Die Einladung kam schnörkellos und per E-Mail: Nipun Metha lädt zum Gandhi 3.0.-Retreat nach Indien. Etwa „50 Love Warriors“ sollen sich zum 150. Geburtstag von Mahatma Gandhi in seinem Ashram in Ahmedabad treffen. In der Einladung heißt es: „Bei diesem Retreat geht es nicht darum, dass Führungskräfte zusammenkommen, um mehr Macht für schon bekannte Strukturen zu schaffen. Eher ist es das Gegenteil. Es ist ein Kreis, der seine Stärke darin finden soll, das Bekannte aufzugeben, um die Entstehung einer neuen kollektiven Kraft zu formen“. Visionäre Führungskräfte, Community-Organisatoren und Change-Maker sollen der Idee folgen, mit innerer Transformation eine radikale und innovative Lösung für die heutigen Herausforderungen zu schaffen.
Ankunft in Ahmedabad. Touristisch gesehen liegt es nicht gerade auf der Route des Indien-Besuchers, historisch betrachtet hat Indiens fünftgrößte Stadt aber einiges zu bieten: Mahatma Gandhi ließ sich nach seiner Rückkehr aus Südafrika 1915 in Ahmedabad nieder und gründete den Harijan-Ashram am Ufer des Sabarmati Flusses. Von hier startete er 1930 seinen friedlichen Salzmarsch gegen die Britische Kolonialmacht. Und von hier soll jetzt eine neue kollektive Bewegung um die Welt gehen, eine, die langsam aber kontinuierlich eine Veränderung mit sich bringt.
Willkommen Zuhause. Wir werden am Flughafen von Rahoul abgeholt. Er ist einer von vielen Volontären, die am Gandhi 3.0 teilnehmen. Er begrüßt uns mit „Willkommen Zuhause!“. Bald wissen und spüren wir, was er meint. Der Ashram liegt am Rande der Millionenstadt, die fast ländlich wirkt. Die allgegenwärtigen Kühe und die holprigen, zum Teil unasphaltierten Straßen verstärken diesen Eindruck. Durch ein großes Tor geht es in den Ashram, eine schöne Anlage aus mehreren Häusern inmitten eines tropischen Gartens. Wir sind angekommen.
Fremd und doch vertraut. Am frühen Nachmittag gibt es die erste Willkommensrunde. Obwohl wir uns alle eigentlich nicht kennen, ist sofort ein vertrautes Gefühl da. Wer will sitzt gemütlich auf dicken Pölstern am Boden oder auf einem bequemen Stuhl. Dann ertönen interreligiöse Gebete aus verschiedenen Teilen des Erdballs und nach einigen Minuten des Schweigens eröffnet Nipun die Runde. Er betont in seinen Anfangsworten, dass in diesem Raum Menschen mit dem Privatjet angereist sind, andere aber nicht einmal ein Bankkonto besitzen. Es findet eine Begegnung auf Augenhöhe mit allen statt. Was war eine unerwartete Situation, die die Richtung deines Lebens verändert hat? lautete die erste Frage. Für Gandhi war es der Moment, als er in Südafrika aus einem Zug geworfen wurde. Er wollte dies nicht hinnehmen und kämpfte seitdem für Gleichberechtigung.
Eine Reise durch viele Geschichten beginnt, berührend, sachlich, emotional, dann wieder besinnlich. Alles ist möglich, für alles ist Platz, alles darf sein. Wenn es im Eröffnungskreis einen gemeinsamen Nenner gibt, dann diesen: „Ich weiß nicht genau, warum ich hier bin“. Nach einer Weile wurde klar, dass niemand es wirklich wusste. Auch wir nicht. Die Teilnehmer kamen aus einem breiten Spektrum des Lebens: vom Silicon-Valley Milliardär, einer ehemaligen CIA-Agentin bis zum mexikanischen Schamanen. Jene, die verschiedene Glaubenstraditionen vertreten, bis zu solchen, die keine Religion haben und als Agnostiker durchs Leben gehen. Persönliche Erzählungen folgten, die aufzeigten, wie oft ein unvorhersehbarer Zufall das Schicksal und somit das Leben prägten. Jede einzelne Geschichte wurde gehört.