Teilnehmer erzählen von Wendepunkten. In einer Welt, die Liebe als bloße Sentimentalität abtut, erhöhte Gandhi sein Augenmerk auf die gängigen Mechanismen. Gandhis Nachfolger, Vinoba Bhave, äußerte sich sehr deutlich dazu: „Der einzige Zweck meiner Arbeit ist es, Herz an Herz zu verbinden.“ Das alles brachte eine Dynamik an Fragen mit sich: Wie schaffen wir es, Liebe und Mitgefühl zu einem festen Bestandteil unseres Lebens werden zu lassen? Eine ehemalige CIA-Analystin erinnerte sich an einen bemerkenswerten Moment, als sie einen Kriegsgefangenen verhörte: Während ihr Verstand sagte, sie solle ihn als Feind sehen, konnte ihr Herz nicht aufhören, ihn als Bruder zu betrachten. Bald darauf sagte sie Goodbye und verlagerte ihr Lebenswerk auf eine neue Art von CIA: „Compassionate Intelligence Agency“. Und Haruo, einer von Japans führenden Social Enterpreneurs, der im Olymischen Komitee sitzt, stellt die Frage in die Runde, wie die Abschlußzeremonie von Tokio 2020, geprägt von Liebe und Mitgefühl, aussehen könnte. Dass die Spiele abgesagt werden, ahnte damals noch niemand. Doch ging es nicht nur um die großen Dinge. Es ging auch darum, etwas ohne irgendeine Gegenleistung für jemanden zu tun. Einen „Act of Kindness“ zu setzen. Einen Kreislauf der Freude zu starten.
Es geht darum, etwas ohne Gegenleistung für jemanden zu tun. Einen Kreislauf der Freude zu starten.
Gandhis Enkel als Gast. An zwei Gemeinschaftsabenden werden rund 200 Freunde, darunter NGOs und Freiwilligen aus dem ganzen Land, eingeladen. Es gibt Vorstellungen von Tanz und Musik, regen Austausch und auch gemeinsame Momente des Schweigens. In solch einem Ambiente überraschen sich die Menschen gegenseitig mit Wendepunkten, die in ihrem Bewusstsein aufsteigen. Gandhis Enkel Rajmohan Gandhi sitzt auf der Bühne und erzählt eine Kindheitsgeschichte über die Einfachheit seines Großvaters. Auf die Frage, wie Gandhi heute aussehen würde, antwortet er: „Er wäre ein Weltenbürger.“ Am Schönsten ist die Vermischung der vielen unterschiedlichen Menschen. Lange unterhalte ich mich an einem dieser Abende mit Ejna, der ersten Stammes-Friedensbotschafterin des Crow Creek Sioux Stammes in South Dakota. Sie beschäftigt sich mit der Heilung von generationsübergreifenden und multilinearen Auswirkungen von Massaker, Holocaust und Krieg auf die Menschheit. Dieser Einsatz und das Bemühen, unseren Planeten zu einem besseren Ort zu machen, ist bemerkenswert. Wie egoistisch und oberflächlich wirken da unsere Alltagsprobleme? „Ich fühle mich nach ein paar Tagen, als ob sich sämtliche Fenster, Türen und sogar Dächer öffnen“, sagt eine junge Frau. „Ein enormer Abbau von Barrieren findet statt“.
Silent Walk. Zum Abschluss des Gandhi 3.0.-Retreats begibt sich jeder Teilnehmer auf seinen persönlichen „Silent Walk“ – für jeden einzelnen ein sehr persönliches, einzigartiges Erlebnis. Die Zeit scheint stillzustehen.Selten zuvor fand ich mich so im Reinen mit mir selbst und der gesamten Welt. Bei der großen Abschlussrunde war es fast schwierig dies in Worte zu fassen. Manche weinten überwältigt von dem Gefühl der Liebe und Dankbarkeit, andere staunten über die Magie, die in jeder Ecke dieses Raumes zu spüren war. Ein Teilnehmer aus dem Silicon Valley sagte: „Um meine Zeit auf Erden zu überleben, habe ich viele Mauern in meinem Herzen errichtet. Ich habe das Gefühl, dass ich viele Hausaufgaben zu erledigen habe.“ Evan, der Mitbegründer von Pinterest, verabschiedet sich von einem französischen Jugendlichen mit den Worten: „Wir haben nie miteinander gesprochen, aber dein Schweigen hat mir etwas Bedeutendes beigebracht. Ich weiß noch nicht was, aber ich werde es eines Tages wissen.“
Wir waren alle miteinander verbunden. Für einige Tage schien es, als hätten sich unsere Herzen zu einem geformt. Die Frage, die ich mir stelle, während ich nachdenklich meine Koffer packe, ist: Wie lange wird dieser Zustand anhalten, wenn wir die sichere Umgebung des Ashram verlassen? Wie gut tut es mir, mit offenem Herzen durch die Welt zu gehen? Die Antwort bekam ich im Flugzeug, als wir zufällig auf Rohan, einem indischen Enterpreneur und ebenfalls Teilnehmer von Gandhi 3.0 trafen. Auf die Frage, ob er sich zu uns setzen wolle, hat er verneint, er müsse noch etwas arbeiten. Bei unserer Ankunft am Flughafen Mumbai präsentierte er uns ein Gedicht, das er für uns gerade eben geschrieben hatte. Eine Geste, die uns zeigt, wie einfach wir Liebe und Freude in unsere Welt bringen können. Niemand von uns kehrte so zurück wie er kam. Und das ist gut so.