Sie pendelt zwischen den Welten auf der Suche nach einer authentischen und relevanten Sprache der Kunst. Ihr Antrieb ist die tiefe Verbundenheit zur Natur, zur Kunst, und nicht zuletzt zu ihrem Heimatland Mexiko.
Das Warum der Kunst. Wir besuchen Beatriz Morales in ihrem Studio auf einer Farm, eine Stunde außerhalb Mexico Citys, im Bundesstaat Hidalgo. Hier ist Mexiko so, wie man es sich vorstellt. Kakteen, die bis in den Himmel reichen, Maisfelder, bis zum Horizont, aus den Häusern im Dorf schallt Musik. Morales, die 1981 in Mexiko City geboren wurde, aber schon seit über zehn Jahren in Berlin lebt, wählte den temporären Rückzug aufs Land bewusst. Für ihr neues Projekt brauchte sie die Nähe zur Natur, Platz für große, radikale Gesten und den Zugang zu Materialien, die nur hier erhältlich sind. „Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich meine Verbindung zur Natur verloren hatte”, erzählt die 39-Jährige. „Ich war viel unterwegs in der Kunstwelt, aber die Oberflächlichkeit schien irgendwann zu überwiegen.” Morales stellte sich die ernsthafte Frage nach dem Warum der Kunst und entschloss sich, die Antwort auch in ihrer Ursprungsheimat zu suchen. Dort, in Mexiko, stieß sie auf ein Material mit langer Tradition, das für die Künstlerin zum Werkzeug werden sollte: die Agavefaser. Die Kaktusfaser der Agave wurde zur Grundlage ihres bislang umfangreichsten Projekts. Über mehrere Monate hinweg schuf Morales den monumentalen Wandvorhang „Kihaab“ (Bild 10), der in seiner textilen Beschaffenheit an eine Mischung aus Werken der US-Künstlerin Sheila Hicks, der mit Spritzpistolen-Technik gemalten Wandarbeiten Katharina Grosses und der südkoreanischen Installationskünstlerin Haegue Yang erinnert.
Spirituelle Erfahrung. Das „grüne Gold”, wie die Agavefaser einst genannt wurde, stand in Mexiko als Allzweckstoff lange hoch im Kurs – bis das Plastik kam und eine gesamte Industrie in den Ruin stürzte. Morales fand in den Kaktusfasern einen symbolisch aufgeladenen Rohstoff, der die Geschichte Mexikos sowohl in seiner Schönheit als auch seiner Rauheit erzählt. Fasziniert von diesem Material und seiner symbolischen Strahlkraft, ließ sich die Künstlerin auf seine Geschichte ein und auf einen Lernprozess mit den Dorfbewohnern, Landwirten und Handwerkern aus der Umgebung ihres Studios. Das Resultat, ein gigantischer Wandvorhang, mutet an wie das mythische Fell eines Fabelwesens, gearbeitet aus Kaktusfasern und Jutesäcken. Die Künstlerin berichtet, wie der künstlerische Prozess auch ihre Geisteshaltung zu verändern begann: „Die Luft, die Arbeit mit den Händen, mit den Menschen, die mich umgaben, deren Sprache und Gesten, die mir so vertraut sind, das war eine meditative, fast spirituelle Erfahrung. Zum ersten Mal habe ich mich mit meinem Heimatland wirklich verbunden gefühlt.” Morales begann die Natur an sich als natürlichen Lebensraum ihrer Kunst zu verstehen. Immer wieder zeigt sie ihre Werke seitdem in Foto- und Videoarbeiten, eingebettet in Landschaften, vor Gebirgszügen, zwischen Pflanzen, oder im Schnee.
Die Suche nach der Identität ist für die Künstlerin ein Lebensthema. Ihre Mutter ist Mexikanerin, ihr Stiefvater Schweizer, ihr leiblicher Vater stammt aus dem Libanon. Als Jugendliche verbrachte sie viele Monate in Bonn, es folgten Jahre in Frankreich, Italien, Beirut und eben Berlin. „Diese Identitätssuche, die kennt glaube ich manch einer, der zwischen den Kulturen aufgewachsen ist, irgendwie ist man immer auch ein Außenseiter”, so Morales. „Aber während der Arbeit mit den Menschen in Mexiko fühlte ich diese ganz große Verbindung, die so etwas Ursprüngliches hat. Die Verbindung mit meinem Heimatland, in dem ich mich immer auch ein wenig fremd fühlte.”
Neben der intensiven Arbeit in Mexiko ist das Leben in Berlin für die Künstlerin ein wichtiger Gegenpol, ein urbaner Kontrast, der sich in der Kunst widerspiegelt.