Sie feierten in Salzburg mit „Salome“ und „Elektra“ hymnische Erfolge und werden dieses Jahr in „Macbeth“ umjubelt. Wie wichtig sind die Festspiele für Ihre Karriere?
Sie sind aus mehreren Gründen etwas ganz Besonderes, denn erstens ist Salzburg wirklich ein ganz besonderer Ort für mich geworden. Jedes Mal, wenn ich hierherkomme, fühle ich mich zuhause. Es ist ein so starker, magischer Ort, und die Festspiele sind der beste Platz, um etwas Großes zu schaffen, weil es mir als Künstlerin alle Möglichkeiten gibt, alles auf die bestmögliche Weise vorzubereiten. Meine Karriere bestand aus mehreren Schritten, die Salzburger Festspiele waren der letzte in der Reihe. Ich bin sehr dankbar, denn der gigantische Erfolg hier hat mir Freiheit gegeben. Ich war immer ein sehr freier Mensch und Künstler, aber es hat meine Freiheit geschützt, denn Salzburg gab mir eine Art Macht und Status, für den ich in meinem Leben nicht mehr kämpfen muss. Das ist eines der besten Gefühle in meinem Leben. Es ist wirklich etwas ganz Besonderes und interessant, wie mitten in den Bergen plötzlich eines der wichtigsten Festivals der Welt entstanden ist.
Haben Sie schon Pläne bis 2026 in Salzburg, sind Sie Dauergast hier?
Ich hoffe ja, wenn ich gesund bleibe.
Wie leben Sie den Sommer über in Salzburg?
Dieses Jahr habe ich beschlossen, aus der Stadt wegzuziehen und wohne jetzt in der Nähe von Mondsee. Ich liebe es, und meine Tochter auch. Sie wird jetzt sieben. Sie geht gern mit ihrem Vater surfen.
Franz Welser-Möst wird nicht wie geplant „Macbeth“ dirigieren.
Das war eine sehr traurige Nachricht für mich. Natürlich ist es besonders bei einem Rollendebüt sehr wichtig, Menschen zu haben, die einen unterstützen, aber das Wichtigste für mich ist, dass er gesund bleibt. Das Festival unterstützt mich wirklich bei jedem einzelnen Schritt. Sie tun ihr Bestes, damit ich mich wohl fühle und meine Arbeit so gut wie möglich mache.
In unserem jährlichen OOOM 100-Ranking der inspirierendsten Menschen der Welt, erstellt von einer internationalen Jury, belegen Sie Platz 21. Wer oder was inspiriert Sie?
Ich habe mich sehr darüber gefreut, das ist eine große Ehre. Die wahrscheinlich größte Inspiration für mich ist die Natur. Wenn ich mich leer fühle, gehe ich einfach in die Natur und tanke meine Energie sofort wieder auf. Dann die Liebe meiner Familie, meiner Kinder, meiner Freunde und der Menschen, die ich liebe. Ich lasse mich jede einzelne Sekunde inspirieren. Das ist wirklich eine Eigenschaft, über die ich sehr froh bin. Ich musste nie nach Inspiration suchen. Jeden Tag wache ich auf und sehe etwas, das mich inspiriert.
Sie sind in Litauen aufgewachsen, das in Ihrer Kindheit noch eine Sowjetrepublik war. Sie haben das Ende des Warschauer Paktes miterlebt, den Fall der Berliner Mauer. Russlands Grenze zu Litauen ist 260 Kilometer lang. Wie fühlen Sie sich in einer solchen Weltlage, Sie haben sicher noch Verwandte in Litauen?
Ja, natürlich. Das Land und die Menschen in meiner Heimat Litauen haben Angst. Sie sind verletzt wegen der Vergangenheit, es ist also eine schwierige Situation in Litauen. Ich wäre wahrscheinlich diejenige gewesen, die auf der Titanic weitergespielt hätte, als sie gesunken ist. Ich tue die Dinge, die ich tun muss.
War Ihre Kindheit ein anderes Leben als Ihre Teenagerzeit?
Ja, natürlich, aber ich war sechs Jahre alt und noch zu klein, um die Dinge zu verstehen. Aber ich erinnere mich an alles, als die Sowjetunion zusammenbrach. Ich erinnere mich an die Läden, wo es nichts gab. Ich erinnere mich an das Warten auf Bananen, die wir nicht hatten. Freiheit ist etwas, das wir aufbauen müssen. Dieses Gefühl, das muss Generation für Generation wachsen. Genauso ist es in Russland: Wir können nicht erwarten, dass die Menschen plötzlich frei werden und sagen, was sie sagen wollen. So funktioniert das nicht. Die Generation, die jetzt geboren wurde, ist viel freier.
Ihre Eltern waren beide Sänger. War für Sie schon als Kind klar, dass Sie auch eine Karriere als Sängerin starten werden?
Als ich ein Kind war, war ich viel im Theater und wollte wie 99 Prozent der Mädchen Ballerina werden, eine Tänzerin. Als ich dann ein Teenager war, wollte ich von all dem nichts mehr wissen. Aber trotzdem bin ich da gelandet, wo ich jetzt bin, und ich muss ehrlich sein: Ich bin wirklich dankbar. Denn die Oper ist etwas, das mir am meisten hilft, meine Energie zu steigern und 100 Prozent ich selbst zu sein, wenn ich auf der Bühne bin.
Wie viele Jahre im Voraus planen Sie Ihr künstlerisches Programm? Vier? Fünf?
Ich bin bis etwa 2029 gebucht, es beginnen jetzt die Buchungen für 2030. Es ist Teil des Geschäfts, aber ich bin sowieso ein Mensch, der wirklich einen Plan und eine Struktur als Sicherheit braucht. Ich habe nicht vor, bald zu sterben, aber ich lebe trotzdem jeden Tag, wie wenn er der letzte wäre. Vor allem mit den Jahren wird dieses Gefühl immer stärker.
Sie werden in der ganzen Welt als Opernstar gefeiert. Erden Sie Ihre Tochter Lea und Ihr Sohn Nojus?
Sie sind meine Erdung. Mein Sohn ist 20, meine Tochter 6. Ich bin ein sehr künstlerischer Mensch und sehr sensibel. Aber wenn ich nachhause komme, tue ich die Dinge, die ich als Mutter tun muss.
Nachdem Sie heute schon wissen, wie Ihr Kalender 2029 aussehen wird: Wie gehen Ihre Kinder damit um? Spontanität ist da praktisch ausgeschlossen.
Es ist schwierig und erfordert eine Menge Organisation. Unsere Kinder geben uns einen Sinn. Sie geben uns auch eine Menge Erfahrung, die wir auf der Bühne nutzen können. Aber natürlich gibt es auch viel zu managen, was nicht einfach ist.
Wann nehmen Sie sich eine Auszeit? Haben Sie irgendwelche Rituale, meditieren Sie?
Alles, was ich in meinem Leben tue, ist Meditation, aber wie ich schon sagte, in die Natur zu gehen ist das Beste.
Ich habe gelesen, dass Sie immer wieder Panikattacken haben.
Die hatte ich immer schon. Das ist nicht die Vergangenheit. Ich lebe mein ganzes Leben lang damit. Ich habe gelernt, damit umzugehen.
Sie sind Gründungsmitglied der Städtischen Oper Vilnius, die zwar kein eigenes Opernhaus hat, aber sich als organisches Gebilde sieht. Stars wie Sie ziehen immer mehr jüngeres Publikum an.
Natürlich wird die Oper niemals wie die Popmusik sein. Wir werden nie so viel Publikum haben, vor allem kein junges. Aber wenn wir die Oper erhalten wollen, damit sie nicht stirbt, müssen wir ein jüngeres Publikum mitbringen. Andernfalls wird das Publikum irgendwann einmal sterben. So müssen wir ein neues Publikum aufbauen. In diesem Fall bin ich sehr stolz auf mich, weil ich sehr erfolgreich darin bin, junge Leute in die Oper zu bringen. Das ist, zumindest für mich, sehr wichtig.
Wie viel Freizeit haben Sie hier in Salzburg mit Ihrer Familie? Nehmen Sie sich Zeit und sagen: Heute habe ich einen Tag frei?
Vor der Premiere ist das nicht der Fall, aber nach der Premiere werde ich etwas mehr Zeit haben, und darüber bin ich sehr froh. Es kommt immer auf die Rolle an.
Wir haben gerade das Titelbild für OOOM fotografiert, Sie posieren so fantastisch natürlich wie ein professionelles Model. Macht es Ihnen Spaß, vor der Kamera zu stehen?
Ich will ganz ehrlich sein: Es macht mir keinen sonderlichen Spaß. Das ist genau der Grund, warum ich nicht auf sozialen Medien bin. Ich mag es einfach nicht, wenn überall Fotos von mir zu sehen sind. Manchmal mache ich gerne Fotos, aber nicht zu oft und vor allem für mich. Ich mag es nicht, wenn jemand anderer ein Foto von mir macht, ich mag es nicht, zu viel über mich zu reden. Ich bin eine sehr schweigsame Person, die es nicht mag, ihr Privatleben zu präsentieren. Aber ich habe wirklich gelernt, nachdem ich dieses Jahr 20 Jahre als Profi auf der Bühne stehe, damit umzugehen. Um Karten zu verkaufen musst du Interviews und Fotoshootings machen. Das habe ich irgendwie verstanden – und dass ich dabei auch sehr interessante Menschen kennenlerne. Ich hasse es nicht, das zu tun, denn es hat auch eine sehr schöne Seite. Und wenn ich nicht extrem beschäftigt oder gestresst bin, dann genieße ich es manchmal sogar.
Welche Komponisten berühren Sie am meisten? Puccini? Verdi?
Es geht nicht darum, mich zu berühren, sondern die Musik hilft mir, meine eigene Energie zu steigern, um andere berühren zu können. Aber ja, Puccini und Verdi berühren mich. Ich mag diese Art von – ich will nicht das Wort kitschig benutzen – sehr emotionaler Musik. Das heißt nicht, dass ich nicht auch andere Arten von Musik mag wie Mozart, aber es ist wirklich etwas, das mich so sehr bewegt, dass ich mich darauf einlassen kann und der Musik helfen kann, wiederum andere damit zu berühren und zu bewegen. Und das muss das Ziel als Sängerin sein.