusieht. In Liederabenden muss man einfach die Zeit zurücksetzen und zuhören. Das können viele nicht mehr. Man muss die Bereitschaft haben, sich darauf einlassen. Kein Handy, nichts, nur zuhören (lacht).Â
Es gibt Künstler, die sagen, sie haben eine permanente Unzufriedenheit mit dem, was sie machen. Sie auch?
Ja, ich bin auch so, ich komme nie raus und sage: So, besser geht es nicht.Â
Wie haben Sie Ihre Frau Ingrid kennengelernt?Â
Wir haben uns bei einer Aufnahme kennengelernt, die ich gemacht habe im Musikverein, das muss 1995 gewesen sein. Wir haben „Die lustige Witwe“, Ingrid hat Dialogregie gemacht. Da haben wir aber nur so „Hallo“ gesagt, ich fand sie schon interessant, aber da war nichts. Beim Philharmonikerball haben wir uns wieder getroffen, da hat Ingrid damals schon das Karajan-Zentrum geleitet. Einen Monat später beim Opernball habe ich gesungen. Und da habe ich ihr gesagt: Jetzt läufst du mir nicht weg. Sie war aber in Begleitung von jemandem da. Ich sagte zu ihr, ich warte um 1:00 Uhr früh unten am Tanzboden auf sie. Dann hat sie tatsächlich ihren Begleiter fahren lassen, ist umgedreht und wieder zurückgekommen. Dann haben wir bis 5:00 Uhr getanzt. Das ist nächstes Jahr 30 Jahre her.Â
Wie schwierig ist es, miteinander zu arbeiten und miteinander zu leben?Â
Es ist viel einfacher geworden. Ich sagte damals, ich kann nicht mit Kind und Frau im Bett schlafen, wenn ich nicht schlafe, kann ich nicht singen. Jetzt ist alles so entspannt. Wir haben uns total zusammengelebt. Deswegen haben wir auch beschlossen, wenn ich heute reise, kommt Ingrid mit. Das ist wirklich schön, wenn man von der Probe kommt und jemand ist da.Â