„Get healed, call now!“, so das Versprechen des „Holistic Sanctuary“. Das 5-Sterne Holistic Medical Spa & Treatment Center wirbt auf seiner Luxus-Homepage mit dem Diamanten-Entzugspackage. Im Angebot: die Heilung für die ganze Palette an Süchten. Kokain, Methadon, Heroin, Alkohol, Metamphetamine. Meerblick, stylische Umgebung, Tennisplatz, Massage und „Johnny, der Heiler“ inklusive. „Johnny, der Heiler, ist ein lebender Engel“, heißt es weiter. Der Gründer von „Holistic Sanctury“ ist gleichzeitig hauseigener Schamane des Luxus-Retreat und hat mit einem peruanischen Curantero nichts mehr gemein. Mit blond gegelter Mähne, sonnengebräunter Haut und voll bepackt mit auftrainierter Muskelmasse steht er auf der Terrasse seines Unternehmens und blickt in die Ferne. Bei einem Package-Preis von 100.000 Dollar pro Person für zwei Wochen nicht verwunderlich.
Auch in Iquitos, der größten Stadt im peruanischen Regenwald, hat das Geschäft mit der „Medizin“ skurrile Dimensionen angenommen. Zwar weniger schick, dafür mit mehr Abenteuerpotenzial. Drogen-Wellness im Dschungel sozusagen.
Touristen-Abzocke. Die heimischen Curanteros riechen das Geld. Deshalb werden an jeder Ecke die heilbringenden Rituale verkauft, und schon auf dem Flughafen in Iquitos ereilen einen die ersten Angebote: „ Ayahuasca? Camp? Fuerte Medicina, buena medicina!“ Da ist es kaum verwunderlich, dass es sich bei 90% der Angebote um unseriöse Touristen-Abzocke handelt. Das gnadenlose Geschäft mit Ayahuasca ist für Sonia ein Greul. Seit über 35 Jahren kennt sie die indianische Medizin. Oft hat sie selbst im Amazonasgebiet Ayahuasca getrunken, 16 Jahre lang hat sie während ihrer Ausbildung zur schamanischen Heilerin den Geist, die Seele dieser Pflanzenmedizin kennengelernt: „In den sozialen Medien lese ich von einem innerlichen Abenteuer mit Erfolgsgarantie – das aber, was hier in Europa abgeht, hat nichts mehr mit der ursprünglichen, schamanischen Arbeit zu tun.“ Bevor Sonia zum ersten Mal Ayahuasca einnehmen durfte, musste sie sich ein ganzes Jahr lang darauf vorbereiten. „Mein Lehrer Juan Perez hat mir etwas Wesentliches mitgegeben: Bevor du als Schamanin deinen Weg gehen kannst, musst du dein eigenes Leben im Griff haben. Du musst unter anderem fähig sein, einen ganz normalen Job auszuüben, und dich materiell erhalten können, ohne Zuwendung von anderen. Du musst verantwortungsbewusst sein.“
Heiliges Ritual. Um eine Ayahuasca-Zeremonie seriös leiten zu können, müsse man, so Sonia, die selbst solche Zeremonien nicht anbietet, jahrelang lernen. „Die Schamanen aus dem Amazonasgebiet haben die Pflanze über die Jahre hinweg als Verbündete gewonnen“, das bestätigt auch Stefan aus Wien, der sich vor drei Jahren in Peru seiner „Traumatherapie de luxe“ hingegeben hat. Dort ist die Ausbildung wie ein heiliges Ritual: „Über viele, viele Jahre diätieren diese Schamanen die Pflanze. Sie sitzen im Regenwald irgendwo in einer Hütte, essen praktisch nichts. Sie treten nur mit den Pflanzen in Kommunikation.“ Bei den indianischen Völkern waren es ursprünglich nämlich nicht die „zu Heilenden“, die den Tee zu sich nahmen, sondern nur die Schamanen. „ Ayahuasca ist sicher nicht für jedermann, es erfordert große innere Stabilität, um diesen Weg zu gehen. Es ist verantwortungslos, die Zeremonie ohne Vorbereitung, mit kaum ausgebildeten Schamanen durchzuführen“, so Sonia. Die Aufgabe eines Schamanen ist es nämlich, während einer Zeremonie zu unterstützen, meint Ayahuasca-Kenner Stefan: „Wenn du Pech hast, wird es richtig ungut. Dann braucht es jemanden, der interveniert. Es ist, als wenn du ein Kind in der Krise begleitest. Wenn du es in so einer solchen Situation alleine lässt, dann wird es traumatisch; wenn du es unterstützt, ihm die Hand reichst und ihm Informationen gibst, die es versteht, dann kann es an so einer Erfahrung wachsen.“
Harter Job. Außerdem sei der Heiler-Job wirklich Arbeit, sagt Stefan: „Die modernen Schamanen reisen herum, müssen mehrere Communitys bedienen. Die Räume müssen gemietet werden, es braucht ein gewisses Setting, die Medizin muss hierhergebracht werden, die Leute müssen versorgt werden.“ Vor allem auch die Nachbetreuung sei wesentlich. In sogenannten Sharing-Circles sollte man nach der Zeremonie das Erlebte teilen und aufarbeiten.
Gefahr Psychosen. Wenn dem nämlich nicht so ist, dann kann es, so Sonia, auch gefährlich werden: „Ich habe mich viel im Amazonasgebiet bewegt und habe unzählige Menschen getroffen, die durch die unsachgemäße Einnahme der Medizin Psychosen erlitten haben.“ Die Ayahuasca-Erlebnisse in Peru waren für Stefan mit den Erfahrungen in Wien nicht zu vergleichen: „ Das ist eine Schmied- und Schmiedl-Geschichte. Ein bisschen wie der Unterschied zwischen Meditation oder mit zerstreutem Geist ins Leere blicken.“ Das gilt vor allem für manche südamerikanische Kirchen, die die „heilige Medizin“ während ihrer Zeremonien verwenden. Die Santo Daime Kirche und die Uniao Vegetal sind die beiden größten anerkannten Ayahuasca-Religionsgemeinschaften weltweit. „Dort geht beim Herstellungsprozess ganz viel Intuition hinein, deshalb wirkt das Zeug auch ganz anders“, weiß Stefan. „Das ist eine sehr katholisch geprägte Geschichte, schon 100 Jahre alt und typisch für Lateinamerika: Da vermischen sich Mariensymboliken mit Naturgeistern, dazu kommen diverse Götter der Flüsse, personalisierte Regenwald-Geister und, immer personalisiert, die Pflanze an sich, ‚Madre Ayahuasca‘, die Mutter Ayahuasca.“
Strafbar. Zwar fasst die Gemeinschaft der Santo Daime auch in Europa, mit Niederlassungen in Deutschland, den Niederlanden oder auch Spanien, langsam Fuß, aber in vielen Ländern wie z.B. Deutschland oder Österreich fällt der im Ayahuasca enthaltene Stoff DMT unter das Betäubungsmittelgesetz. Deshalb hält die Gemeinschaft der Santo Daime deren Rituale nur im Untergrund ab, allerdings kostenlos. Sonst muss man zwischen 150 und 700 Euro pro Ayahuasca-Ritual zahlen.