„Die eine Pflanze bringt das DMT, das übrigens auch in unserem Hirn, in der Zirbeldrüse, vorhanden ist und in vielen anderen Tieren und Pflanzen vorkommt. Dieser Stoff ist für das ‚Hirnkino‘ verantwortlich. Die andere Pflanze bringt Inhaltsstoffe, die sogenannten MAO-Hemmer, die den Abbauprozess von DMT deutlich verlangsamen und blockieren“, so Stefan, der sich seit seinem Peru- Aufenthalt intensiv mit der Thematik beschäftigt hat. Nur durch diese Kombination von Wirkstoffen kann der Trank seine bewusstseinserweiternde Wirkung ausüben und Visionen auslösen: „Deshalb schickt dich Ayahuasca zwischen vier bis acht Stunden auf eine bewusstseinsverändernde Reise. Eine Reise ähnlich einem todesnahen Erlebnis. Der spirituelle Trip geht über Stunden und in Phasen.
Phase eins. Der Heiler oder Curandero, wie er in Peru genannt wird, richtet das Wort an die „Meister-Pflanze Ayahuasca“. Über den Großteil der Zeremonie hin werden sogenannte „Icaros“ oder „ Power Songs“ gesungen, um die guten Geister einzuladen. Die Teilnehmer werden mit Tabakrauch angeblasen, um die positiven Energien anzuziehen.
Phase zwei. Fast alle übergeben sich. Es wird gekotzt. Erstaunlicherweise aber wird das Erbrechen nicht als unangenehm empfunden: „Es ist nicht mit dem Übergeben nach zu viel Alkohol oder bei einer Krankheit vergleichbar. Es fühlte sich so an, als ob etwas herauswollte, die ganzen schlechten Gedanken und Probleme, die ich hatte. Es war befreiend“, sagt zum Beispiel Sting über seine Erfahrung.
Phase drei. Man beginnt zu sehen, zu spüren, zu verstehen, Perspektiven zu wechseln. Während dessen ist der Curandero an der Seite der „zu Heilenden“. „Es ist sehr unterschiedlich, wie man Ayahuasca empfindet, von Ritual zu Ritual, von Mensch zu Mensch“, so Stefan. „Ich bin z.B. eher ein Kinästhet, das heißt, ich spüre mehr. Was praktisch alle sehen, sind diese symmetrischen Muster, diese Energiegitter, die sich über alles legen, und sehr oft auch tritt man mit der personifizierten Pflanze in Kontakt, die dann Hilfestellung und Ratschläge gibt.“
Je klarer man vor Beginn des Rituals festlegt, was man denn eigentlich heilen möchte, desto klarer sei letztendlich auch die Botschaft, die man im Ayahuasca-Rausch vermittelt bekommt. „Je geschärfter die Intuition, je nachdem, wohin du deine Aufmerksamkeit richtest, macht dich die Pflanze auch auf.“
Uni-Forschung. Dass auch wissenschaftliche Untersuchungen Ayahuasca eine heilende Wirkung zuschreiben sollen, bestätigt Janine Tatjana Schmid, Autorin des Buches „Selbst-Behandlungsversuche mit der psychoaktiven Substanz Ayahuasca“ (siehe Interview). Schmid forschte acht Jahre am Medizinischen Institut der Universitätsklinik Heidelberg im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Ritualdynamik“: „Wir hatten Menschen mit unterschiedlichsten Erkrankungen in unserem Projekt. Das geht vom grippalen Infekt, Tropengrippe, Krebserkrankungen, Hepatitis, Depressionen bis zu Süchten. Die dahinterstehende Theorie ist immer die gleiche: Letztendlich ist es egal, welche Krankheit sich manifestiert. Im Grunde nämlich haben alle Krankheiten denselben Kern: das Ungleichgewicht von Körper, Geist und Seele.“
Wie aber „heilt“ Ayahuasca? Ist das reiner Humbug, den sich manche einbilden? Funktioniert die „Heilung“ nur über die Psyche, oder passiert auch etwas auf anderer Ebene? „Das war natürlich auch unsere Fragestellung“, so Autorin Schmid, „dafür aber gibt es nur geringfügige Hinweise. Man muss alles im Gesamten betrachten. Ayahuasca wirkt anscheinend auf einer psychischen Ebene, und das bringt mit sich, dass sich körperliche Probleme auflösen könnten.“ Schmid versucht das mit einem Beispiel zu verdeutlichen: „Ich hatte eine Patientin, die hatte Krebs. Es waren verschiedene Tumore, die sie alleine mit Ayahuasca heilen lassen wollte, weil sie das so gelesen hatte. Sie nahm also an einem Ritual teil, und was sie berichtete, war Folgendes: Ihr sei ‚Mutter Ayahuasca‘ begegnet, die ihr in ihrer Vision gesagt hätte, dass sie sich operieren lassen müsse. Man müsse ihr dann zwar die Gebärmutter entfernen und sie könne keine Kinder mehr bekommen, aber es sei der für sie einzig machbare Weg. Genau so hat sie es dann auch getan. Natürlich war es schulmedizinisch gesehen nur eine Operation, aber ohne das Ritual hätte sie sich nicht operieren lassen.“ Auf gute Eingebungen von „Mutter Ayahuasca“ setzt laut „New York Times“ neuerdings auch ein brasilianisches Rehabilitationsprogramm. Nachdem sich in den letzten fünfzehn Jahren die Zahl der Gefangenen verdoppelt hatte, wurde in Porto Velho ein Pilotversuch gestartet. Gefangenen werden Ayahuasca-Therapiesitzungen angeboten, inklusive Yoga und Meditation. Der wegen Mordes verurteilte Celmiro de Almeida, 36, scheint jedenfalls geläutert: „Jede Erfahrung hilft mir dabei, mit meinem Opfer zu kommunizieren und es um Vergebung zu bitten!“ Läuterung scheint vorprogrammiert. Vor allem Drogensüchtige hätten durch eine „Aya-Zeremonie“ ihr Verhalten zum Positiven verändert. Ayahuasca selbst macht nämlich nicht süchtig.
Entzugstourismus. Ein Vorteil der indianischen Medizin, den sich neuerdings ein ganzer Wirtschaftszweig zunutze macht: Entzugstourismus. Im peruanischen Cusco kann man sich kaum mehr vor Heilungsangeboten retten, an der amerikanisch-mexikanischen Grenze sprießen Aya-Retreat-Zentren mit Entzugs-Erfolgsgarantie aus dem Boden, und in Los Angeles eröffnen die ersten 5-Stern-Luxus-Rehabilitationszentren.